Die Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Hermann von Reichenau zwischen Chronist und Autobiograph und verfolgt die Fragestellung, inwiefern sich das Werk Hermanns von Reichenau als Autobiographie einordnen lässt bzw. welcher anderen literarischen Gattung der mittelalterlichen Geschichtsschreibung es andernfalls zugeordnet werden kann.
Um die Fragestellung zu beantworten, wird zunächst die Geschichtsschreibung des Mittelalters beleuchtet, um daraufhin die autobiographischen und chronologischen Inhalte der Chronik Hermanns von Reichenau zu betrachten und schlussfolgernd einen Versuch der Gattungszuordnung zu unternehmen.
Als eine der wichtigsten überlieferten Quellen des 11. Jahrhunderts zur Geschichte Konrads II. und Heinrichs III. zählt die Geschichtsschreibung Hermanns von Reichenau. Dabei werden in der Forschung immer wieder verschiedene Begriffe – von Weltchronik über Reichschronik oder Kirchengeschichte – für Hermanns Werk verwendet, welches außerdem unüblicherweise auch Informationen über seine eigene Person enthält.
Inhalt
1. Einleitung
2. Geschichtsschreibung im Mittelalter
3. Die Chronik Hermanns von Reichenau
3.1 Das Zusammenspiel von autobiographischen und chronologischen Inhalten
3.2 Die Gattungszuordnung der Chronik Hermanns
4. Fazit
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Als eine der wichtigsten überlieferten Quellen des 11. Jahrhunderts zur Geschichte Konrads II. und Heinrichs III. zählt die Geschichtsschreibung Hermanns von Reichenau. Dabei werden in der Forschung immer wieder verschiedene Begriffe – von Weltchronik, über Reichschronik oder Kirchengeschichte – für Hermanns Werk verwendet, welches außerdem unüblicherweise auch Informationen über seine eigene Person enthält.
Die vorliegende Hausarbeit soll sich deshalb mit dem Thema Hermann von Reichenau zwischen Chronist und Autobiograph beschäftigen und die Fragestellung verfolgen, inwiefern sich das Werk Hermanns von Reichenau als Autobiographie einordnen lässt bzw. welcher anderen literarischen Gattung der mittelalterlichen Geschichtsschreibung es andernfalls zugeordnet werden kann.
Um die Fragestellung zu beantworten, wird zunächst die Geschichtsschreibung des Mittelalters beleuchtet, um daraufhin die autobiographischen und chronologischen Inhalte der Chronik Hermanns von Reichenau zu betrachten und schlussfolgernd einen Versuch der Gattungszuordnung zu unternehmen.
2. Geschichtsschreibung im Mittelalter
Zunächst stellt sich die Frage, was unter der Geschichtsschreibung im Mittelalter verstanden werden kann und inwiefern sich verschiedene Gattungen voneinander abgrenzen lassen. Nach Goetz bezeichne die Geschichtsschreibung „ die Quellengruppe bzw. die Literaturgattung, deren Absicht es ist, ‚Geschichte‘ zu erzählen, nämlich Gegenwart und Nachwelt über Vergangenes (und/oder Gegenwärtiges) in einer am Zeitablauf orientierten Form zu informieren.“1 Auch nach Schmale ginge es in der mittelalterlichen Weltgeschichtsschreibung nicht um die Erfassung eines parallelen Nebeneinanders des Geschehenen, sondern um die vollständige Erfassung der linearen Erstreckung der Geschichte der Zeit, was nur ein Wissenschaftler leisten könne2. Dem liege jedoch kein einheitliches Schema zu Grunde, weshalb die verschiedenen Formen der Historiographie schwer voneinander abzugrenzen seien.
