In dieser Arbeit geht es um die Moralsoziologie von Niklas Luhmann. Zunächst wird ein kurzer Einstieg in die Moraltheorie von Luhmann gegeben. Anschließend werden grundlegende Begriffe wie Ego, Alter, Moral und Ethik definiert und deren Zusammenhänge erläutert. Daraufhin folgt die Darstellung der Funktion der Moral und es wird auf ihre Bivalenz näher eingegangen.
Weiterhin wird die Verknüpfung zur Freiheit aufgezeigt und die funktionalen Äquivalente näher betrachtet. Im Anschluss wird auf die evolutionäre Generalisierung eingegangen. Bevor es im letzten Kapitel zu einer Zusammenfassung der Soziologie der Moral von Niklas Luhmann kommt, sollen vorher generelle Kritikpunkte dieser Theorie von anderen Autoren zusammengetragen werden.
Die moralsoziologischen Gedanken von Luhmann finden ihre Anfänge im Jahre 1975, als er mit Stephan Pfürtner zu diesem Thema ein Seminar abhält. Daraufhin folgte der Beitrag "Soziologie der Moral", welcher eine unmoralische Definition der Moral als Gegenstand umfasst. Seine dort niedergeschriebenen Überlegungen setzen an die Probleme doppelter Kontingenz an und beschäftigen sich mit der Frage, wie es den Personen möglich ist, sich in sozialen Situationen in die Rolle ihres Gegenübers hineinzuversetzen und gegenseitige Erwartungen zu konstruieren. Wie genau er den Begriff der Moral versteht und in welchem Zusammenhang er die Moral mit der Soziologie setzt, soll in dieser Arbeit erörtert werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Einstieg in die Moraltheorie von Niklas Luhmann
3 Grundlegende Begriffe und Zusammenhänge
3.1 Ego und Alter
3.2 Moral
3.3 Ethik
4 Funktion der Moral
4.1 Bivalenz der Moral
4.2 Freiheit als Folge der Moral
4.3 Funktionale Äquivalente der Moral
5 Evolutionäre Generalisierung
6 Kritik an Luhmanns Moraltheorie
7 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
,,Außerdem handelt es sich um einen hochinfektiösen Gegenstand, den man nur mit Handschuhen und mit möglichst sterilen Instrumenten anfassen sollte. Sonst infiziert man sich selbst mit Moral (…)“ (Luhmann 1989: S.359).
Seit Beginn an ist die Soziologie mit der Moral verwickelt. Denn es ist der im 19. Jahrhundert moralisch begründeten Unzufriedenheit an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu verdanken, dass sich die Soziologie als eigenständige Wissenschaft herausbilden konnte. Außerdem war die Idee, „mit dem Mittel dieser neuen Wissenschaft den Auflösungserscheinungen ihrer Zeit durch die Stärkung einer neuen Moral entgegenzutreten“ (Liebig 2012: S. 1), Antrieb für einige Gründerväter. So sind bis heute einige soziologischen Analysen der Gesellschaft durch einen moralischen Antrieb gekennzeichnet. Auch wollen viele Fachanhänger die Moral stärken und beleben und somit die festgestellten Zerfallprozesse der modernen Gesellschaft entgegenwirken. Doch dieses Verständnis der Soziologie ist nicht unproblematisch und führt immer wieder zu Debatten über die Angemessenheit der Grenzen zwischen dem deskriptiven und normativen Selbstverständnis (vgl. Liebig 2007: S.1).
Daraus folgte, dass die Soziologie als Wissenschaft sich von den moralischen Wertungen und der Moral ablösen wollte. Parallel zu dieser Entwicklung wurde die Moral aber auch oft als spezifisches Merkmal der soziologischen Identität bezeichnet. So galt die Soziologie für Durkheim als die eindeutige Wissenschaft der Moral. Mittelpunkt dabei sollte die Beschäftigung mit der Moral sein. Wobei die Aufgaben, die gesellschaftlichen Moralkonzeptionen empirisch zu beschreiben, deren Wurzeln zu erläutern und deren Funktion bei der Reproduktion und Konstitution sozialer Ordnung aufzuzeigen, der Soziologie zugeschrieben wurde. Für lange Zeit galt die Moral deshalb als Notwendigkeit für jede Art von gesellschaftlichem Zusammenleben und wurde als Bedingung bei der Entwicklung von Gesellschaften angesehen. Gerade diese Sichtweise ist für viele Denker der hauptsächliche Unterschied der Soziologie zu anderen Sozial- und Geisteswissenschaften (vgl. Liebig 2012: S.1).
