"Populist movements are widely regarded, especially in Europe and Latin America, as threats to democracy. Yet New Populists explicitly claim to be true democrats, setting out to reclaim power for the people" (Canovan 2004: 244).
Mit diesen Worten beschrieb die Politikwissenschaftlerin Margaret Canovan bereits 2004 das Phänomen des Populismus. Sie geht dabei auf die scheinbar besondere Stellung populistischer Strömungen in Europa und Lateinamerika ein und gibt die Meinung der Populisten wieder, dass sie davon ausgehen, die wahren Demokraten zu sein, da sie dem Volk seine Macht zurückgeben würden. Diese Aspekte werden auch in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle einnehmen. So wird der Autor in der Fallanalyse mit Mexiko und Ungarn auf zwei Fälle in Lateinamerika und Europa eingehen und auch auf das Verständnis der Populisten, Fürsprecher für das Volk zu sein, wird Bezug genommen.
Vor dem Hintergrund zunehmender Stärke und Machtgewinne solcher Bewegungen, Parteien und Machthaber, stellt dieses Phänomen im Allgemeinen ein relevantes Forschungsfeld der Politikwissenschaft dar. In vielen Staaten der Welt scheinen Populisten auf dem Vormarsch zu sein und der Demokratie konträr entgegenzustehen. Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika oder Victor Orban in Ungarn sind nur zwei Beispiele, die diese negativen Auswirkungen verdeutlichen. Die Befassung mit diesem Phänomen scheint also aus demokratietheoretischer Sicht unumgänglich zu sein und nimmt aktuell einen hohen Stellenwert ein.
Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser gehen in ihrem 2017 erschienenen Werk: "Populism: A very short Introduction" nicht von einem per se schlechten Einfluss des Populismus auf Demokratie und Demokratisierung aus. Sie beschreiben eher eine ausgewogene Beeinflussung der Demokratie durch populistische Kräfte. So wird postuliert, dass Populismus durchaus förderlich für die Entwicklung einer Demokratie sein kann. Dies scheint laut Mudde und Kaltwasser besonders dann der Fall zu sein, wenn Staaten noch im autokratischen Spektrum zu verorten sind. In diesen Fällen können solche Strömungen einen positiven Schub in Richtung Demokratisierung liefern und die Etablierung der Demokratie fördern. Auf die diesbezüglichen Gedanken beider Autoren wird sich die Arbeit fokussieren und sie fallbezogen (Ungarn und Mexiko) überprüfen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Was ist Populismus – Begriffserklärung und Überblick
2.2 Populismus und seine Auswirkungen auf die Demokratie – Zusammenhang und Forschungsstand nach Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser
3. Varieties of Democracy – Ein Überblick über eine neue Demokratiemessung
4. Auswirkungen von Populismus auf politische Systeme
4.1 Fallauswahl, Untersuchungszeitraum und Verortung der politischen Systeme mit Hilfe von V-Dem
4.2 Das politische System Ungarns zwischen 2010 und 2019, seine populistischen Herausforderungen und die Folgen für die Demokratie
4.2.1 Das politische System Ungarns – Ein Überblick
4.2.2 Die FIDESZ-Partei, andere populistische Gruppen und politische Entwicklungen in Ungarn
4.2.3 Auswirkungen des Populismus für die ungarische Demokratie
4.3 Das politische System Mexikos zwischen 1988 und 2000, seine populistischen Herausforderungen und die Folgen für die Demokratie
4.3.1 Das politische System Mexikos – Allgemeiner Überblick
4.3.2 Populistische Parteien und soziale Gruppen in Mexiko
4.3.3 Auswirkungen des Populismus für die mexikanische Demokratie
5. Diskussion und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
„Populist movements are widely regarded, especially in Europe and Latin America, as threats to democracy. Yet New Populists explicitly claim to be true democrats, setting out to reclaim power for the people.“ (Canovan 2004: 244).