Eine mögliche Differenzierung könne beispielsweise durch die Einteilung nach der Form der Geschichtsschreibung – wie Annalen oder Chronik –, dem Berichtsgegenstand – wie Weltchronik, Regional- oder Lokalchronik, Reichs- oder Kirchengeschichte –, oder der Institution der Entstehungsstätte – wie Hofgeschichtsschreibung, Bistums-, Kloster-, Landes-, oder Stadtgeschichte – erfolgen3. Jedoch wird auch hier deutlich, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Geschichtsschreibungen fließend verlaufen und es nur schwer möglich ist, eine klare Abgrenzung vorzunehmen. Die am häufigsten vertretenden Historiographien im Hochmittelalter seien nach Goetz die Weltchronik, in der die gesamte Geschichte von Beginn bis in die eigene Gegenwart aufgeführt würde und unter die auch die Chronik Hermanns fiele; die Kaiser- und Papstkataloge, welche oft als Übersichtstabellen einer ausführlichen Chronik beigefügt werden; die Kirchengeschichte (historia ecclesiastica) sowie verschiedene thematische Chroniken wie die Reichs-, Bistums- und Kloster-, Stadt- und Kreuzzugschroniken4.
Der Begriff ‚Chronik‘ leitet sich vom griechischen Wort chronos ab, bedeutet Zeit5 und markiert so gleichermaßen den Unterschied zwischen der faktenorientierten chronica und der historia, welche nicht durch die chronologische Geschichtsschreibung sondern vor allem von narrativen Strategien geprägt ist6. Auch die Autobiographie wird als literarische Gattung verstanden. Der Begriff setzt sich aus den drei griechischen Wörtern autos – „selbst“, bios – „Leben“ und „ graphein“ – schreiben zusammen, was zusammengefasst die Darstellung des eigenen Lebens oder eines Lebensabschnittes impliziert. Der Unterschied zum Tagebuch oder zur Chronik liege im „Begriff einer Selbstdarstellung, die das Leben rückschauend […] aus einer einheitlichen Perspektive darstellt und deutet.“7 Der Versuch dieser Deutung kann verschiedene Motivationen haben, deren Subjektivität gleichermaßen einen nur „relativ[en] historische[n] Erkenntnis- und Wahrheitswert“, jedoch einen „hohe[n] Grad an Authentizität“8 mit sich bringen. Auch im Bereich der Autobiographie gäbe es kein zugrundeliegendes Schema, weshalb die Grenzen gegenüber anderen Gattungen wie der Memoirenliteratur, der Chronikliteratur oder der Bekenntnisliteratur ebenfalls fließend seien9 und so die Zuordnung einer Darstellung zu nur einer einzigen literarischen Gattung meist nicht möglich sein kann.
3. Die Chronik Hermanns von Reichenau
Hermann von Reichenau war ein Gelehrter, Dichter und Geschichtsschreiber und verfasste seine von Christi Geburt bis 1054 reichende Weltchronik in der Mitte des 11. Jahrhunderts im Kloster Reichenau10 mit dem Ziel, „jedes historische Ereignis einem genauen Datum in der christlichen Weltära zuzuordnen und umgekehrt für jedes Jahr seit Christi Geburt mindestens ein zugehöriges Ereignis zu ermitteln.“11 Die Chronik ist von Anfang an annalistisch aufgebaut, wobei die konsequente Zählung nach Inkarnationsjahren dem Werk ein chronologisches Gerüst liefert12, und der inhaltliche Schwerpunkt auf den beiden „universalen Größen der spätantik-frühmittelalterlichen Geschichte […], auf [dem] römische[n] Kaisertum und auf [dem] Christentum“13, liegt. Seine Weltchronik sei eine reine Forschungsleistung, die nur von denjenigen bewältigt werden konnte, die mit Zahlen umzugehen wussten und die die mathematischen Wissenschaften – also das Quadrivium – beherrschten14. Hermanns Interesse an der Komputistik15 kam ihm hier also zugute und lässt seine Chronik in einem engen Zusammenhang mit seinen mathematisch-chronologischen und astronomischen Interessen stehen16.
