In der Corona-Pandemie moralisch handeln und glücklich leben? Immanuel Kant über den guten Willen, Aristoteles über Glückseligkeit
Zusammenfassung
Die Suche nach einem glücklichen Leben ist wohl so alt wie die Philosophie selbst. „Jede Kunst und jede Lehre, desgleichen jede Handlung und jeder Entschluß, scheint ein Gut zu erstreben, weshalb man das Gute treffend als dasjenige bezeichnet hat, wonach alles strebt.“ – Aristoteles Nikomachische Ethik. Schon vor Jahrtausenden, etwa zur Zeit der alten Griechen befasste sich Aristoteles mit der Suche nach dem höchsten Gut und der Glückseligkeit. Er erarbeitete auf diese Frage eine umfassende Antwort in seinem Werk „Nikomachische Ethik“, welches bis heute Grundlage für viele Theorien ist. Auch Immanuel Kant verfasste im Jahr 1785 sein Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in der er das höchste Gut mit seiner Theorie des „guten Willens“ beschreibt. Der schmale Grad zwischen einer moralisch guten Tat und dem Ausleben der eigenen Gelüste soll im Folgenden mit Hilfe von dieser beiden Anschauungen diskutiert werden. Zum einen wird das Werk von einer sehr alten Sichtweise des Aristoteles durchleuchtet und anschließend mit einer neueren Betrachtung, die des Immanuel Kants, verglichen.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Aristoteles – Glückseligkeit als höchstes Gut
Immanuel Kant – der gute Wille ist das höchste Ziel
Vergleich von Kant und Aristoteles
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Januar 2020. Ein Virus namens Covid 19 breitet sich rasant auf der gesamten Erdkugel aus und verändert das Leben jedes einzelnen Menschen. Dieses Virus ist in ca. 5% der Fälle tödlich, seine Ausbreitungsgeschwindigkeit exponentiell. Folglich werden durch die einzelnen Regierungen weltweit hektisch Maßnahmen ergriffen. Temporäre Ausgangsbeschränkungen, Verbote von sozialen Kontakten und das Tragen eines Mundschutzes gehören von nun an zum Alltag. Diese Vorkehrungen werden einerseits getroffen, damit sich die stark ansteigende Infektionszahl verlangsamt und dadurch andererseits möglichst wenig Toden aus der aktuellen Pandemie resultieren. Solche Einschränkungen führen zu einer geringeren Lebensqualität vieler Bürger. Einige protestieren gegen diese Maßnahmen und fordern mehr Freiheiten in ihrem alltäglichen Leben. Wie ist also ein glückliches und erfülltes Leben überhaupt und vor allem in solch einer Situation möglich, und wie handelt man moralisch?
Die Suche nach einem glücklichen Leben ist wohl so alt wie die Philosophie selbst.
„Jede Kunst und jede Lehre, desgleichen jede Handlung und jeder Entschluß, scheint ein Gut zu erstreben, weshalb man das Gute treffend als dasjenige bezeichnet hat, wonach alles strebt.“ – Aristoteles Nikomachische Ethik Schon vor Jahrtausenden, etwa zur Zeit der alten Griechen befasste sich Aristoteles mit der Suche nach dem höchsten Gut und der Glückseligkeit. Er erarbeitete auf diese Frage eine umfassende Antwort in seinem Werk „Nikomachische Ethik“, welches bis heute Grundlage für viele Theorien ist. Auch Immanuel Kant verfasste im Jahr 1785 sein Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, in der er das höchste Gut mit seiner Theorie des „guten Willens“ beschreibt.
Der schmale Grad zwischen einer moralisch guten Tat und dem Ausleben der eigenen Gelüste soll im Folgenden mit Hilfe von dieser beiden Anschauungen diskutiert werden. Zum einen wird das Werk von einer sehr alten Sichtweise des Aristoteles durchleuchtet und anschließend mit einer neueren Betrachtung, die des Immanuel Kants, verglichen.