Mit diesen Worten beschrieb die Politikwissenschaftlerin Margaret Canovan bereits 2004 das Phänomen des Populismus, geht dabei auf die scheinbar besondere Stellung populistischer Strömungen in Europa und Lateinamerika ein und gibt die Meinung der Populisten wieder, dass sie davon ausgehen, die wahren Demokraten zu sein, da sie dem Volk seine Macht zurückgeben würden. Diese Aspekte werden auch in der vorliegenden Arbeit eine zentrale Rolle einnehmen. So werde ich in der Fallanalyse mit Mexico und Ungarn auf zwei Fälle in Lateinamerika und Europa eingehen und auch auf das Verständnis der Populisten, Fürsprecher für das Volk zu sein, wird Bezug genommen. Vor dem Hintergrund zunehmender Stärke und Machtgewinne solcher Bewegungen, Parteien und Machthaber, stellt dieses Phänomen im Allgemeinen ein relevantes Forschungsfeld der Politikwissenschaft dar. In vielen Staaten der Welt scheinen Populisten auf dem Vormarsch zu sein und der Demokratie konträr entgegen zu stehen. Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika oder Victor Orban in Ungarn sind nur zwei Beispiele, die diese negativen Auswirkungen verdeutlichen. Die Befassung mit diesem Phänomen scheint also aus demokratietheoretischer Sicht unumgänglich zu sein und nimmt aktuell einen hohen Stellenwert ein.
Anders als viele weitere Wissenschaftler und der überwiegende gesellschaftliche Tenor, gehen die Politologen Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser in ihrem 2017 erschienenen Werk: „Populism: A very short Introduction“ nicht von einem per se schlechten Einfluss des Populismus auf Demokratie und Demokratisierung aus. Sie beschreiben eher eine ausgewogene Beeinflussung der Demokratie durch populistische Kräfte. So wird postuliert, dass Populismus durchaus förderlich für die Entwicklung einer Demokratie sein kann. Dies scheint laut Mudde und Kaltwasser besonders dann der Fall zu sein, wenn Staaten noch im autokratischen Spektrum zu verorten sind. In diesen Fällen können solche Strömungen einen positiven Schub in Richtung Demokratisierung liefern und die Etablierung der Demokratie fördern (vgl. Mudde/ Kaltwasser 2017).
Die genannten differenzierten Gedanken der Autoren möchte ich in dieser Arbeit versuchen zu überprüfen. Es soll darum gehen, anhand von zwei ausgewählten Fallbeispielen sowohl mögliche positive als auch negative Aspekte des Populismus bezüglich der Demokratisierung/ De-Demokratisierung, darzustellen. Zunächst sollen dazu im zweiten Kapitel der Arbeit die theoretischen Grundlagen gelegt werden. Nachdem ich zu Beginn eine Begriffsklärung des Populismus liefern werde, wird es anschließend um die Grundlagen des Zusammenhangs zwischen diesem Phänomen der Demokratisierung und der Demokratie gehen. Hierbei möchte ich genauer auf die Grundüberlegungen von Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser eingehen, um diese später fallbezogen zu überprüfen. Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen soll mit Varieties of democracy (V-Dem) eine neue Messmethode für Demokratiemessung vorgestellt werden. Zudem wird in diesem Kapitel die von V-Dem etablierte Typologie, Regimes of the World (RoW), zur Einteilung politischer Systeme erläutert, da ich diese im Anschluss zur Verortung beider Staaten verwenden werde.
Darauffolgend wird es um spezifische Auswirkungen des Populismus auf Mexico und Ungarn gehen. Hierzu soll eine Begründung der Fallauswahl und des Untersuchungszeitraumes, sowie eine Verortung beider Staaten in der Typologie politischer Systeme vorgenommen werden. Nachfolgend wird es um die empirische Analyse beider Systeme gehen und es sollen die Einflüsse populistischer Gruppierungen auf die Demokratie und Demokratisierung herausgearbeitet werden. Mit diesem Vorgehen erhoffe ich mir die Überlegungen von Mudde und Kaltwasser zum positiven sowie negativen Einfluss des Populismus auf demokratische Entwicklungen überprüfen und die Hintergrundmechanismen offenlegen zu können. Das Abschlusskapitel soll vergleichend die Befunde beider politischen Systeme darstellen und die Auswirkungen von Populismus im Allgemeinen herausstellen bevor die gewonnenen Erkenntnisse abschließend zusammengefasst werden.
2. Theoretische Grundlagen
Das nun folgende Kapitel soll die Grundlagen der Populismusforschung darstellen, einen Überblick über verschiedene Ausprägungen geben und die Minimaldefinition von Mudde und Kaltwasser beschreiben. Zudem sollen theoretische Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Populismus und Demokratie diskutiert und Argumente zum differenzierten Einfluss des Populismus auf die Demokratie erläutert werden. Hierbei werde ich die Hypothesen der Autoren bezüglich der Transitionsprozesse zwischen den verschiedenen Staatsformen vorstellen.
