Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob und inwiefern das Spiel mit Figuren und Puppen Einfluss auf die Subjekt-Entwicklung des Menschen hat. Sie beginnt in der frühen Kindheit. Kapitel 2 befasst sich mit dem kindlichen Spiel und den die Kindheit begleitenden Objekten. In Kapitel 3 wird der Einfluss von Puppen auf das spätere Leben und das Subjekt im Figurentheater für Erwachsene und in der Therapie erarbeitet.
Da die Begriffe Subjekt und Figurenspiel verschieden verstanden werden können, sollen sie zunächst für diese Arbeit definiert werden. Unter der „Subjektgenese“ ist zunächst das Herausbilden eines als geschlossen wahrgenommenen Ichs zu verstehen. Dieses entsteht in den erste Lebensmonaten. Es soll innerhalb dieser Forschungsfrage aber ein erweiterter Subjektbegriff ins Auge gefasst werden. Darunter fällt ein Erlernen sozialer Fähigkeiten des Kindes, das beeinträchtigte Subjekt im Laufe des Lebens, sowie die Frage nach der tatsächlichen Geschlossenheit des unteilbaren Individuums. Das Subjekt ist insgesamt ein dynamisches System, das eigene Überzeugungen und Erinnerungen, aber auch herstellende, festigende und verändernde Prozesse einschließt.
Zum Erlernen sozialer Fähigkeiten und Alltagswissen und zum Verstehen der Perspektive anderer ist der Subjektivierungsprozess vornehmlich aus praxistheoretischer Perspektive zu betrachten. Das Subjekt konstituiert sich aus dieser Perspektive zunächst über vor-intentionale Prozesse, die dadurch irritiert werden, dass sie auf Handlungsweisen stoßen, die dem Ich noch fremd sind. Beide Prozesse werden dann verwoben. Im Falle dieser Arbeit sollen speziell Prozesse der Objektnutzung betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Struktur und Begriffsklärungen
2. Das frühkindliche Spiel in der Subjektgenese
2.1. Das dezentrierte Subjekt
2.2. Der Ort an der Grenze: das intermediäre Feld
3. Die Rolle des Puppenspiels in derWeiterentwicklung der lch-ldentität in Adoleszenz und Erwachsenenalter
3.1. Theatertheoretische Betrachtung des Figurenspiels in Bezug zur lch-ldentität
3.2. Figurentheater als Therapie
4. Fazit
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Holler&Götz, 2011, S.18. Funktionen derGefährten der Kindheit
Abbildung 2: Mittelwerte sowie Standardfehler der Mittelwerte der Experimental- und Vergleichsgruppe für alle drei Messzeitpunkte für die Zufriedenheit mit sich selbst. Domkowsky, 2011, S.387
Abbildung 3: Mittelwerte sowie Standardfehler der Mittelwerte der Experimental- und Vergleichsgruppe für alle drei Messzeitpunkte für die generalisierte Selbstwirksamkeitserwartung. Domkowsky, 2011, S.444
Abbildung 4: Figurentheater Wilde & Vogel. Aus „Krabat“
Abbildung 5: FigurentheaterWilde & Vogel. Mischwesen aus "Spleen"
Abbildung 6: Figurentheater Wilde & Vogel. Aus „Sibirien“
Abbildung 7: Jonathan Capdevielle in „Jerk“
1. Struktur und Begriffsklärungen
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob und inwiefern das Spiel mit Figuren und Puppen Einfluss auf die Subjekt-Entwicklung des Menschen hat. Sie beginnt in der frühen Kindheit. Kapitel 2 befasst sich mit dem kindlichen Spiel und den die Kindheit begleitenden Objekten. In Kapitel 3 wird der Einfluss von Puppen auf das spätere Leben und das Subjekt im Figurentheater für Erwachsene und in der Therapie erarbeitet.
