Diese Arbeit untersucht das Verhältnis von Entwicklungspolitik und ökonomischen Interessen am Beispiel von dem Erdbeben in Haiti im Jahre 2010.
Nahrungsmittelunsicherheit ist in diesem Land schon seit 30 Jahren eine Herausforderung und die Politik hat Nahrungsspenden aktiv gefördert. Im Jahr 1986-1987 und 1994-1995 hat die Weltbank und der IWF Haiti dazu gedrängt, den Markt zu liberalisieren, indem Zölle für diverse Produkte eingestellt wurden, speziell für Reis, was ein Grundnahrungsmittel im Land ist. Viele KritikerInnen sind überzeugt, dass diese Maßnahmen Haitis Bauern ruiniert hat und sie dadurch nicht mehr in der Lage waren lokal zu produzieren.
Zu den strukturellen Gründen der Armut und Arbeitslosigkeit (ca. 70 Prozent der Bevölkerung haben keine Beschäftigung) zählt die UNO-Taskforce den Niedergang der Landwirtschaft, die zunehmende Umweltzerstörung wie die Erosion und die Entwaldung.
Am 12. Jänner 2010 erschütterte das größte je aufgezeichnete Erdbeben das Land. 200 000 Personen sind gestorben, 300 000 Personen verletzt und 2.3. Millionen haben ihr Heim verloren. In nur wenigen Sekunden verloren die Menschen ihre Familien, Freunde, Häuser, Schulen, Kirchen und auch ihre Zukunftsaussichten.
Die Mobilisierung humanitärer Hilfe war eine der größten, die bisher stattgefunden hat. Ein internationales Netz von Entwicklungsorganisationen überprüfte die Distribution von Hilfe. Von anderen Ländern wurde wie oben beschrieben der Staat wegen mangelnden staatlichen und zivilen Institutionen als „failed state“ deklariert und wurde somit auch für die Verteilung von Hilfe als unfit erklärt.
Die instabile staatliche Lage nutzten internationale Entwicklungsbehörden, um neue Abkommen mit internationalen Hilfsorganisationen zu vereinbaren. Die internationale Entwicklungsagenda konzentrierte sich auf die Förderung einer Governance-Strategie, um sicherzustellen, dass Hilfe und Entwicklung in Übereinstimmung mit den Erwartungen der SpenderInnen geschehen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine „culture of audit“ d.h. eine Prüfungs- bzw. Kontrollkultur angestrebt.
Inhalt
1. Einleitung
2. Entwicklungspolitik in Haiti vor
3. Entwicklungspolitik nach dem Erdbeben
3.1. Neoliberalismus, humanitärer Imperialismus, Schocktherapie & NGOs
4. Was braucht Haiti?
5. Conclusio
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Idee für dieses Thema kam auf, nachdem ich einen Dokumentarfilm darüber gesehen habe. Im Film ging es darum, wie nach dem Erdbeben zahlreiche Projekte geplant wurden, die es jedoch vorwiegend auf Profit abgesehen hatten und es wurden kaum langfristige und nachhaltige Maßnahmen gesetzt. Das hat mich dazu inspiriert, über das Thema näher zu recherchieren.
2. Entwicklungspolitik in Haiti vor 2010
Um die Thematik rund um das Erdbeben zu verstehen, ist es wichtig die Entwicklungshilfe vor 2010 zu erläutern.
Nahrungsmittelunsicherheit ist in diesem Land schon seit 30 Jahren eine Herausforderung und die Politik hat Nahrungsspenden aktiv gefördert. Im Jahr 1986-1987 und 1994-1995 hat die Weltbank und der IWF Haiti dazu gedrängt, den Markt zu liberalisieren indem Zölle für diverse Produkte eingestellt wurden, speziell für Reis, was ein Grundnahrungsmittel im Land ist. Viele KritikerInnen sind überzeugt, dass diese Maßnahmen Haitis Bauern ruiniert hat und sie dadurch nicht mehr in der Lage waren lokal zu produzieren (vgl. Lusk, Andre 2017: 305f). Zu den strukturellen Gründen der Armut und Arbeitslosigkeit (ca. 70 Prozent der Bevölkerung haben keine Beschäftigung) zählt die UNO-Taskforce den Niedergang der Landwirtschaft, die zunehmende Umweltzerstörung wie die Erosion und die Entwaldung. So kritisierte auch die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) die vorschnelle Liberalisierungspolitik, die auf den Gegenzug von Finanzhilfen beruhte. Es wurde massenweise subventioniertes US-amerikanisches Getreide importiert. Vergleichbare Maßnahmen gab es in der Geflügelzucht und der Zuckergewinnung. Auf diese Weise wurde eine absurde Wirtschaftsund Handelspolitik in Gang gesetzt, die im schlimmsten Fall einer totalen Aushöhlung der Souveränität dieses Landes, vor allem auf dem Ernährungssektor gleichkommt. Viele Staaten verschafften ihren Konzernen dadurch einen neuen Markt auf Kosten der haitianischen Kleinbauern. Bereits vor dem Erdbeben war die Ernährungslage angespannt. Der Haushaltsansatz des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen (WFP) für Haiti stieg von 22 Millionen Dollar im Jahr 2007 auf 102 Millionen im Jahr 2008. Damit unterstützte das WPF in diesem Land 2,7 Millionen Menschen (vgl. Feyder 2010: 92f).