Die Beschreibung und Erklärung der aktuellen Struktur der moralischen Regelsysteme und deren soziale Abhängigkeit war, laut Emile Durkheim, die Hauptaufgabe der Soziologie. Die Kombination aus Beschreibung und vor allem der Erklärung als Ergebnis von Prozessen und Strukturen der Gesellschaft war ein spezifisches Merkmal des soziologischen Zugangs zur Moral. Diese Beschreibung des Gegenstandes und der Aufgaben einer erklärenden Soziologie der Moral, welche sich auf Durkheim begründete, galt für die damalige Zeit als geeignet, um den Zugang zur Moral zu schaffen. Allerdings ist dies, laut Niklas Luhmann, nicht passend für moderne, funktional differenzierte Gesellschaften (vgl. Liebig 2007: S.1-3).
Die moralsoziologischen Gedanken von Niklas Luhmann finden ihre Anfänge im Jahre 1975, als er mit Stephan Pfürtner zu diesem Thema ein Seminar abhält. Daraufhin folgte der Beitrag Soziologie der Moral, welcher eine unmoralische Definition der Moral als Gegenstand umfasst. Seine dort niedergeschriebenen Überlegungen setzen an die Probleme doppelter Kontingenz an und beschäftigen sich mit der Frage, wie es den Personen möglich ist, sich in sozialen Situationen in die Rolle ihres Gegenübers hineinzuversetzen und gegenseitige Erwartungen zu konstruieren (vgl. Kirchmeier 2012: S.106). Wie genau er den Begriff der Moral versteht und in welchem Zusammenhang er die Moral mit der Soziologie setzt, soll in dieser Arbeit erörtert werden.
In der folgenden Arbeit soll zunächst ein kurzer Einstieg in die Moraltheorie von Luhmann dargestellt werden. Anschließend werden grundlegende Begriffe wie Ego, Alter, Moral und Ethik definiert und deren Zusammenhänge erläutert. Daraufhin folgt die Darstellung der Funktion der Moral und es wird auf ihre Bivalenz näher eingegangen. Weiterhin wird die Verknüpfung zur Freiheit aufgezeigt und die funktionalen Äquivalente näher betrachtet. Im Anschluss wird auf die evolutionäre Generalisierung eingegangen. Bevor es im letzten Kapitel zu einer Zusammenfassung der Soziologie der Moral von Niklas Luhmann kommt, sollen vorher generelle Kritikpunkte dieser Theorie von anderen Autoren zusammengetragen werden.
Es wird davon ausgegangen, dass die Theorie Sozialer Systeme von Luhmann bekannt ist. Deshalb wird nicht nochmal explizit darauf eingegangen, da dies den Rahmen der Arbeit überschreiten würde. Allerdings werden, wenn es zum besseren Verständnis der hier dargestellten Moraltheorie notwendig ist, generelle Verknüpfungen zur Theorie Sozialer Systeme im erforderlichen Umfang dargelegt.
2 Einstieg in die Moraltheorie von Niklas Luhmann
Zu Beginn muss sich jede Theorie der Gesellschaft mit der Definition und Auslegung des Sozialen beschäftigen und ausformulieren. Nach Luhmann kann die Gesellschaft nicht durch die Individuen gemessen werden und andersherum. Das Fundament jeder Gesellschaftsform bildet das Soziale beziehungsweise die Sozialität. In Luhmanns Systemtheorie setzt er die Kommunikation an diese Stelle (vgl. Großmaß 2013: S.68). ,,Das Soziale wird – dynamisch – als das Prozessieren von Kommunikation gefasst“ (Großmaß 2013: S.68). Somit sind Subjekte und Personen kein Bestandteil der Gesellschaft mehr. Dabei ist deren Existenz akzeptiert, aber die Gesellschaft lässt sich nicht auf personelle Interaktionen reduzieren. Doch alle diese Interaktionen zwischen Personen bis hin zu politischen Parteien und Prozessen der Wirtschaft werden alle unter Kommunikation gefasst, welche die Basis allen Sozialen bildet (vgl. Großmaß 2013: S.68). Hier schafft Luhmann die Verbindung zur Moral.
