Seit Jahren gibt es in Deutschland eine öffentliche Diskussion die Situation der Berufsausbildung betreffend. Vorherrschend ist dabei die Debatte um die Reife der Auszubildenden vor dem Hintergrund der wachsenden Anzahl von unbesetzten Lehrstellen zu Beginn eines jeden Ausbildungsjahres. Verstärkend wirkt zudem das „schlechte Abschneiden der deutschen Schüler in internationalen Schulvergleichen […] [und die] regelmäßige Feststellung[…] von sinkenden Rechen- und Lesefähigkeiten der Bewerber um Ausbildungsstellen“ (Ratschinski 2012).
Einer immer größeren Anzahl von Jugendlichen gelingt es heutzutage nicht mehr, direkt nach Beendigung ihrer allgemeinbildenden Schule in ein Ausbildungsverhältnis übernommen zu werden. Viele Arbeitgeber beklagen seit einiger Zeit deren gesunkene Reife beim Übergang in die Berufsausbildung. Doch nicht nur sie trifft die Kritik. Was die Maßstäbe zur Feststellung der Eignung potentieller Auszubildender betrifft, wird in zunehmendem Maße den Beratungsstellen der Bundesagentur für Arbeit eine Fehleinschätzung vorgeworfen. (Hammel 2009)
Angesichts dieser anscheinend gravierenden Diskrepanz zwischen den Anforderungen seitens der Betriebe und den bereits erworbenen Kompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber untersucht die vorliegende Arbeit den Einfluss des Reifegrades bei Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses. Es soll vor allem der Frage nachgegangen werden, ob es sich dabei um ein bereits überholtes Konzept handelt oder ob die so genannte Ausbildungsreife ein tatsächliches Hindernis darstellt, besonders für Jugendliche mit Hauptschulabschluss.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Ausbildungsreife von Jugendlichen
2.1 Begriffsklärung
2.2 Der Stellenwert der Ausbildungsreife
3 Der Übergang von der Schule in die Ausbildung
3.1 Die Erwartungen von Arbeitgebern
3.2 Die Übergangschancen von Hauptschülern
4 Kritik am Konzept der Ausbildungsreife
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Seit Jahren gibt es in Deutschland eine öffentliche Diskussion die Situation der Berufsausbildung betreffend. Vorherrschend ist dabei die Debatte um die Reife der Auszubildenden vor dem Hintergrund der wachsenden Anzahl von unbesetzten Lehrstellen zu Beginn eines jeden Ausbildungsjahres. Verstärkend wirkt zudem das „schlechte Abschneiden der deutschen Schüler in internationalen Schulvergleichen […] [und die] regelmäßige Feststellung[…] von sinkenden Rechen- und Lesefähigkeiten der Bewerber um Ausbildungsstellen“ (Ratschinski 2012: 27).
Einer immer größeren Anzahl von Jugendlichen gelingt es heutzutage nicht mehr, direkt nach Beendigung ihrer allgemeinbildenden Schule in ein Ausbildungsverhältnis übernommen zu werden. Viele Arbeitgeber beklagen seit einiger Zeit deren gesunkene Reife beim Übergang in die Berufsausbildung. Doch nicht nur sie trifft die Kritik. Was die Maßstäbe zur Feststellung der Eignung potentieller Auszubildender betrifft, wird in zunehmendem Maße den Beratungsstellen der Bundesagentur für Arbeit eine Fehleinschätzung vorgeworfen. (Hammel 2009: 5)
Angesichts dieser anscheinend gravierenden Diskrepanz zwischen den Anforderungen seitens der Betriebe und den bereits erworbenen Kompetenzen der Bewerberinnen und Bewerber untersucht die vorliegende Arbeit den Einfluss des Reifegrades bei Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses. Es soll vor allem der Frage nachgegangen werden, ob es sich dabei um ein bereits überholtes Konzept handelt oder ob die so genannte Ausbildungsreife ein tatsächliches Hindernis darstellt, besonders für Jugendliche mit Hauptschulabschluss.