Betreffend der Wohnsituation gab es auch hier schon vor dem Erdbeben 2010 eine große Krise, in 2009 gab es z.B. einen Mangel an 300 000 Unterkünften. Zudem gab es viele Häuser, die sehr vulnerabel hinsichtlich Naturkatastrophen waren. Berichten zufolge waren nach der dem Erdbeben über 2.3 Millionen Menschen obdachlos und 1.5. Millionen wurden in Camps untergebracht. Es gab keinerlei Initiativen für eine langfristige nachhaltige Lösung dieses Problems. Dasselbe gilt für den Gesundheitsbereich, denn auch dieser war schon vor dem Erdbeben problematisch. Es gab nur 0.6 Betten für 1000 Personen. Zudem gab es in Haiti im Jahr 2013 lediglich 2.37 ÄrztInnen und 3.03 Krankenschwestern/-pfleger für 1000 Personen. Die meisten Haushalte sind im Zusammenhang Gesundheitsversorgung auf sich allein gestellt. Eine ähnliche Situation herrschte im Bildungsbereich. Im Jahr 1997 waren 57% der Kinder in einer Schule registriert. Im informalen Sektor finden die BewohnerInnen am ehesten eine Arbeit (vgl. Lusk, Andre 2017: 306). In diesem Zusammenhang muss noch erwähnt werden, dass schon vor dem Erdbeben im Jahr 2006 nur 10% der Schulen und 30% der Gesundheitseinrichtungen von der haitianischen Regierung geleitet worden sind, der Rest war über NGOs verwaltet oder privatisiert (vgl. Bell 2013: 83).
Seit dem späten 20. Jahrhundert bis jetzt bleiben politische Gewalt, soziale und ökonomische Instabilität und wenig Verbesserung der Lebensqualität, bestehende Schwierigkeiten im Leben der Bevölkerung in Haiti. In politischen Diskussionen werden für die stagnierende Wirtschaft, schwache soziale Strukturen und Inkompetenz der Regierung als Gründe für den Stillstand genannt. Andere ExpertInnen heben wiederum heraus, dass die ausländische Besetzung vor allem durch die USA und viele Jahre militärische Herrschaft die Hauptgründe sind. Internationale Hilfsorganisationen wiederum deklarierten, dass die Instabilität ein Nachweis für das Versagen des Staates ist (vgl. O’Connor, Brisson-Boivin, Ilcan 2014: 311). Das heißt, es wurde ein Bild von Haiti als „failed state“ geschaffen was ein sehr relevanter Aspekt für die Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik nach dem Erdbeben war.