Wenn die Thematik der Moral von einer Wissenschaft behandelt wird, dann muss diese sich entscheiden, ob sie sich den moralischen Normen fügt oder nicht. Sie steht vor der Entscheidung eine Position zu wählen. Zum einen kann sie das Schlechte für schlecht und im Gegensatz dazu das Gute für gutheißen. Damit würde sie sich der Mehrheit der Stimmen anschließen. Andererseits kann sie sich auch als moralfreie Erkenntnisleistung, welche die Moral lediglich als weiteren Gegenstand begreift, verstehen (vgl. Luhmann 2012: S.56). Luhmann ist dem zweiten Verfahren zuzuordnen. In der Soziologie kann eine Theorie der Moral lediglich eine Außenperspektive gegenüber ethnischen und moralischen Fragen einnehmen, wenn sie sich von moralischen Wertungen distanziert. So versetzt sie sich in die Lage eines unabhängigen Beobachters (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179). Deshalb versucht Luhmann nicht einfach eine Moraltheorie aufzustellen, sondern eine systemtheoretische Theorie der Moral als Supertheorie zu konzipieren. (vgl. Luhmann 1978: S.43). Supertheorien haben in der Wissenschaft ihre eigenständige Funktion und bedienen sich dabei eigener Mittel und Rechte (vgl. Luhmann 1978: S.9) ,,Sie sind innerhalb des Wissenschaftssystems die Auffang- und Abwehrebene für moralische ebenso wie für erkenntnistheoretische (…) Ansprüche“ (Luhmann 1978: S.9). Eine Supertheorie rekonstruiert einerseits die theoretisierenden Moralbegriffe und andererseits erklärt sie, inwiefern der Moralist begrenzt ist. Entscheidend für Luhmann ist es, ,,das Faktum der Moral mit moralfreien Begriffen zu begreifen“ (Luhmann 1978: S.43).
Weiterhin meint Luhmann, dass Sprache immer die Beschreibung und die Stellungnahme enthält. Dies gilt sowohl im Bereich der Theorie als auch im Bereich der Gegenstände. So ist es nicht möglich, über moralische Fragen zu sprechen und sich dabei nicht auf die Moral einzulassen. Deshalb vertritt er die Meinung, dass man sich von der Moral distanzieren sollte (vgl. Luhmann 2012: S.56). ,,Wenn schon die bloße Theorie der Moral dazu dienen könne, ihren Autor moralisch zu beurteilen oder zu verurteilen, solle man besser davon absehen, sie zu Papier zu bringen“ (Luhmann 2012: S. 57).
,,Die Einsicht in den Geltungsgrund dieser Normen oder Werte führe zwangsläufig zur Anerkennung ihrer Geltung; gerade Geltung könne man nicht zunächst einsehen und sie dann doch nicht anerkennen; seiner eigenen Einsicht könne man sich nicht wieder entziehen; wer so handele, handele wider besseres Wissen“ (Luhmann 2012: S.56).
Bei der Entscheidung der Wissenschaften mit Moral umzugehen, spielt schon die Definition des Moralbegriffes eine Rolle. Denn der Moralbegriff formt diese schon von Beginn an in die eine oder in die andere Richtung (Luhmann 2012: S.56).
3 Grundlegende Begriffe und Zusammenhänge
Da jede Moraltheorie dazu gehalten ist zunächst ihre Begriffe zu definieren, unabhängig von der Position, welche die Theorie einnimmt (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179), soll nun die Definition wichtiger Begriffe und deren Zusammenhänge der luhmannschen Moraltheorie folgen.
3.1 Ego und Alter
Wenn Menschen miteinander in Beziehung treten, dann entstehen soziale Systeme. Dabei bleiben die Individuen im Verhältnis zueinander als auch im Verhältnis zum Sozialsystem Umwelt. Gleichzeitig gilt, dass die Umwelt immer komplexer als das System selbst ist. Dies zählt sowohl für die einzelnen Beteiligten als auch für das Sozialsystem, welches sie konstruieren. Diese Bedingung ermöglicht es, dass kein System die Prozesse eines anderen Systems oder deren Änderung des Zustandes kalkulieren kann. Füreinander sind die Systeme somit undurchsichtig und kontingent. Um die Kontingenz zu verarbeiten, bedarf es einer vereinfachten Darstellung. Die verschiedenen Systeme werden als Ego und Alter bezeichnet. Sobald diese Systeme unter den Bezeichnungen aufeinandertreffen, entsteht das Problem der doppelten Kontingenz. Ego und Alter interpretieren sich gegenseitig als kontingent unter dem Wissen, dass der andere es ihm gleichtut. Den einzelnen Systemen ist bewusst, dass es für den jeweils anderen Umwelt ist (vgl. Luhmann 2012: S.97-100).