Aristoteles – Glückseligkeit als höchstes Gut
Wie handelt man moralisch richtig? Eine Richtlinie, an denen sich ein jeder Orientierung verschaffen kann, war das Ziel, welches Aristoteles in seinem Werk „Nikomachische Ethik“ verfolgte.
Wie bereits zitiert, scheint jede Handlung ein Gut zu erstreben, (…) wonach alles strebt. Mit diesem höchsten Gut verbindet Aristoteles eindeutig die Eudaimonia, die Glückseligkeit. Diese ist das Ziel unseres Handelns und der Schlüssel zu einem glücklichen Leben. Doch was meint Aristoteles mit der Glückseligkeit?
Sie bezieht sich auf eines jedes Handeln, welches sich durch „praktische Klugheit“ auszeichnet und die Tugend eines Charakters beschreibt. „Die Tugend macht, dass man sich das rechte Ziel setzt, die Klugheit, dass man die rechten Mittel dazu wählt.“ (Aristoteles, 2019, S. 203f.)
Bezüglich der Tugenden unterscheidet er „die eine[] dianoetische oder Verstandestugend[], die andere[] ethische oder sittliche Tugend[].“ (Aristoteles, 2019, S. 37) Unter der „Verstandestugend“ (Aristoteles, 2019, S. 37) versteht Aristoteles Weisheit, Verstand und Klugheit. Mit sittlicher Tugend meint er Großzügigkeit und Besonnenheit. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass Verstandstugend durch Belehren intensiviert werden kann und ethische Tugend auf die gewohnten Verhaltensmuster eines Menschen abzielt. Doch wie zeichnet sich nun ein tugendhaftes Verhalten aus?
Tugendhaftigkeit ist ein Verhalten, dass mit Vernunft ein gutes Maß zwischen Extrema findet. Beispielsweise bezeichnet Großzügigkeit die „rechte Mitte“ zwischen Kleinlichkeit und Geiz. Eine wichtige Tugend ist die Mäßigkeit und die Gerechtigkeit innerhalb einer Gemeinschaft. So argumentiert Aristoteles, „dass man durch Handlungen der Gerechtigkeit ein gerechter und durch Handlungen der Mäßigkeit ein mäßiger Mann wird. Niemand aber, der sie nicht verrichtet, ist auch nur auf den Wege, tugendhaft zu werden.“ (Aristoteles, 2019, S. 47)
Dies hat Ungerechtigkeit oder einen Verstoß gegen Gesetze zur Folge. Denn auch eine gute Verfassung zeichnet sich darin aus, dass sie tugendhaftes Verhalten der Bürger bezweckt. Hierbei sollte Gleichheit nicht mit Gerechtigkeit verwechselt werden, denn jeden Menschen gleich zu behandeln oder mit gleichen Gütern zu versorgen erzielt nicht unbedingt Gerechtigkeit. Eine angepasste Gerechtigkeit ist hier der Maßstab für ein tugendhaftes Handeln. Ein tugendhafter Mensch, der besonders Schlechtigkeit, Unenthaltsamkeit und tierische Rohheit vermeidet, bestrebt somit ein ausgeglichenes Maß.