Zunächst soll der Begriff der Ausbildungsreife und dessen Stellenwert näher beleuchtet werden. Anschließend ist auf den Übergang der Absolventinnen und Absolventen allgemeinbildender Schulen in die Ausbildung einzugehen. Dabei werden die Erwartungen der Arbeitgeber sowie die Übergangschancen von Hauptschülerinnen und Hauptschülern dargestellt. Im Folgenden soll dann die zahlreich geäußerte Kritik an dem Konzept erörtert und abschließend ein Fazit gezogen werden.
2 Die Ausbildungsreife von Jugendlichen
Der Generationenkonflikt ist zugegebenermaßen ein altes Phänomen und reicht bis in die Antike zurück, doch bekommt er immer wieder eine relevante Brisanz, wenn die Generation der Erwachsenen den Sittenverfall und die zunehmende Kompetenzverschlechterung der Jugend beklagt, da sie ihre eigene Kindheit idealisiert betrachten (Hammel 2009: 17). Die heutige Jugend gilt weithin als verdorben und unreif und in diesen Tenor stimmt die Wirtschaft bekräftigend ein. Doch obwohl das Konzept der Ausbildungsreife ein seit vielen Jahren diskutiertes Thema ist, mangelte es noch bis 2006 an einer gemeingültigen Definition.
2.1 Begriffsklärung
Bis zu den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts oblag die Berufsausbildung von Jugendlichen der Wirtschaft ohne Mitwirkung von Gewerkschaften. Dies änderte sich 1969 mit der Verabschiedung des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) und einer daraus resultierenden stärkeren staatlichen Steuerung zur Neugestaltung des Berufsbildungssystems (Riemer 2012: 34). Seither entwickelte sich die Debatte über die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zu einem der wichtigen Themen der Bildungspolitik, die ihren Höhepunkt in den Jahren 2003 und 2004 erlebte (ebd.: 33).
In Folge dessen wurde am 26. Juni 2004 von der Bundesregierung zusammen mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft ein „Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs“ geschlossen. Über die Dauer von drei Jahren sollte dieser die zentralen Probleme des Ausbildungssystems angehen. Ziel des Paktes war es demnach, „jedem ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Jugendlichen ein Angebot auf eine Berufsausbildung oder anderweitige Qualifizierung zu machen.“ (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftemangel in Deutschland 2009: 6).
In diesem Rahmen wurde zusätzlich ein Kriterienkatalog erstellt, der sich vorranging an Institutionen richtet, „die sich mit dem Übergang von der Schule in die Ausbildung beschäftigen und dabei immer wieder auf die Frage stoßen, welche Anforderungen die Wirtschaft an ihre künftigen Auszubildenden stellt“ (ebd.: 9). Der Katalog soll vor allem der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit als Orientierungshilfe bei der Beurteilung der Ausbildungsreife von Schulabgängerinnen und -abgängern dienen. Den Jugendlichen selbst bietet er die Möglichkeit die eigenen Kompetenzen bereits vor der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz zu evaluieren und mit den Mindestanforderungen der Betriebe abzugleichen.
Das vordergründige Ziel des Expertenkreises war somit die Entwicklung eines möglichst einheitlichen Konzepts der Ausbildungsreife. Im täglichen Sprachgebrauch werden Worte wie Ausbildungsreife, Ausbildungsfähigkeit und auch Ausbildungseignung sowie Berufseignung häufig gleichbedeutend verwendet. Da diese Begriffe jedoch keineswegs sinngleich sind, unterscheidet der Kriterienkatalog zwischen der Ausbildungsreife, der Berufseignung und der Vermittelbarkeit und charakterisiert diese Kompetenzkonzepte als aufeinander aufbauend (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Der Zusammenhang zwischen Ausbildungsreife, Berufseignung und Vermittelbarkeit
Quelle: Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland (2009): 12
Nach der Definition des Kriterienkatalogs zur Ausbildungsreife gilt eine Person dann als ausbildungsreif, „wenn sie die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit erfüllt und die Mindestvoraussetzungen für den Einstieg in die berufliche Ausbildung mitbringt.“ (ebd.: 13). Die berufsspezifische Befähigung spielt dabei noch keine Rolle, sondern ist Teil der Berufseignung. Gleiches gilt für Prognosen zu beruflichem Erfolg und damit einhergehender Zufriedenheit. Auch ist es für die Ermittlung der Ausbildungsreife zunächst nicht entscheidend, welche realen Chancen die Bewerberin oder der Bewerber auf dem Arbeitsmarkt hat. Diese Komponente wird erst bei der Prüfung der Vermittelbarkeit näher betrachtet. Entscheidend ist jedoch, dass die „Reife“-Metapher einen Prozess impliziert, und dass Jugendliche eine Entwicklung durchlaufen, die nicht zwingendermaßen mit der Beendigung der Schullaufbahn abgeschlossen sein muss. Vielmehr wird damit ausgedrückt, dass ein Jungendlicher, der im jetzigen Status seiner Entwicklung noch nicht als ausbildungsgreif angesehen wird, die Ausbildungsreife noch erreichen kann (ebd.: 14).