Weiterhin bedeutet die gegenseitige Zuschreibung von Kontingenz, dass die ,,(…) beiden jeweils in sich selbst eine dreifache Rolle integrieren. Jeder ist für sich selbst zunächst Ego, weiß aber auch, daß er für den anderen Alter ist und außerdem noch, daß der andere ihn als alter Ego betrachtet“ (Luhmann 2012: S.101). Da allerdings die System/ Umwelt-Perspektiven zu komplex sind und über die einfach verständlichen Ich/Du-Beziehungen weit hinausreichen, ist die Integration der drei Rollen mit Problemen verknüpft (vgl. Luhmann 2012: S.101-102).
Aus diesem Grund ,,wird über die Integration der wechselseitig verschränkten Perspektiven und Identitäten nur in vereinfachter Form kommuniziert. Als Indikator für einen akzeptierbaren Einbau des Ego und Alter und alter Ego in die Sichtweise und Selbstidentifikationseines Alter dient der Ausdruck von Achtung und die Kommunikation über die Bedingungen wechselseitiger Achtung“ (Luhmann 2012: S.102).
Ego achtet Alter und zeigt ihm diese Achtung, indem er sich selbst als Alter im Alter anerkennt. Achtung steht hierbei für komplexe Beziehungen im Kommunikationsprozess, welche nur durch die Auswechslung durch die Symbole vereinfacht werden (vgl. Luhmann 2012: 102). Dabei handelt es sich bei Achtung nicht um eine Eigenschaft, sondern um eine in sozialen Systemen erzielte oder entfernte personenbezogene Zuteilung (vgl. Luhmann 1987: S.47-48). Achtung ist die Basis von Kommunikation und sorgt für eine Reduzierung der Problematik der doppelten Kontingenz (vgl. Liebig 2007: S.28). In größeren, komplexeren Gesellschaften bedarf es generalisierten Achtungsbedingungen, um einer möglichen Inkonsistenz der Zuteilung entgegenzuwirken (vgl. Luhmann 1987: S.47-48). Auf diesen Ansatz von Luhmann wird im späteren Kapitel zur Evolutionären Generalisierung noch einmal näher darauf eingegangen.
3.2 Moral
Der Begriff der Moral von Luhmann ,,geht von einer theoretischen Vorentscheidung aus“ (Kirchmeier 2012: S.105). Er ordnet den Begriff nicht der Systemtheorie zu, sondern ist der Auffassung, dass es sich hierbei um einen thematischen Begriff handelt. Diese Ansicht des Moralbegriffes unterscheidet Luhmann zu anderen Vertretern wie Durkheim. Für Luhmann ist die Moral ein soziales Phänomen wie Liebe, Individualität und Macht (vgl. Kirchmeier 2012: S.105).
Er definiert die Moral als spezifische Art von Kommunikation. Diese Kommunikation operiert mit binären Codes, denn sie unterscheidet zwischen gut und schlecht beziehungsweise Gut und Böse. Mit dieser Vorgehensweise bringt sie menschliche Achtung und Missachtung zum Ausdruck (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179). Doch Moral besteht nicht aus Achtung oder deren Erweisungen, denn ,,die Gesamtheit der faktisch praktizierten Bedingungen wechselseitiger Achtung oder Mißachtung macht die Moral einer Gesellschaft aus“ (Luhmann 1978: S.51). Es ist nicht möglich, Moral zu vermehren, indem man Achtung vermehrt, denn sie entsteht aus implizierter oder explizierter Kommunikation über Achtung (vgl. Luhmann 1978: S.51).
Dabei beziehen sich die Codewerte nicht auf charakterisierende Eigenschaften oder Leistungen. Erst, wenn die Codewerte gut und schlecht gleichzeitige Andeutungen auf Missachtung und Achtung enthalten und diese sich auf eine einzige, ganze Person beziehen, dann liegt eine moralische Kommunikation vor. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Kommunikation erst dann moralische Qualität enthält, wenn sie aufzeigt, für welche Handlungen und Ansichten eine Person Missachtung beziehungsweise Achtung verdient. Dies kann deutlich ausgedrückt werden, jedoch wird es meistens nur angedeutet. Aufgrund der universellen Codes kann die Moral alles beurteilen. Jede Handlung, Ansicht und jedes Thema kann moralisch beobachtet werden. Kommunikation ist nicht in jedem Fall moralisch, jedoch wenn es der Fall ist, dann ist ein besonderer Eifer der moralischen Beurteilung zu erkennen. Ein moralisches Engagement kann nur schwer zurückgezogen werden, da er sich auf die ganze Person bezieht (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.179-180).