2.1 Was ist Populismus – Begriffserklärung und Überblick
Sowohl im wissenschaftlichen als auch im gesellschaftlichen Diskurs wird der Begriff des Populismus sehr inflationär verwendet. Er beschreibt Phänomene des rechten Spektrums ebenso wie linkspopulistische Gruppierungen1, wird häufig als Kampfbegriff zur Abwertung verwendet und teilweise als sehr breitgefächert aufgefasst. Diese Uneindeutigkeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass der Begriff in verschiedenen Weltregionen komplett unterschiedlich verstanden wird und es diverse Definitionsversuche gibt, die Populismus als Ideologie, Massenbewegung oder auch Syndrom begreifen (Mudde/ Kaltwasser 2017: 1 ff.).
Grundlegend beschreiben Mudde und Kaltwasser drei Forschungsansätze, welche sich im wissenschaftlichen Diskurs etabliert haben. Zunächst sei der radikale Ansatz erwähnt, welcher sich sowohl in Europa und Lateinamerika feststellen lässt. Hierbei wird der Populismus als reinste Form der Demokratie gesehen und man geht davon aus, dass mit Hilfe dieses Phänomens die Ausgeschlossenen („das Volk“) mobilisiert werden, um die Herrschenden („die korrupte Elite“) zu kritisieren. Somit wird laut dieser Auslegung der Populismus mit seinem zentralen Element der Aufteilung der Gesellschaft in zwei Gruppen (Volk vs. Elite) zur essenziellsten Form von Politik. Kritisiert wird dabei, dass dieser Ansatz sehr abstrakt, vage und in Teilen wenig analytisch sei (Mudde/Kaltwasser 2012a: 6; Mudde/ Kaltwasser 2017: 3).
Ein weiterer Ansatz beschreibt den Populismus als politische Massenbewegung. Hierbei geht es darum, verschiedene, meist sich benachteiligt fühlende soziale Gruppen zu mobilisieren und sie als „das Volk“ in Position gegenüber „der korrupten Elite“ zu bringen. Dabei wird versucht durch provozierende Sprache und ein vom Establishment abweichendes Auftreten, mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Unterstützung zu generieren. Ziel ist es, sich möglichst volksnah zu geben, um die Trennung zwischen beiden Gruppen zu verstärken. Als Kritik daran wird häufig genannt, dass auch große, nicht populistische Volksparteien das Element der Massenmobilisierung nutzen (Mudde/ Kaltwasser 2012a: 5; Mudde/ Kaltwasser 2017: 4). Ein ähnliches Konzept legt den Fokus auf den charismatischen Anführer, welcher als Sprachrohr verschiedener Gruppen den „Volkswillen“ gegenüber den Eliten vertritt und als organisatorische Kraft innerhalb der populistischen Bewegung gesehen wird. Dabei kann Populismus als politische Strategie gesehen werden. Bedeutsam für den Erfolg ist dabei eine besonders enge Bindung des Anführers zu seinen Anhängern. Häufigster Kritikpunkt an dieser Denkrichtung des Populismus ist ebenfalls die sehr breite Auslegung und die daraus folgende Möglichkeit alle politischen Akteure als Populisten zu bezeichnen (Mudde/ Kaltwasser 2012a: 5; Mudde/ Kaltwasser 2017: 4). Andere Autoren stellen ähnliche Überlegungen vor, beschreiben allerdings zwei zusätzliche Aspekte des Populismus. Zum einen wird das besondere Verhältnis zu den Medien dargestellt. Hierbei zeigt sich eine häufigere Kontaktaufnahme zu den Medien. Ein weiterer Aspekt ist die Krisenrhetorik sowie der Hang zur Negativität (Jesse/ Mannewitz/ Panrek 2019: 7-13).
Nachdem nun einige Ideen zur Begriffsbestimmung vorgestellt und zentrale Kernelemente beschrieben wurden, soll nun die Minimaldefinition von Mudde und Kaltwasser eingeführt werden, welche anschließend verwendet wird:
„[…] populism as a thin-centered ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic camps, „the pure people“ versus „the corrupt elite“ and which argues that politics should be an expression of the volonte generale (general will) of the people.“ (Mudde/ Kaltwasser 2017: 6).