Da die Begriffe „Subjekt“ und „Figurenspiel“ verschieden verstanden werden können, sollen sie zunächst für diese Arbeit definiert werden. Unter der „Subjektgenese“ ist zunächst das Herausbilden eines als geschlossen wahrgenommenen lchs zu verstehen. Dieses entsteht in den erste Lebensmonaten. Es soll innerhalb dieser Forschungsfrage aber ein erweiterter Subjektbegriff ins Auge gefasst werden. Darunter fällt ein Erlernen sozialer Fähigkeiten des Kindes, das beeinträchtigte Subjekt im Laufe des Lebens, sowie die Frage nach der tatsächlichen Geschlossenheit des unteilbaren Individuums. Das Subjekt ist insgesamt ein dynamisches System, das eigene Überzeugungen und Erinnerungen, aber auch herstellende, festigende und verändernde Prozesse einschließt (Hurrelmann et al., 2015, S.662). Zum Erlernen sozialer Fähigkeiten und Alltagswissen und zum Verstehen der Perspektive anderer ist der Subjektivierungspro- zess vornehmlich aus praxistheoretischer Perspektive zu betrachten (Freist, 2013, 5.162) . Das Subjekt konstituiert sich aus dieser Perspektive zunächst über vor-intentio- nale Prozesse, die dadurch irritiert werden, dass sie auf Handlungsweisen stoßen, die dem Ich noch fremd sind. Beide Prozesse werden dann verwoben (Freist, 2013, 5.163) . Im Falle dieser Arbeit sollen speziell Prozesse der Objektnutzung betrachtet werden. In der Kindheit sind dies meist Kuscheltiere (Fooken, 2012, S.34) und in Medien vorgestellte Figuren wie Actionhelden (Fooken, 2014, S.209). Der Figurentheaterbegriff bezieht sich auf den Begriff Wagners als aktuelle Praktiken, in denen Figurenspieler*in- nen gemeinsam mit den Figuren auftreten. Letztere werden in der Schwebe gehalten zwischen „dramatischer Rolle, plastischem Objekt und symbolischem Wert“ (Wagner, 2003, S.36). Die Begriffe „Figurenspiel“ und „Puppenspiel“ werden hier synonym gebraucht. Die therapeutische Puppe unterscheidet sich von der Theaterfigur. Sie kann einem erkrankten Subjekt helfen, sich neu zu generieren. Daher soll auch diese Art der Puppe hier beschrieben werden.
Neben theoretischen Schriften fließen Praxisbeispiele in die Argumentation ein. Die empirische Forschungslage zum Figurenspiel in Bezug auf seine Auswirkungen auf das Subjekt, besonders die aktuelle Forschung, ist aber dünn, sodass ähnliche Studien auf diesen Bereich übertragen werden müssen. Zur Figurentheater-Theorie werden Praxisbeispiele angeführt, um die Thesen zu überprüfen und zu veranschaulichen. Die Bedeutung des kindlichen Spiels als solches soll hier nicht näher beleuchtet werden, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Das theatrale Spiel wird nur zur Einordnung des Figurentheaterspiels Erwähnung finden. Es wird hier das figurale Objekt im Fokus stehen, das den Menschen im Laufe seines Lebens begleitet. Dennoch ist der Spielcharakter der Dinge von Interesse. Fuhs weist darauf hin, dass der Verfügungsbereich der Objekte für Kinder sich in „Spielkindheit“ und „Bildungskindheit“ aufspaltet (Fuhs, 2014, S.64). Der Bildungsaspekt ist für diese Arbeit nicht von Bedeutung.