3. Entwicklungspolitik nach dem Erdbeben
Am 12. Jänner 2010 erschütterte das größte je aufgezeichnete Erdbeben das Land. 200 000 Personen sind gestorben, 300 000 Personen verletzt und 2.3. Millionen haben ihr Heim verloren. In nur wenigen Sekunden verloren die Menschen ihre Familien, Freunde, Häuser, Schulen, Kirchen und auch ihre Zukunftsperspektiven. Die Mobilisierung humanitärer Hilfe war eine der größten, die bisher stattgefunden hat. Ein internationales Netz von Entwicklungsorganisationen überprüfte die Distribution von Hilfe. Von anderen Ländern wurde wie oben beschrieben der Staat wegen mangelnden staatlichen und zivilen Institutionen als „failed state“ deklariert und wurde somit auch für die Verteilung von Hilfe als unfit erklärt. Die instabile staatliche Lage nutzten internationale Entwicklungsbehörden um neue Abkommen mit internationalen Hilfsorganisationen zu vereinbaren. Die internationale Entwicklungsagenda konzentrierte sich auf die Förderung einer Governance-Strategie um sicherzustellen, dass Hilfe und Entwicklung in Übereinstimmung mit den Erwartungen der SpenderInnen geschieht. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde eine „ culture of audit“ d.h. eine Prüfungs- bzw. Kontrollkultur angestrebt. Dies sollte eine Kontrolle insofern ermöglichen um die Hilfe und den Wiederaufbau zu steuern, während gleichzeitig eine Transformation der haitianischen Regierung, ihren zivilen Institutionen und ihrer BürgerInnen stattfinden sollte (vgl. O’Connor, Brisson-Boivin, Ilcan 2014: 310). Diese Prüfungskultur war bereits davor in internationale Entwicklungsbemühungen eingedrungen und ist auffallend intensiv in Haiti. Hilfe an arme Menschen zu leisten ist eine des Liberalismus bevorzugten Instrumente um jene zu regieren, die als untauglich dafür deklariert werden. Verminderung von Armut in schwachen Staaten bzw. failed states wird sehr oft als Begründung dafür genommen um Wideraufbaumaßnahmen einzuführen (vgl. O’Connor, Brisson-Boivin, Ilcan 2014: 313). Auf diese Weise werden nicht nur Maßnahmen aufgrund der Folgen des Erdbebens gesetzt, sondern auch politische aufgrund der instabilen Regierung. Der IWF hat daraufhin sein Augenmerk auf inländische haitianische Institutionen gelegt und nicht auf den finanziellen Markt, da der IWF offiziell der Meinung war, dass dies der Grund für die Instabilität sei. Das heißt, dass internationale Entwicklungsorganisationen weiter in den Staat eingreifen um Ziele und Praktiken zu beeinflussen (vgl. O’Connor, Brisson-Boivin, Ilcan 2014: 310). Neben der Kontrollkultur wurde zusätzlich ein „early recovery cluster“ Plan entworfen. Dazu gehören auch Pläne für den Wiederaufbau in langfristiger Sicht, sowie eine Stärkung der Regierungsführung, ein Ausbau der sozialen Dienste etc. und dies sollte auf einer Zusammenarbeit mit verschiedensten internationalen PartnerInnen geschehen, sowie mit Mitgliedern des Haitianischen Reconstruction Funds (HRF). Zu diesen Plänen gehörte es auch, diverse Institutionen zu privatisieren. Als prüffähiges Entwicklungsziel hat z.B. der IWF eine Verringerung der Staatsangestellten bestimmt, was im Zuge von Privatisierung des sozialen Sektors geschehen sollte. Im Jahr 2011 resultierte dies in eine Anti-Privatisierung Kampagne um aufzuzeigen, dass dadurch Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen konstruiert werden. Es wurde dafür plädiert, dass HaitianerInnen an den Frontlinien bleiben müssten und „Ausländer“ nicht kommen könnten um Haiti auszubeuten. Außerdem sollte Wiederaufbau nicht als Möglichkeit gesehen werden, die Taschen zu füllen. Kritik gab es am recovery cluster auch aus jenem Grund, da der einheimischen Bevölkerung der Zugang zu wichtigen Informationen vorenthalten wurde, welche wichtig gewesen wären, um Entscheidungen bezüglich des Wiederaufbaus und der Entwicklungsschritte (mit) zu bestimmen. Dieses „Sechs Monate Danach“ Programm enthüllte zudem die westlich zentrierten Ansichten, in welchen die haitianische Bevölkerung problematisiert wird. Schlüsselaussagen in diesem Plan betreffen vor allem die Arbeit, wie z.B. dass es wichtig ist, für die HaitianerInnen Arbeit zu schaffen, damit die Menschen, die in Camps wohnen, wieder für sich selbst sorgen können. Weiters wird beschlossen, die Regierung zu unterstützen, sodass alle BewohnerInnen von Haiti die Möglichkeit haben ihre Zukunft zu gestalten. Laut den AutorInnen war es offensichtlich, dass liberale Ziele im Vordergrund stehen um den Staat und die Wirtschaft zu kontrollieren (vgl. O’Connor, Brisson-Boivin, Ilcan 2014: 319ff). Diese kritische Sicht auf Arbeitsplatzbeschaffung wird in Kapitel vier noch näher behandelt.