Hier vereinen die Autoren einige der bereits zuvor genannten Kernaspekte des Populismus und legen besonderen Wert auf die Auftrennung der Gesellschaft in Volk versus Elite als zentralen populistischen Aspekt. Zudem beschreiben sie dieses Phänomen als „dünne Ideologie“, was verdeutlichen soll, dass Populismus anders als beispielsweise der Liberalismus als vollständige Ideologie nicht auf einer gefestigten Tradition gründet, sondern es sich eher um eine Geisteshaltung oder Einstellung gegenüber der aktuellen politischen Realität handelt. Der Populismus kann somit als fluides, offenes Konzept gesehen werden, welches mit verschiedenen „dicken“ Ideologien verknüpft werden kann (Mudde/ Kaltwasser 2017: 6 f.)
Zusammenfassend zeigt sich, dass es diverse Ansätze, welche aus verschiedenen Kontexten heraus versuchen Populismus zu definieren, gibt. Da ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit auf Überlegungen und Ergebnisse von Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser zurückgreifen werde und weil ich der Ansicht bin, dass deren Minimaldefinition am ehesten das Phänomen des Populismus beschreibt, werde ich diese Definition übernehmen. Es sei dabei erwähnt, dass auch die anderen beschriebenen Aspekte mit in die Betrachtung einfließen werden.
2.2 Populismus und seine Auswirkungen auf die Demokratie – Zusammenhang und Forschungsstand nach Cas Mudde und Cristobal Kaltwasser
Betrachtet man aktuelle wissenschaftliche Debatten zum Einfluss des Populismus auf die Demokratie kann man ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen feststellen. Hierbei wird insbesondere eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Demokratiekonzepten deutlich. Mudde und Kaltwasser beschreiben diesbezüglich, dass der Populismus je nachdem was unter Demokratie verstanden wird, sowohl als Korrektiv oder Herausforderung gesehen werden kann. Somit ist es für die weiteren Analysen dieser Arbeit notwendig die angesprochenen Definitionsmöglichkeiten und den daraus resultierenden Zusammenhang zwischen Demokratie und Populismus zu erläutern. Zunächst versteht man im Allgemeinen unter Demokratie ein politisches System, welches sich durch Volkssouveränität und das Prinzip des Mehrheitsentscheides kennzeichnet. Das bedeutet, das Volk selbst hat die Macht und diese wird in freien und fairen Wahlen an bestimmte Repräsentanten weitergegeben. Dieser Lesart der Demokratie stehen populistische Kräfte durchaus positiv gegenüber. Besonders die Macht des Volkes lässt sich hierbei gut mit dem Populismuskonzept in Einklang bringen (vgl. Kaltwasser 2012; Mudde/ Kaltwasser 2012a: 10-f.; Mudde/ Kaltwasser 2017: 79 ff.).
Ein weitergehendes Konzept stellt die liberale Demokratie dar. Hierbei kommen zu den oben genannten Kennzeichen noch bestimmte institutionelle Garantien (z.B. Meinungsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz etc.) hinzu. Diese zusätzlichen Rechte dienen vor allem dem Schutz von Minderheiten. Die Etablierung und die Macht dieser Institutionen sowie die gegenseitige Kontrolle der Staatsgewalten lehnen Populisten ab, da diese dem Prinzip der „Herrschaft des Volkswillen“ entgegenstehen. Demnach kann festgehalten werden, dass Populisten nicht per se gegen demokratische Strukturen kämpfen, sie lehnen allerdings die liberale Ausgestaltung einer solchen Staatsform ab. Dennoch sind positive Effekte populistischer Strömungen auch auf diese Demokratieform möglich (vgl. Kaltwasser 2012; Mudde/ Kaltwasser 2012a: 11-18; Mudde/ Kaltwasser 2017: 79- ff.). Dies kann mit Robert Dahls Demokratiekonzept verdeutlicht werden. Der Politikwissenschaftler legte ein Demokratiekonzept vor, in dem er zwei Hauptdimensionen (Partizipation und Wettbewerb) aufstellte (vgl. Dahl 1971). Es zeigt sich, dass der Populismus bezüglich dieser Dimensionen verschiedene Auswirkungen haben kann. Betrachtet man die Partizipation, also die Möglichkeit an politischer Mitsprache, so kann er durchaus positiven Einfluss nehmen, da sich die Populisten als Sprachrohr für sich benachteiligt fühlende Gruppen verstehen. Schaut man hingegen auf die Dimension des Wettbewerbs, steht der Populismus dieser eher als Herausforderung entgegen. Hier kommt besonders das antipluralistische Argument des Populismus deutlich zum Vorschein da die Kontrolle des Volkswillen durch ungewählte Institutionen abgelehnt wird (Kaltwasser 2012: 186, 195-198; Mudde/ Kaltwasser 2012a: 13-20; Mudde/ Kaltwasser 2017: 82f.).