2. Das frühkindliche Spiel in der Subjektgenese
Da das Kleinkind noch nicht über sprachliche Ausdrucksfähigkeit verfügt (Hurrelmann et al., 2015, S.663), kann man sich nur über Beobachtung und Deutung kindlichen Verhaltens an die Selbstwahrnehmung in frühester Kindheit herantasten. Die Forschung ist sich deshalb uneinig, was das kindliche Erleben der ersten Lebensmonate betrifft. Die traditionelle Säuglings- und Kleinkindforschung geht eher von undifferenzierten Erfahrungen aus. Der Säugling kann nach diesem Ansatz nicht sich selbst und die Umwelt unterscheiden. Die neuere Säuglingsforschung hingegen formuliert eine von Geburt an gegebene Differenz zwischen Kind und Umwelt, jedoch wird auch hier eine Undifferenziertheit der Wahrnehmungen zugestanden. Es ist davon auszugehen, dass Neugeborene in der Regel mit funktionierenden, wenn auch eingeschränkten, Sinnen geboren werden, die ersten Sinneseindrücke aber zunächst strukturieren müssen, um diese Wahrnehmungen Objekten und Phänomenen zuzuordnen. Dabei können sie die einzelnen Sinneswahrnehmungen noch nicht voneinander trennen (Schäfer, 2017, S.81). Zunächst erfolgt die tägliche Versorgung des Kindes unmittelbar. Erst wenn Wunsch und Erfüllung zeitlich auseinander treten, beginnt es seine eigene Existenz be- drohtzu sehen (Schäfer, 2017, S.82). Um die Angst zu überwinden, die sich besonders deutlich in der Abwesenheit der Bezugsperson zeigt, nutzt das Kind Objekte seiner Umwelt. Beispielhaft sei hier auf die Freudsche Fadenspule hingewiesen, die mit einem Laut, der womöglich „fort“ bedeutet, vom Kind aus dem Bettchen geworfen wird und sogleich wieder hereingezogen und mit einem freudigen ,,A-a“ begrüßt. Zwar wird diese Szene verschieden gedeutet, Einigkeit herrscht aber weitestgehend darüber, dass das Kind sich durch dieses Verhalten über das Gefühl des Ausgeliefertseins erhebt und die Einsamkeit beherrscht (Gekle, 1996, S.176ff.). Durch Beobachtung der Umwelt und der Bezugspersonen und deren Imitation erweitert sich das Selbst und integriert einen Blick von außen (Schäfer, 2017, S.88). Unter anderen sieht Schwab in der Kombination aus dem Blick der Mutter, der das Kind spiegelt, und dem eigenen Blick in den Spiegel, der dem Kind erlaubt, sich selbst von außen zu sehen, die Grundlage des Selbst angelegt (Schwab, 1982, S.68). Etwa ab dem zweiten Lebensjahr imitiert das Kind nicht nur Verhaltensweisen anderer, sondern verbindet sie mit eigenen Erlebnisanteilen, probiert sich aus und gestaltet neue Verhaltens- und Denkmuster. Dies gelingt besonders im Spiel (Schäfer, 2017, S.91).
2.1. Das dezentrierte Subjekt
Der heutige Subjektbegriff geht von einem in sich geschlossenen und autonomen Ich aus. Dieser Gedanke entstammt der klassischen Subjektphilosophie der frühen Moderne. Das Ich agiert dabei als „irreduzible Instanz der Reflexion, des Handelns und des Ausdrucks, welche ihre Grundlage nicht in den kontingenten äußeren Bedingungen, sondern in sich selber findet.“ (Reckwitz, 2008, S.12) Somit ist es zentriert, von der Welt separiert, selbstbestimmt und uneingeschränkt handlungsfähig. Dagegen versuchen Sprachphilosophen, Strukturellsten und Poststrukturalisten, wie Marx, Freud, Nietzsche, Heidegger, Wittgenstein, Foucault, Derrida, oder auch Schwab eine Dezentrierung des Subjektes nachzuweisen (Reckwitz, 2008, S.12). Freud legt dabei seinen Fokus auf den Einfluss der Umwelt. Das Subjekt nimmt Objekte der Außenwelt partiell in sich auf und identifiziert sich mit ihnen. (Freud, 1921, S.70). Schwab hält diese Aufnahme von Äußerem ins Innere für elementar, um ein Selbst aufbauen zu können (Schwab, 1982, S.64). Diese Einlagerung von etwas Fremdem mit Hilfe der Objekte verdeutlicht die Offenheit des Subjektes, also eine Dezentrierung.