Die Bedingungen von Achtung und Missachtung sind in traditionellen Gesellschaften in Form von schriftlichen Selbstverständlichkeiten vorgegeben (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105). Dies erweckt oft den Anschein, dass eine festgelegte Moral auch feste steht. Doch der Sinngehalt der Moralität entsteht und besteht in ihrer Anwendung in der Kommunikation, sodass sich die Moral unaufhörlich überholt. Luhmann ist der Meinung, dass das Fundament für Moral nicht in einer Voraussetzung eines Normbegriffs liegt, denn es ist nicht notwendig, dass moralische Sinngehalte normativer Art sind. Es gibt auch moralische Gesichtspunkte, welche nicht der Norm entsprechen (vgl. Luhmann 1978: S.52-53). Luhmann schreibt dazu, dass es Möglichkeiten gibt, ,,sich durch >>supererogatorische<< Leistungen Achtung zu verdienen, deren Realisierung nicht erwartet werden kann und die, wenn sie ungenutzt bleiben, auch nicht enttäuschen“ (Luhmann 1978: S.53). Trotzdem ist eine gewisse Normalisierung für die Moral notwendig. Die Unterscheidung von normal und anormal hat nicht den Sinn deren Häufigkeit zu dokumentieren, sondern dient dazu Vermutungen für zukünftige Handlungen zu erstellen. Normale Handlungen werden als gut und alltäglich definiert. Anormale Handlungen haben als Folge, dass andere Personen mit Missachtung oder mit Hochachtung, darauf reagieren. Die Moral entscheidet darüber, was das vom Normalen aus gesehene Anormale ist. Dabei ist es wichtig, die Moral und den Konsens nicht gleichzusetzen. Denn mit Achtung wird die erfolgreiche Integration des Alter in die operative Ich-Identität deutlich und nicht etwa die Honorierung von Konsens (vgl. Luhmann 1978: S. 53-54). ,,Moral ist ein für alle Schattierungen von Konsens und Dissens empfindliches Instrument, aber inkompatibel mit Situationen, in denen Konsens und Dissens gegen Null tendieren“ (Luhmann 1978:S.54). Damit werden die negativen Moralauffassungen deutlich. Durch moralische Kommunikation können Konflikte ausgelöst werden. Die Moral kann den Streit sogar verschärfen, indem sie dafür sorgt, dass die Personen an ihrem Standpunkt festhalten (vgl. Luhmann 1978: S.54-55). So ist die Gefahr mit Kommunikation in komplexeren Gesellschaften zu versagen, deutlich höher (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105), da ,,man die Person nicht mehr kennt, die man mit Moral überzieht“ (Luhmann 1989: S.362-363.). Außerdem kann in modernen, funktionaldifferenzierten Gesellschaften nicht mehr davon ausgegangen werden, dass es moralische Regelungen gibt, welche für die Allgemeinheit gültig sind. Denn die Moralnormen werden gesellschaftsabhängig und kontingent (vgl. Luhmann 1978: S.42). Damit die Moralität vor Widersprüchen geschützt ist, entwickeln solche Gesellschaften eine Ethik (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.105).
3.3 Ethik
Bei dieser Ethik handelt es sich um einen weiteren wichtigen Begriff in der Moraltheorie Luhmanns. In der philosophischen Tradition wird Ethik als Begründungstheorie der Moral verstanden (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.104). Im Gegensatz dazu und vielen anderen soziologischen Denkern definiert Luhmann die Ethik als Reflexionstheorie der Moral (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.181). Erst Ende des 18. Jahrhunderts hat sie sich als solche hervorgehoben (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.104). Ihre Aufgabe ist es, die Moral zu reflektieren und nicht mehr zu begründen (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.181). ,,Unter Ethik wird jede kognitive Beschreibung der Moral verstanden, die moralische Kommunikation aus einer moralinternen Perspektive reflektiert“ (Kneer/ Nassehi 2000: S.181). In der traditionellen Ethikkonzeption wird die Moral als etwas Gutes definiert. Jedoch bringt diese auch negative Seiten mit sich. Moralische Kommunikation endet nicht selten in Konflikten oder Streit. Dies ist eines der Hauptprobleme der Moral. So ist nach Luhmann die Ethik angehalten die Risiken und Gefahren der moralischen Kommunikation aufzuzeigen (vgl. Kneer/ Nassehi 2000: S.181). ,,Angesichts dieser Sachlage ist es die vielleicht vordringlichste Aufgabe der Ethik, vor Moral zu warnen“ (Luhmann 2012: S.266). Sie soll Übersetzungsleistung von der Gesellschaft zur Moral und umgekehrt leisten und nicht ihrerseits Moral betreiben (vgl. Reese-Schäfer 2011: S.107).
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