Eckard Jesse resümiert in seinem 2019 erschienenen Werk über Populismus: „Beim Populismus handelt es sich darum wohl eher um ein „Pharmakon“ der Demokratie: in überschaubaren Dosen heilsam, ansonsten schädlich.“ (Jesse/ Mannewitz/ Panrek 2019: 15). So kann eine Forcierung politischer Themen von Personengruppen, welche sich benachteiligt und abgehängt fühlen zu einer Mobilisierung führen. Dies integriert sie in den politischen Prozess und ihre Partizipationsbereitschaft (z.B. Wahlteilnahme) kann gesteigert werden und ist als positiv für das demokratische Grundkonzept zu werten. Auf der anderen Seite stellt zum Beispiel die Moralisierung der Politik („Wir“ gegen die korrupten Eliten) ein Problem für die Demokratie dar, da durch solche Verhaltensweisen die Findung von Kompromissen deutlich erschwert werden kann und das Vertrauen in die Demokratie geschwächt wird. Einen Überblick über weitere Effekte des Populismus auf die Demokratie liefert Tabelle 1 (Mudde/ Kaltwasser 2012a: 21f.; Jesse/ Mannewitz/ Panrek2019: 14f.).
Zunächst möchte ich nun auf den Einfluss des Populismus auf die Demokratie eingehen. Hierzu erläutern Mudde und Kaltwasser in ihrer Studie zur Untersuchung der Effekte von Populismus auf die Qualität der Demokratie verschiedene Einflussfaktoren für diesen Zusammenhang. So beschreiben sie, dass sowohl Macht der Populisten (Regierung vs. Opposition), als auch die Stabilität der Demokratie (unkonsolidiert vs. konsolidiert) eine Rolle auf Stärke und Richtung der Effekte des Populismus haben können. So gehen sie davon aus, dass Populisten in der Regierung stärkere und negativere Effekte auf die Demokratiequalität haben als in der Opposition. Dies begründen sie damit, dass die Regierungsverantwortung den Populisten deutlich mehr Macht ermöglicht. Des Weiteren glauben die Autoren, dass die Qualität der Demokratie stärker vom Populismus beeinflusst wird, wenn die Demokratie noch unkonsolidiert und somit weniger stabil ist. Da es in meiner Untersuchung allgemein um die Betrachtung der Effekte des Populismus in Ungarn und Mexico auf die Demokratie und (De)Demokratisierung gehen soll, erscheint es mir sinnvoll diese Einflussfaktoren mit zu betrachten und zu schauen, wie sie den Zusammenhang beeinflussen (Mudde/ Kaltwasser 2012a: 22-25; Mudde/ Kaltwasser 2012b: 209ff.; vgl. Ruth-Lovell/ Lührmann/ Grahn 2019).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Darstellung positiver und negativer Effekte des Populismus auf die Demokratie, nach: (Mudde/ Kaltwasser 2012a: 21f.; Jesse/ Mannewitz/ Panrek 2019: 14f.), eigene Darstellung
Als Hauptaspekt der Analyse soll es um verschiedene Transitionsprozesse gehen. Hierzu postulieren Mudde und Kaltwasser den unterschiedlichen Einfluss von Populismus auf verschiedene Transitionsphasen der (De)Demokratisierung2 (siehe Abbildung 1). Sie gehen davon aus, dass populistische Strukturen für die verschiedenen Übergange zwischen den autokratischen und demokratischen Staatsformen (Erläuterungen der Staatsformen siehe Kapitel 3) unterschiedlichen Einfluss haben. Ich werde nur auf die von mir untersuchten Fälle (Verortung beider Staaten siehe Kapitel 4.1) betrachten und weitere Hypothesen nicht beachten.