2.2. Der Ort an der Grenze: das intermediäre Feld
„Können wir einerseits davon ausgehen, dass das Imaginäre all unsere Lebensbereiche durchdringt, so bildet sich andererseits schon früh auch ein besonderer Ort aus, der dem Imaginären vorbehalten wird: der des Spiels und später der kulturellen Erfahrungen. Es ist der Ort jener kreativen Aktivitäten, die an den fortwährenden individuellen und kollektiven Bildungen von Subjektivität beteiligt sind.“ (Schwab, 1982, S.65)
Diesen Ort nennt Winnicott „intermediäres Feld“. Er dient dem Aufbau von Ich-Gren- zen, ist aber zugleich innen und außen, Ich und Nicht-Ich, also ein Ort an der Grenze, der zu allen Seiten überschritten werden kann (Schwab, 1982, S.71f.). An diesem Ort finden sowohl die von Winnicott als „Übergangsphänomene“ bezeichneten Handlungen wie das Daumenlutschen Platz als auch „Übergangsobjekte“ wie Kuscheltiere und Deckenzipfel (Winnicott, 1995, S.15). Im Laufe der Kindheit wandelt sich die Funktion des Spiels, sowie die Funktion des Spielobjekts. Zunächst zeigt Winnicott die Nähe des De- ckenzipfels, an dem das Kind lutscht, zur mütterlichen Brust auf, wobei es gleichzeitig aber nicht die Brust ist, sondern symbolisch für sie steht (Winnicott, 1995, S.15). Dieser frühe Umgang mit Objekten dient der Förderung der Sensomotorik, das Kind entdeckt die Welt mit allen Sinnen, erfährt seine Handlungsfähigkeit und übt Macht und Kontrolle. So begleiten Gegenstände die ersten Schritte in die Selbständigkeit des Kindes (Fooken, 2014, S.209); (Fooken, 2012, S.39). Kindergartenkinder nutzen Plüschtiere und Puppen, um die beobachtete Welt nachzuahmen, Alltagserfahrungen zu verarbeiten und um eigene Gefühle auf sie zu projizieren. Ab der Schulzeit helfen die Gefährten1 der Kindheit beim Verinnerlichen gesellschaftlicher Normen und Rollen und sind so an der Identitätsentwicklung des Kindes beteiligt (Fooken, 2012, S.39f.).
Die Art der aktuellen Übergangsobjekte von Kindern in Deutschland, deren Funktionen im Alltag und die Veränderung im Generationenvergleich, untersuchte erstmals eine breit angelegte Studie der Stiftung „Chancen für Kinder durch Spielen“ und des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). Dabei wurden in einer Repräsentativbefragung über 700 Mütter zu den wichtigen Spielsachen ihrer ein- bis sechsjährigen Kinder befragt. Zudem werden Tagebuchaufzeichnungen der Eltern über den Zeitraum von sechs bis acht Wochen zu Rate gezogen, in denen sie vom Umgang ihrer zwei- bis achtjährigen Kinder mit ihren Begleitern berichten. Zuletzt erzählten über 50 Kindergartenkinder selbst in Einzelinterviews dem Forschungsteam von ihren Spielsachen (Holler & Götz, 2011, S.3). Dabei ist festzustellen, dass drei von vier Kindern einen Gefährten besitzen, den die Mutter benennen konnte. Meist handelt es sich um Plüschfiguren, erst ab dem dritten Lebensjahr werden für vier von zehn Mädchen auch Puppen relevant (Holler & Götz, 2011, S.4). In der Studie werden die Funktionen der Plüschtiere als emotionale Versicherung, Alltagsbewältiger und Spielpartner im Rollenspiel, das zur Aufarbeitung von Erlebnissen dient, kurz als Hilfen zur Selbst-Bildung herausgearbeitet (Holler & Götz, 2011, S.7). Im Rollenspiel kann es vorkommen, dass die Plüschfigur die Rolle des aufmüpfigen Kindes einnimmt, während das Kind in der Rolle des Erwachsenen die Regeln durchsetzen möchte (Holler & Götz, 2011, S.13). Die Figur genießt Narrenfreiheit und ermöglicht ein spielerisches Austesten der Grenzen. Die Grafik von Holler und Götz (Abb. 1) zeigt die häufigsten Funktionen der Gefährten der Kinder aus Sicht ihrer Mütter an.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Holler & Götz, 2011, S.18. Funktionen der Gefährten der Kindheit.