Nach Buchner sei Hermann von Reichenau ebenfalls der Verfasser der von 1040 bis 1043 entstandenen Schwäbischen Weltchronik, die Hermanns Chronik zum einen sehr ähnele, zum anderen im selben Kloster geschrieben worden sei und eine ähnliche Absicht und Methode erkennen ließe. Dass Hermann „einen so unmittelbaren Vorläufer in der gleichen, so seltenen Gelehrsamkeit gehabt hätte“17, wäre erstaunlich, was gleichermaßen bedeutet, dass Hermann von Reichenau zunächst eine erste Fassung seines Geschichtswerks fertigstellte, welche er später verbessert und fortgesetzt hat und was seinen hohen Anspruch an seine eigene Wissenschaftlichkeit und Genauigkeit hervorhebt. Genau diese Wissenschaftlichkeit wird auch durch die Vielzahl der Quellen belegt, die Hermann für seine Chronik heranzieht und deren Materialreichtum ebenso für eine größere chronologische Genauigkeit und ein hohes wissenschaftliches Bewusstsein sorgen18.
Die Vielzahl der Quellen bringt jedoch auch die Schwierigkeit bei der Zuordnung der Chronik zu einer literarischen Gattung mit sich. Hermann legt seinen chronologischen Ausführungen das Inkarnationsjahr Christi zugrunde, weshalb seine Chronik so im Sinne der christlichen Welt als Weltchronik oder als Chronik der Kirchengeschichte bezeichnet werden könnte19. Zudem ist die christliche Komponente überall im Werk stark spürbar, indem die Papstnachfolgen vollständig registriert sowie kirchliche Nachrichten aller Art berücksichtigt werden. Andererseits orientiert sich Hermann beispielsweise die ersten 378 Jahre an Hieronymus, der durchaus als universalgeschichtlicher Geschichtsschreiber bezeichnet werden kann, sowie an anderen Quellen, die keine allgemeine Geschichte, sondern individuelle Volks- oder Stammesgeschichte schreiben. Nur der kirchliche Zusammenhang ist somit verbindend und über die Grenzen hinausführend, weshalb die Chronik als Bekenntnis zum Christentum, jedoch nicht als reine Kirchengeschichte aufgefasst werden kann20. Formal kann die Chronik Hermanns also als „eine mit Christi Geburt beginnende, zunehmend ausführlicher werdende Annalistik, der es um die zeitliche Zuordnung der wichtigsten ‚Fakten‘ (res gestae) geht“21, beschrieben werden. Die annalistischen Jahresberichte werden inhaltlich jedoch zunehmend chronikartiger und zu einer Art Reichsgeschichte oder Reichschronik22.
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1 Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 107.
2 Vgl. Schmale, Die Reichenauer Weltchronistik, S. 126.
3 Vgl. Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 110.
4 Vgl. ebd. S. 117.
5 Vgl. Wolf, Einleitung, S. 12.
6 Vgl. ebd. S. 16.
7 Vgl. Spiewok, Die Autobiographie, S. 75.
8 Ebd.
9 Vgl. Spiewok, Die Autobiographie, S. 75
10 Vgl. Struve, Hermann von Reichenau, Sp. 2167.
11 Deutinger, Lateinische Weltchronistik, S. 83.
12 Vgl. Struve, Hermann von Reichenau, Sp. 2169.
13 Ebd.
14 Vgl. Schmale, Reichenauer Weltchronistik, S. 131.
15 Vgl. Struve, Hermann von Reichenau, Sp. 2168.
16 Vgl Goetz, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein, S. 182.
17 Buchner, Der Verfasser der schwäb. Weltchronik, S. 393.
18 Für einen Überblick der Hauptquellen Hermanns von Reichenau vgl. Goetz, Geschichts- und Weltbild, S.92, Abb. 1: Die Hauptquellen.
19 Vgl. Goetz, Geschichts- und Weltbild, S. 90.
20 Vgl. Buchner, Geschichtsbild und Reichsbegriff, S. 38.
21 Goetz, Geschichts- und Weltbild, S. 91.
22 Vgl. ebd.