In diesem Kontext schreibt Beverly Bell, dass vor allem in den ersten Wochen nach dem Desaster, ein humanitärer „coup d’etat“ stattgefunden hat. Nicht die haitianische Bevölkerung entscheidet was mit dem Land passiert, sondern es wird entschieden was Personen aus anderen Ländern wollen. Ihrer Meinung nach macht dies keinen Sinn, da ein Land nicht allein von außen kontrolliert und „entwickelt“ werden kann. In diesem Zusammenhang nennt sie den Begriff „The Shock Doctrine“ von Naomi Klein (vgl. Bell 2013: 73f). Die Grundidee dieses Katastrophen-Kapitalismus, geht auf Milton Friedman zurück. Als Oberguru des skrupellosen Kapitalismus, wie Klein ihn beschreibt, hat er diese Strategie mehrere Jahre lang perfektioniert. Die Strategie funktioniert vereinfacht erklärt wie folgt: Auf eine Krise oder einen Schock zu warten, vieles privatisieren bis sich die Betroffenen vom Schock erholten und die Änderungen danach als Reformen dauerhaft werden lassen. Diese Strategie, die Klein als Schockdoktrin bezeichnet, wird schon lange vor einer Krise geplant und zwar auf Basis von Konzepten der freien Marktwirtschaft. Wenn die Krise eintritt, muss rasch gehandelt werden um der krisengeschüttelten Gesellschaft rasche Veränderungen aufzuzwingen. Der vorgesehene Zeitplan einer solchen Strategie beträgt laut Friedman ca. sechs bis neun Monate um tiefgreifende Veränderungen zu erreichen (vgl. Klein 2007: 15ff).
Kurz nach dem Beben versprachen die USA, die UN und andere über $ 10 Billionen in langfristiger Hilfe von dem die Hälfte über die ersten 18 Monate nach der Katastrophe ausbezahlt werden sollte. Obama sprach von „Fortschritten in der Führung“, die laut Bell eher nach einem Plan klangen, um Kontrolle auf mehreren Ebenen auszuführen und zwar durch Militarismus, materielle Hilfe und den Wiederaufbau.
Wenige Tage nach dem Erdbeben waren 12 Tausend UN Truppen, 20 Tausend US Truppen am Boden, auf See und in der Luft obwohl Präsident Préval Sicherheit nicht als sein primäres Ziel genannt hat. Die Truppen waren schon eingesetzt, noch bevor der Präsident eine Anfrage auf erhöhte Unterstützung im Sicherheitsbereich tätigte, die er gemeinsam mit Hillary Clinton öffentlich bekannt gab. Doch die Präsenz des US Militärs gefährdete das Leben der HaitianerInnen. Während der ersten Wochen nach dem Erdbeben, als sich viele Menschen noch in Lebensgefahr befanden, kontrollierte die USA den Flughafen und hat wiederholt Flugzeuge abgewiesen, welche ÄrztInnen, Notversorgungsutensilien, Nahrung und Wasser transportierten. Die Möglichkeit des Flugverkehres war limitiert und Militärmaschinen wurden bevorzugt. Am neunten Tag nach dem Erdbeben warteten über 1400 Flüge besetzt mit Katastrophen- und HilfsorganisationsmitarbeiterInnen auf eine Landegenehmigung. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen deklarierte in einem Statement, dass fünf ihrer Flüge mit 85 Tonnen von medizinischen Hilfsgütern fünf Tage lang vom Flughafen umgeleitet wurden. Ein Koordinator der Organisation, Loris de Filippi hat bestätigt, dass er solch eine Situation noch nie erlebt hatte: Für Amputationen musste z.B. Sägen am Markt gekauft werden und die Operationen wurden ohne adäquate Schmerzmittel durchgeführt. Andere wiederum hatten gebrochene Gliedmaßen, die mit Kartonschienen stabilisiert werden mussten. Während Hilfe aus den USA nützlich war um die Camps aufzubauen, den Hafen aufzubessern, und die Start- und Landebahn zu verlängern, fragte sich die Autorin warum eine kriegsähnlich große Truppe von US Militär als notwendig angesehen und Flüge mit Hilfeleistungen abgewiesen wurden. ÄrztInnen der Marine auf dem Schiff USNS Comfort, das an der Küste andockte, hat über 1000 Operationen, durchgeführt. Im Gegensatz dazu hat ein kubanisches ÄrztInnen Team über 340 000 Personen konsultiert, fast 9000 Operationen durchgeführt, 111 000 Personen geimpft und andere Arten medizinischer Betreuung in den ersten sechs Monaten angeboten. Keine der Einheimischen, mit welchen JournalistInnen gesprochen hatte, war der Meinung, dass das Militär aus Sicherheitsgründen vor Ort ist (vgl. Bell 2013: 73ff). Laut der Autorin standen diplomatische Interessen dahinter und es ging um den Einfluss der USA in der Karibik und in Lateinamerika, da z.B. Kuba und Venezuela damals beschlossen hatten, amerikanische Einflüsse verringern zu wollen.
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