Die häufigste Funktion der Gefährten ist die Einschlafhilfe (90,2%), gefolgt vom Trost, wenn es dem Kind schlecht geht (87,7%), weil es ihm ganz allein gehört (83,1%), zum Spielen und Spaß haben (82,9%) und als Begleiter bei besonderen Ereignisse (81,4%). Unter 80% fallen Funktionen wie Bewegungsspiele (76,2%), als Gefährte, um den das Kind sich kümmern kann (64,3%), als Stellevertreter für Gefühlsausdrücke (62,4%), zum Anvertrauen (61%), zum Spielen von Fantasiegeschichten (58%), Nachspielen erlebter Situautionen (58%), Austesten von Grenzen (49,3%) und um Gleichaltrigen von dem Liebling zu erzählen (48,6%).
Nach eigenen Angaben schätzen die Kinder vor allem die Haptik ihrer Kuscheltiere, sowie deren daraus resultierende tröstende Funktion (Holler & Götz, 2011, S.21f.). Den Antworten der Kinder dieser Studie merkt man an, dass für sie die Figuren ein Eigenleben führen. Das Kuscheltier denkt, widersetzt sich Regeln, hat Angst oder ist mutig und beschützt das Kind. Fooken weist darauf hin, dass diese Beseelung nicht nur bei menschenähnlichen Figuren passiert, sondern auch bei Objekten, deren Lebendigkeitspotential nicht offensichtlich ist. Hierbei spielen die mentale Struktur und aktuelle Bedürfnislage des Kindes eine Rolle, sowie kulturgebundene Wahrnehmungsmuster (Fooken, 2014, S.200). Darüber hinaus neigen, laut Fooken, Kinder im Allgemeinen dazu, Gegenstände zu animieren und zu anthropomorphisieren. Sie führt die empirische Puppenuntersuchung von Ellis und Hall an, die dieses Phänomen mit dem Begriff „Puppeninstinkt“ beschreiben und eine Vielzahl von Dingen in der Lebenswelt dervon ihnen untersuchten 845 Mädchen und Jungen erwähnen, die von diesen Kindern als Puppenersatzobjekte gewählt und somit „puppifiziert“2 wurden. Darunter befinden sich Kopfkissen, Besen, Knöpfe, Haarbürsten, Hausschuhe, Löffel, Blumen, Bleistifte, Wäscheklammern und Obst und Gemüse (Ellis & Hall, 1897, S.46). Oerter weist darauf hin, dass Kinder in der Lage sind, die eigentliche Funktion des Objektes zu einer eigenen Funktion umzudeuten (Oerter, 1999, S.51). Die genannten Beispiele unterstützen diese These.