Des Weiteren differenziert Aristoteles zwischen drei Lebensweisen: Ein Leben, das „das wahre Glück in die Lust setz[t]“, „das politische Leben“ und „das Leben der philosophischen Betrachtung“. Ein Leben, das von Lust und Genüssen geprägt ist wird von Aristoteles als „wie das liebe Vieh zu leben“ betitelt. (Aristoteles, 2019, S. 11) Menschen, die das politische Leben wählen, gelten als gebildet und wählen die Ehre und ein Leben, das ein gemeinsames Miteinander ermöglicht. Das höchste Ziel schließlich beschreibt das Leben der Philosophen, welches nur wenige Menschen führen. Aristoteles vergleicht diese Lebensform sogar als gottähnliches Leben, das die Vernunft und Weisheit als wichtigen Bestandteil hat.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, welcher zu einem glücklichen Leben leitet, ist die Freundschaft. „(…) Sie ist eine Tugend oder mit der Tugend verbunden. Ferner ist sie fürs Leben das Notwendigste. Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter“. (Aristoteles, 2019, S. 250)
Zusammenfassend ist Aristoteles der Meinung, dass ein Mensch nur dann ein glückliches Leben führen kann, wenn er seinen Lebensstil an tugendhaftem Handeln innerhalb einer Gemeinschaft orientiert. Das bedeutet keine Extrema auszuleben, sondern sich stets in der Mitte von Extrema zu bewegen. Zudem ist es wichtig, echte Freundschaften zu pflegen, solche, die stets das Beste für den Freund wollen.
Immanuel Kant – der gute Wille ist das höchste Ziel
Auch Immanuel Kant entwickelt einen Leitfaden und beschreibt in seinem Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ die sogenannten „Kantsche Moral“, mit deren Hilfe jeder seine Handlungen reflektieren und kontrollieren kann, ob er moralisch agiert.
Anders als sein Vorgänger Aristoteles leitet Kant sein Prinzip des kategorischen Imperativs, von dem sogenannten guten Willen, welcher er als das höchste Gut sieht, und einen Begriff der Pflicht ab. Kant begründet dies, indem er „Wesen[]“ beschreibt als „das kein Zug eines reinen und guten Willens ziert, nimmermehr ein Wohlgefallen haben kann,“ „und so der gute Wille die unerläßliche Bedingung selbst der Würdigkeit glücklich zu sein auszumachen scheint“. (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 11) So stellt er Tugenden wie Mut oder Gerechtigkeit abhängig vom Charakter der Person nicht unbedingt als höchstes Gut dar. Eine gute Tat ist für Kant nicht von tugendhaften Verhalten ausgezeichnet oder aufgrund der Konsequenz, die eine Handlung mit sich bringt, sondern von der Absicht, dem guten Willen, die hinter dieser Handlung steckt. Was ist unter einem guten Willen explizit zu verstehen?
Hierzu wird das Menschenbild nach Kant zuerst durchleuchtet. Der Mensch ist Teil der Sinnenwelt und der Verstandswelt. Um ein zufriedenes Leben führen zu können, würde es reichen, die Eigenschaften eines Tieres zu besitzen und so seine Bedürfnisse zu befriedigen. Doch wozu dient der Verstand? Mit Hilfe des uns gegeben Verstandes ist es uns Menschen möglich, den guten Willen zu formen, woraus Kant den Begriff der Pflicht ableitet.
Von außen betrachtet ist es nicht einfach zu unterscheiden, ob eine Handlung aus Neigung oder aus Pflicht vollzogen wurde. Kant bezeichnet eine moralisch gute Handlung vor allem, wenn kein persönlicher Nutzen daraus gezogen werden kann, es gegen die eigene Neigung spricht, jedoch aus der Pflicht heraus eine Entscheidung getroffen wird. Dieses pflichtbewusste Handeln stellt eine objektive Norm dar. So sagt Kant: „Der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann.“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 60) Damit meint Kant, dass jeder sein Handeln so ausrichten soll, wie er selbst von anderen behandelt werden möchte und welches ein Gesetz für alle Mitmenschen darstellen kann oder besser gesagt müsste. Ein Problem hierbei stellt die - nach heutigem Wissen - kognitive Dissonanz dar, die zu Lebzeiten von Kant noch nicht so genannt wurde. Kant bezeichnet diese psychische Eigenschaft als die „natürliche Dialektik“. (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 22) Ein Mensch, der moralisch leben möchte, sich jedoch entscheidet, aufgrund von Neigungen bestimmte Entscheidungen zu treffen, baut Spannungsgefühle auf. Er weiß, dass sein Handeln moralisch nicht richtig war und hat nun Probleme dies mit seiner Einstellung - ein moralisch guter Mensch sein zu wollen - zu verantworten. Folglich versucht der Mensch, dieses Spannungsgefühl mit Argumenten auszugleichen, um sein nicht moralisches Handeln trotzdem moralisch wirken zu lassen. Vor sich selbst und vor den Mitmenschen. Es ist somit wichtig, echte Grundsätze zu finden, danach zu leben und somit ehrlich zu sich selbst zu sein.