Im Fall Ungarns kann von einem De-Demokratisierungsprozess gesprochen werden. Konkreter gesagt durchläuft Ungarn, wie noch gezeigt werden wird, im gewählten Untersuchungszeitraum zwei unterschiedliche Prozesse (siehe Kapitel 4.1). Zunächst findet eine demokratische Erosion statt. Hierbei wirkt sich der Populismus, wie in Abbildung 1 beschrieben, positiv auf die De-Demokratisierung, also negativ auf die Demokratie aus und aus einer liberalen Demokratie wird eine elektorale Demokratie. Der vermutete negative Effekt erscheint hier plausibel, da Populisten zentrale Merkmale und institutionelle Garantien ablehnen (Mudde/ Kaltwasser 2017: 91ff.). Die zweite Transition ist der demokratische Breakdown. Hier wandelt sich das politische System von einer elektoralen Demokratie zu einer elektoralen Autokratie. Bei diesem Prozess vermuten die Autoren einen uneindeutigen Einfluss auf die Demokratie, wobei eher von negativen Einflüssen ausgegangen wird. Diese Vermutung kann für den ungarischen Fall besonders dadurch gestärkt werden, dass die Populisten dort in der Regierung sitzen und zudem nach Vollzug der demokratischen Erosion eine unkonsolidierte Demokratie vorlag, was den Einfluss der Populisten verstärkt haben könnte. Diese beiden Aspekte sprechen für stärkere und negativere Effekte des Populismus. Die Hypothesen bezüglich dieser beiden Übergänge lauten somit wie folgt:
H1a: Im Prozess der demokratischen Erosion zeigt der Populismus negative Auswirkungen auf die Demokratie in Ungarn und trägt zu einer Abstufung des politischen Systems bei.
H1b: Im Prozess des demokratischen Breakdowns zeigen sich eher negative Auswirkungen des Populismus auf die Demokratie und der Populismus trägt dazu bei, dass dieser Prozess in Ungarn abgeschlossen wird.
Für den mexikanischen Fall kann, wie ich im weiteren Verlauf darstellen werde, demgegenüber von einem Demokratisierungsprozess gesprochen werden (siehe Abbildung 1). Konkret handelt es sich hierbei im Untersuchungszeitraum um eine demokratische Transition (siehe Kapitel 4.1). Dies bedeutet das politische System entwickelte sich von einer elektoralen Autokratie hin zu einer elektoralen Demokratie. Dabei gehen die Autoren von einem uneindeutigen Einfluss des Populismus auf die Demokratisierung aus. Demnach ist es durchaus denkbar, dass sowohl positive als auch negative Effekte festzustellen sind. Mudde und Kaltwasser beschreiben allerdings eher eine konstruktive Rolle der Populisten in dieser Phase, da sie die Etablierung von freien und fairen Wahlen unterstützten (Mudde/ Kaltwasser 2017: 88). Ich bin ähnlicher Ansicht und gehe eher von positiven Aspekten aus, da Populisten zudem versucht haben könnten als Sprachrohr für die Benachteiligten zu agieren, um die Demokratie zu etablieren und die Herrschaft des Volkes zu ermöglichen. Dagegen spricht allerdings, das mit der „Institutional Revolutionary Party“ PRI auch Populisten regierten, was wie oben gezeigt wurde eher für einen negativeren Einfluss spricht. Meine Hypothese lautet dennoch wie folgt:
H2: Während der demokratischen Transition in Mexiko gibt es eher positive Effekte des Populismus auf diesen Übergangsprozess und der Populismus trägt dazu bei, dass der Prozess abgeschlossen werden kann.
Abbildung 1: Darstellung der Effekte des Populismus auf die verschiedenen Transitionsphasen zwischen autokratischen und demokratischen Staatsformen, nach: (Mudde/ Kaltwasser 2017: 87).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3. Varieties of Democracy – Ein Überblick über eine neue Demokratiemessung
Als Messinstrument für meine Analyse habe ich „Varieties of Democracy“ (V-Dem) ausgewählt und werde nun kurz auf deren Konzeptualisierung und Demokratietypologie eingehen.
Das Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, die verschiedenen Komponenten der Demokratie in nahezu allen Staaten der Erde über einen langen Zeitraum zu messen und dabei die Schwierigkeiten bisheriger Messungen zu vermeiden und stellt somit ein gutes Instrument für meine Untersuchung dar (vgl. Munk/Verkuilen 2009: 13-37; Coppedge et al. 2016: 580 f.). Sie untersuchen 201 Länder in einem Zeitraum seit 1789 und arbeiten mit über 3.000 Forschern und Experten zusammen (Lührmann et al. 2018a: 4 f.; 8). Auch Ungarn und Mexiko werden von dem Projekt analysiert, was eine detaillierte Betrachtung bezüglich der entsprechenden (De-)Demokratisierung ermöglicht.