Fooken befürchtet heute einen Rückgang des Spielzeugs, das ein freies, manchmal anarchisches Spiel erlaubt. Es weiche Spielsachen, die mit einem „normierenden und formativen Sozialisationsdruck“ einhergehen (Fooken, 2012, S.35). Auch Rittelmeyer sieht grade in den Gegenständen mit Interpretationsspielraum das besondere Spielpotential, das die Fantasie der Kinderweckt:
„In der Hingabe an den Gegenstand gibt das Kind nur dann sein eigenes Wollen nicht auf, wenn dasselbe trotz der Bestimmtheit des Gegenstandes diesen noch mitbestimmt: Die Andersheit der Puppe muss auch graduell im Spielenden >aufgehen<, d.h. für dessen Phantasie, für dessen Ich offen sein“ (Rittelmeyer, 1989, S.113zit. n. Fooken, 2014, S.204)
Auf der anderen Seite wird Kinderspielzeug in der heutigen Realität immer spezifischer und lässt kaum noch Raum für Interpretation (Fooken, 2014, S.203). Barbiepuppen, Baby Born und Lillifee sind wenig bewegliche Puppen, die reproduktives Spiel erfordern, aber kaum Vielfalt in der Nutzung bieten (Fooken, 2012, S.34). Hierbei handelt es sich außerdem um genderspezifisches Spielzeug, also Action-Figuren, deren überzogene Männlichkeit als Vorbild für die Jungen dient, und ,,hyperfeminine[...] Puppenfiguren“ (Fooken, 2014, S.209), die den Mädchen stereotype Schönheitsideale vermitteln. Besonders im Grundschulalter sind diese Schönheitsnormen für Mädchen prägend (Fooken, 2014, S.210). Wie stark der Einfluss des Vorbildes Puppe bereits auf Vorschulkinder ist, zeigt eine Studie von Leni Vieria Dornelles aus dem Jahr 2013. Hier konstatieren dunkelhäutige Vorschulkinder beim Anblick einer dunkelhäutigen Puppenfee, dass es sich um eine böse Fee handle, der man die schwarze Haut entfernen und durch eine weiße ersetzen müsse (Dornelles, 2013); (Fooken, 2014, S.211). Zwar sind besonders kleinere Kinder dem Einfluss ihrer Kindheitsgefährten ausgeliefert, jedoch entwickeln Kinder auch eigenes Interesse an dem Besitz bestimmter Figuren, die sie z.B. aus den Medien kennen, und investieren ihr Taschengeld in eben diese Spielsachen (Fuhs, 2014, S.84).
3. Die Rolle des Puppenspiels in derWeiterentwicklung der lch- Identität in Adoleszenz und Erwachsenenalter
Die Adoleszenz ist eine Phase, in der die eigene Identität stark durch Umfeld, bestimmte Werte, und die Auseinandersetzung mit sich selbst geprägt wird. Hierbei spielen Puppen eine eher untergeordnete Rolle. Es kommt vor, dass Kuscheltiere erneut zur emotionalen Stabilisierung genutzt werden oder dass eine Auseinandersetzung mit Normen über Puppen erfolgt, wie z.B. Schönheitsnormen anhand von Barbiepuppen (Fooken, 2012, S.40). Dennoch sind Puppen hier weniger an der Identitätsbildung beteiligt. Doch auch im späteren Leben, bis hin zum Erwachsenenalter können Figuren dazu dienen, das Selbst zu stabilisieren oder zu hinterfragen. Stabilisierende Wirkung haben Therapiepuppen, Theaterpuppen hingegen haben die Fähigkeit, Körperbilder und Selbstbilder zu dekonstruieren und in der leicht veränderten Wiederholung performativ Normen zu unterlaufen.
3.1. Theatertheoretische Betrachtung des Figurenspiels in Bezug zur lch- Identität
Im theatralen Figurenspiel ist zunächst zu unterscheiden zwischen dem aktiven Puppenspiel und der rezipierten Verarbeitung von Figurenspiel-Erfahrungen.
Eine ausführliche Studie zu der Auswirkung von aktivem Theaterspiel auf die Identitätsentwicklung und das Selbstkonzept von Jugendlichen hat Domkowsky 2011 vorgenommen. Er stellt hier u.a. fest, dass das Theaterspiel einen positiven Einfluss auf die Selbstzufriedenheit der Jugendlichen hat (Domkowsky, 2011, S.387). Auch die Selbstwirksamkeit und Selbstwirksamkeitserwartung ist bei Theater spielenden Jugendlichen größer (Domkowsky, 2011, S.444), sowie einige andere Größen, die für die Identitätsentwicklung eine Rolle spielen. Diese Studie beinhaltet aber keine Auswirkungen des Puppenspiels auf jugendliche.
[...]
1 Im Falle der Puppen und Kuscheltiere wird aufgrund ihres Objektcharakters auf das Gender-Gap verzichtet.
2 Versuch einer Übersetzung des von Ellis & Hall verwendeten Begriffs ,, dollified“