Um das zu erreichen, darf sich die Maxime, die wir versuchen anzustreben, nicht widersprechen. Ein jeder sollte so handeln, dass er niemanden innerhalb der Gemeinschaft schadet, sondern sogar hilft.
Kant unterscheidet zwischen dem hypothetischen und dem kategorischen Imperativ. Beim hypothetischen Imperativ steht das Erreichen eines Zweckes im Fokus. Hierbei werden Mittel gewählt, die zum Beispiel eine größtmögliche Glückseligkeit bezwecken. Er spricht hierbei auch von einem „subjektiven Zweck“. (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 41) Im Kontrast dazu steht der kategorische Imperativ, welchen Kant den Lesern nahebringen möchte. Anders als beim hypothetischen Imperativ fokussiert sich der kategorische Imperativ nicht auf einen Zweck, wie beispielsweise die genannte Glückseligkeit. Sie besagt, dass man einzig aus Pflichten heraus handeln soll. Wie wir handeln sollten, zeigt uns auch die sogenannte praktische Philosophie, die den objektiven Zweck untersucht. Dieser objektive Zweck gilt verallgemeinert als Zweck für alle und schließt damit subjektive Ansätze aus. „Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst.“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 42) Dieser Grundsatz gilt für alle vernünftigen Wesen. Der Mitmensch solle immer als Zweck und nicht als Mittel behandelt werden. Daher spricht man auch vom praktischen Imperativ, der besagt, dass man die Würde des anderen immer respektieren und nach einem objektiven Zweck handeln soll.
Das „Prinzip der Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 51) wird somit von Kant wie folgt beschrieben: „Der Begriff eines jeden vernünftigen Wesens, das sich durch alle Maximen seines Willens als allgemein gesetzgebend betrachten muß, um aus diesem Gesichtspunkte sich selbst und seine Handlungen zu beurteilen, führt auf einen ihm anhängenden sehr fruchtbaren Begriff, nämlich den eines Reichs der Zwecke.“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 45) Im Reich der Zwecke handelt jeder nach einer gemeinsamen Gesetzgebung, die moralisch für alle ist und der sich jeder aus freiem Willen durch echte Grundsätze anschließt.
Vergleich von Kant und Aristoteles
Beide Theorien, die des Aristotles und die von Immanuel Kant, wurden in den letzten Abschnitten durchleuchtet. Nun sollen beiden Theorien gegenübergestellt und direkt verglichen werden.
Ein wesentlicher Unterscheid beider Sichtweisen auf moralisches Verhalten liegt schon in der grundsätzlichen Betrachtung. Aristoteles Anschauung widerstrebt Kant im Allgemeinen. Er behauptet, dass „Glückseligkeit mache[] Mut und hierdurch öfters auch Übermut, wo nicht ein guter Wille da ist, der den Einfluß derselben aufs Gemüt und hiermit auch das ganze Prinzip zu handeln berichtige und allgemein-zweckmäßig mache.“ (Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 2012, S. 11) Kant sieht das Streben nach Glückseligkeit als eher pragmatisch an. Er argumentiert sogar, dass „das Prinzip der eigenen Glückseligkeit [ist] am meisten verwerflich [ist], nicht bloß deswegen weil es falsch ist, (…)“. (Kant, Zeno.org, 1977) Für ihn ist ein guter Wille das einzige und höchste Gut, welches jeder anstreben sollte. Im Gegensatz hierzu setzt Aristoteles die Glückseligkeit als sein höchstes Gut fest.
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