Konzeptionelles Vorgehen und Datenerhebung bei V-Dem im Überblick
V-Dem stellt eine breite Demokratiekonzeption auf, in der fünf Hauptdimensionen und Kriterien für das Vorhandensein einer Demokratie festgelegt sind. Als bedeutendstes Element kann die elektorale Komponente genannt werden. Hierbei wird sich an Dahls Polyarchiekonzept (vgl. Dahl 1971; siehe Kapitel 2.2) orientiert. Es geht unter anderem darum, ob gewählte Mandatsträger vorhanden sind, freie und faire Wahlen stattfinden und Versammlungsfreiheit besteht. Diese und andere Kriterien werden zur Bewertung in weitere Unterindikatoren aufgegliedert. Ähnlich wird bei den anderen Hauptdimensionen (liberale, partizipatorische, deliberative und egalitäre Komponente) vorgegangen. Dieses Vorgehen ermöglicht aufgrund der disaggregierten Datenerhebung eine differenzierte Betrachtung. Zudem zählt es zu den Vorteilen mit diversen Länderexperten zusammenzuarbeiten. Die Möglichkeit der Kooperation mit verschiedenen Forschern ermöglicht es, dass nahezu jede Frage zu einem Land von fünf Experten beantwortet wird und eine valide Datengrundlage geschaffen wird (Coppedge et al. 2016: 581-584). Der Vorteil ist, dass mögliche Befangenheiten und kulturelle Unterschiede durch das gegenseitige Abgleichen vermindert werden (Lührmann et al. 2018a: 9 f.). Der Demokratieindex wird zweischrittig bestimmt. Zunächst werden die Hauptindizes gebildet und anschließend entsteht der Gesamtindex (Coppedge et al. 2016: 585-588).
Die Typologie der Demokratie nach Varieties of Democracy
Die neu entwickelte Regimeklassifizierung „Regimes of the World“ (RoW) von V-Dem ermöglicht eine transparentere, validere und reliablere Messung verschiedener Typen von Demokratien und Autokratien als bisherige Typologien. Dies wird unter anderem durch die hohen Anforderungen an die Expertenauswahl und ihre Messmethoden ermöglicht. Es gibt vier Hauptkategorien politischer Systeme, wobei es jeweils zwei demokratische Ausprägungen (liberal vs. elektoral) und zwei autokratische Formen (elektoral vs. geschlossen) gibt (Lührmann/ Tannenberg/ Lindberg 2018b : 60-71).
Betrachtet man diese Kategorien wird zunächst zwischen demokratisch und autokratisch unterschieden. Hierbei steht im Vordergrund, ob es in einem Staat, freie und faire Wahlen gibt und grundlegende institutionelle Vorgaben erfüllt werden. Ist dies der Fall gilt das politische System als Demokratie. Fehlt eine Voraussetzung findet eine Einteilung als Autokratie statt. Anschließend findet im demokratischen Spektrum eine Gliederung hinsichtlich des Vorhandenseins liberaler Prinzipien, wie dem Minderheitenschutz oder Rechtsstaatlichkeit statt. Dabei werden einige dieser Anforderungen bei den elektoralen Demokratien verletzt und bei der liberalen Form weitestgehend erfüllt. Ergänzend beschreiben Mudde und Kaltwasser, dass in liberalen Demokratien eine unabhängige Judikative und allgemein eine starke Kontrolle der Machthaber stattfindet, wohingegen sich die Elektoraldemokratie durch schwache Institutionen und Schwierigkeiten bei der Rechtsstaatlichkeit auszeichnet (Mudde/ Kaltwasser 2017: 86; Lührmann/ Tannenberg/ Lindberg 2018b : 60-71).
Die autokratischen Staaten unterscheiden sich durch die Möglichkeit einer Mehrparteienwahl (eingeschränkte Opposition) der Exekutive und Legislative. Dies wird bei geschlossenen Autokratien anders als bei der elektoralen Form mindestens bei einer dieser Gewalten, nicht gewährleistet (Mudde/ Kaltwasser 2017: 86; Lührmann/ Tannenberg/ Lindberg 2018b: 62-65). Eine Übersicht der Klassifikation befindet sich im Anhang (siehe Anhang Tabelle 1).