Der Kriterienkatalog, der für dieses Konzept von Experten erarbeitet wurde, stellt Mindestanforderungen dar, welche sich in fünf Merkmalsbereiche gliedern:
- „Schulische Basiskenntnisse
- Psychologische Leistungsmerkmale
- Physische Merkmale
- Psychologische Merkmale des Arbeitsverhaltens und der Persönlichkeit
- Berufswahlreife“ (ebd.: 17).
2.2 Der Stellenwert der Ausbildungsreife
Ziel des Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs war es, wie zuvor beschrieben, Klarheit bezüglich der Kompetenzanforderungen für einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben zu schaffen. Vor allem für die Berufsberatung, die eine wichtige Institution für den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung darstellt, ist der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife ein wichtiges Instrument bei der Einschätzung der Jugendlichen geworden.
Die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit ist eine der möglichen Anlaufstellen für Jugendliche, um Unterstützung bei der Berufsorientierung und der konkreten Lehrstellensuche zu erhalten. Zugleich wurde ihr vom Gesetzgeber der Auftrag erteilt, den Arbeitgebern geeignete Kandidatinnen und Kandidaten vorzuschlagen (Hammel 2009: 35). Der Berufsberater somit tritt oft als Mittler „zwischen den Ansprüchen der […] Ausbildungssuchenden auf der einen Seite und den Arbeitgebern, die geeignete Auszubildende suchen, auf der anderen Seite auf“ (ebd.: 36), wodurch oft ein Spannungsfeld zwischen Mindesteignung und Bestenauslese entsteht.
Im Rahmen der Berufsberatung wird jeder ratsuchende Jugendliche zunächst einer Eignungsbeurteilung unterzogen, wobei sowohl der Aspekt der Ausbildungsreife als auch der konkreten Berufseignung näher beleuchtet wird. Während eines Beratungsgesprächs erhebt der Berufsberater „die beruflichen Interessen, personalen und sozialen Fähigkeiten, die schulischen Basiskenntnisse sowie die physische und psychische Belastbarkeit“ (Struck 2012: 89). Anschließend folgt im Idealfall eine Analyse der Zeugnisse sowie weiterer Bewerbungsunterlagen. Auf Basis dieser Daten fällt der Berufsberater die „Entscheidung über die berufliche Eignung bzw. über die Ausbildungsreife des Ratsuchenden“ (ebd.). Nur Jugendliche, denen die Ausbildungsreife zugesprochen wird, werden bei der Bundesagentur für Arbeit als Bewerber geführt und Betrieben vermittelt (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftemangel in Deutschland 2009: 64). Ist die Ausbildungsreife zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben, können die Jugendlichen durch berufsvorbereitende Maßnahmen gefördert werden, sofern der Berufsberater die Möglichkeit sieht, dass die Ausbildungsreife in „einem angemessenen Zeitraum erreichbar ist“ (ebd.).
Kritisch an diesem Prozess der Eignungsfeststellung ist die latente Gefahr einer willkürlichen Beurteilung durch die Berufsberater, da es „keine exakte Messlatte für den Grad der Ausbildungsreife“ (Hammel 2009: 42) gibt. Des Weiteren hat der Berater nur die Möglichkeit den Ratsuchenden während weniger Gespräche und anhand seiner Unterlagen zu beurteilen, wodurch sich das Risiko einer voreiligen oder subjektiven Beurteilung ergibt (Struck 2012: 90). Ferner gibt der Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife keine Informationen darüber, wie mit Jugendlichen zu verfahren ist, denen die Erreichung der Ausbildungsreife abgesprochen wird.
3 Der Übergang von der Schule in die Ausbildung
Schülerinnen und Schüler, die kurz vor der Beendigung ihrer schulischen Laufbahn stehen, befinden sich häufig in einem Stadium des Umbruchs. Die Schulzeit neigt sich dem Ende zu und die jungen Erwachsenen stehen vor der Herausforderung sich neu zu orientieren und herauszufinden, welchen Beruf sie ergreifen möchten. Diese Suche nach einer neuen beruflichen Zielidentität verläuft jedoch bei vielen Jugendlichen nicht geradlinig, wodurch den Institutionen Schule und Berufsberatung eine große Unterstützerrolle zukommt (Hammel 2009: 9).
3.1 Die Erwartungen von Arbeitgebern
Das duale Berufsausbildungssystem in Deutschland soll ebendiesen Übergang von der Schule in das Berufsleben erleichtern, indem es theoretisches Wissen mit praktischem Können verbindet. Jedoch lässt sich seit vielen Jahren feststellen, dass immer mehr Lehrstellen unbesetzt bleiben, während gleichzeitig viele Schulabgänger keinen passenden Ausbildungsplatz finden und deswegen häufig in Übergangssystemen wie Berufsvorbereitungsmaßnahmen landen.
Im August 2013 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit noch 103.600 Lehrstellen unbesetzt, was einem Anstieg um zwei Prozent gegenüber dem Vorjahreswert entspricht (Bundesagentur für Arbeit 2013: 28). Dem gegenüber stehen 102.400 Jugendliche, die bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Ausbildungsplatz gefunden hatten, was sogar einem Anstieg von dreizehn Prozent gegenüber 2012 entspricht (ebd.). Vergleicht man diese Werte miteinander, zeigt sich, dass die noch offenen Lehrstellen die Zahl der unversorgten Jugendlichen sogar leicht übersteigt (ebd.). Somit hätte rein rechnerisch jeder Bewerber einen Ausbildungsplatz erhalten können.
Viele Betriebe können jedoch ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, da ihnen nach eigener Aussage die geeigneten Bewerber fehlen. Am häufigsten wird bemängelt, dass immer mehr Jugendlichen „die erforderliche Ausbildungsreife [fehle], so dass sie den Anforderungen einer beruflichen Ausbildung (noch) nicht gerecht würden“ (Bass u.a. 2012: 2). Als Voraussetzung für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben werden häufig Merkmale genannt, wie „Zuverlässigkeit, Lern- und Leistungsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Konzentrationsfähigkeit, Durchhaltevermögen, Beherrschung der Grundrechenarten, einfaches Kopfrechnen“ und die Beherrschung der deutschen Rechtschreibung (Gentner/Meier 2012: 56).
Alle diese grundlegenden Kompetenzen finden sich auch im Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife wieder. Die Mindestanforderungen der Betriebe gehen allerdings häufig weit darüber hinaus, was die unbesetzten Lehrstellen begründet, da die Jugendlichen diesen nicht gerecht werden können. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Erwachsenengeneration dazu neigt, die eigene Jugend zu verklären, wodurch sie den heutigen Jugendlichen mehr abverlangen (ebd.: 55; vgl. Hammel 2009: 17). Insbesondere die Defizitorientiertheit des Kriterienkatalogs bietet hier Unternehmen die Möglichkeit, Argumente zu finden, die gegen die Ausbildungsreife eines Bewerbers sprechen, um sie oder ihn nicht einzustellen (Struck 2012: 90).
Auch der betriebliche Auswahlprozess kann einen Einfluss auf die Anzahl der unbesetzten Lehrstellen und unversorgten Bewerber haben, da in erster Linie der Schulabschluss der Bewerber zählt (Protsch/Solga 2012: 46). Dementsprechend bleibt häufig das Potential von Schülerinnen und Schülern mit einem schlechteren Abschlusszeugnis unentdeckt, weil sie nur selten die Chance bekommen, ihre Fähigkeiten persönlich bei den Betrieben unter Beweis zu stellen. Insbesondere Jugendliche mit einem Hauptschulabschluss werden dadurch häufig ihrer Ausbildungschance beraubt (ebd.: 47).
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