Für meine Analyse habe ich die entsprechenden Untersuchungszeiträume sowie den RoW-Indikator der zu untersuchenden Staaten ausgewählt und über die „Online-Graphing“ Funktion von V-Dem ausgeben lassen (siehe Kapitel 4.1, Abbildung 2 und 3). Dieses Vorgehen ist sinnvoll, um im Anschluss den Einfluss der Populisten auf die jeweiligen Entwicklungen darstellen zu können.
4. Auswirkungen von Populismus auf politische Systeme
Im nun folgenden Kapitel soll eine genauere Betrachtung zweier ausgewählter Systeme erfolgen, um den vermuteten Einfluss des Populismus zu prüfen. Bevor eine genaue Fallanalyse Ungarns und Mexikos erfolgt, soll zunächst eine Begründung von Fallauswahl und Untersuchungszeittraum stattfinden. Zudem werde ich die Veränderungen bezüglich der Einordnung beider politischer Systeme in die Demokratietypologie nach V-Dem vornehmen.
4.1 Fallauswahl, Untersuchungszeitraum und Verortung der politischen Systeme mit Hilfe von V-Dem
Ziel dieser Arbeit ist es, die verschiedenen Einflussmöglichkeiten des Populismus auf verschiedene (De)Demokratisierungsprozesse zu untersuchen. Demnach war es von Interesse, die Fallauswahl dahingehend zu treffen, dass die Vermutungen zu diesem Einfluss für die ausgewählten Staaten in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Es sollte also je ein Staat mit vermutet positiven und vermutet negativen Effekten ausgewählt werden.
Der ungarische Fall stach bei der Betrachtung negativer Fälle heraus. Zum einen können in Ungarn seit 2010 zwei Transitionsprozesse beobachtet werden, was eine genauere Betrachtung interessant erscheinen lässt. Zunächst fand direkt nach der Regierungsübernahme der Fidesz-Partei zwischen 2009 und 2010 eine demokratische Erosion3 statt und aus der liberalen Demokratie wurde eine Elektoraldemokratie. Zwischen 2017 und 2018 vollzog sich anschließend der nächste De-Demokratisierungsprozess, der demokratische Breakdown4 und aus der elektoralen Demokratie wurde eine elektorale Autokratie (siehe Abbildung 2). Zum anderen sitzen die Populisten der FIDESZ-Partei mit absoluter Mehrheit in der Regierung, was ihnen große Gestaltungsmöglichkeiten gewährt. Ein weiterer Grund für die Fallauswahl war, dass die Machtoptionen von der populistischen Regierung scheinbar auch genutzt wurden und diverse Prozesse (Verfassungsänderung, Schwächung von Institutionen und Medien) festgestellt werden, welche auf eine De- Demokratisierung hinweisen (Bundeszentrale für politische Bildung 2020: 1). Aus den genannten Gründen schien mir eine Betrachtung Ungarns lohnenswert, um die negativen Einflüsse des Populismus auf die Demokratie, sowie mögliche Hintergrundprozesse herauszuarbeiten. Hieraus ergibt sich ebenfalls der Untersuchungszeitraum von 2009-2019. Dieser Zeitraum war jener, indem sich die beiden Transitionsprozesse unter populistischer Führung vollzogen.
[...]
1 Da die zentrale Frage dieser Arbeit auf den Effekten des Populismus im Allgemeinen und keiner spezifischen Differenzierung zwischen Rechts- und Linkspopulismus liegt, wird auf eine genauere Differenzierung beider Populismusformen verzichtet.
2 Transition/ (De)Demokratisierungsprozess: Prozess des Überganges zwischen autokratischen und demokratischen Staatsformen. Minimale institutionelle Bestandteile müssen vorhanden sein (z.B. freie und faire Wahlen). (De)Demokratisierung bezeichnet den umgekehrten Prozess. Beide Phänomene unterscheiden sich von Liberalisierungs- und Konsolidierungsprozessen (Huntington 1991: 5-13; Collier 2001: 213-217).
3 Demokratische Erosion: Der Prozess kennzeichnet sich durch die Schwächung von Institutionen, der Judikative und Minderheitenrechten, nach: (Mudde/ Kaltwasser 2017: 90f..).
4 Demokratischer Breakdown: Der Prozess zeichnet sich vor allem durch die Abschaffung freier und fairer Wahlen aus, nach: (Mudde/ Kaltwasser 2017: 91f.)