Diese Arbeit untersucht, inwiefern Wirtschaftswachstum und subjektives Wohlbefinden korrelieren. Dazu werden Standardwerke der Fachliteratur herangezogen und deren Kernaussagen analysiert. Das anschließende Fallbeispiel China dient dazu, die Erkenntnisse aus der Literaturanalyse anhand des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens von 1990–2000 in der Volksrepublik empirisch zu validieren.
Aus der Arbeit lässt sich schlussfolgern, dass Wirtschaftswachstum und subjektives Wohlbefinden unter der notwendigen Bedingung von sich positiv entwickelnden Moderatorvariablen, die kausal auf das Wohlbefinden einwirken, positiv korrelieren. Die Moderatorvariablen sind dabei kontextabhängig, wobei die Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizient sich als relevanteste Einflussgröße erweist.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Festlegung der theoretischen Grundlagen
2.1 Definition des Wirtschaftswachstums und methodologische Schwierigkeiten
2.2 Definition des subjektiven Wohlbefindens und methodologische Schwierigkeiten
3. Untersuchung der Korrelation von Wirtschaftswachstum und subjektivem Wohlbefinden
3.1 Das „Easterlin Paradoxon"und die „hedonistische Tretmühle"
3.2 Positive Korrelation von Wirtschaftswachstum undsubjektivem Wohlbefinden
3.3 Relativierung der positiven Korrelation durch Moderatorvariablen
3.4 Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizient als Moderatorvariable
4. Betrachtung des Fallbeispiels China von 1990-2000
4.1 Wirtschaftswachstum und Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens
4.2 Moderatorvariablen Anomie, politische Unzufriedenheit und relative Deprivation
4.3 Einkommensungleichheit und Theorie der „frustrated achievers"
5. Konklusion
Literaturverzeichnis
Abstract
Diese Arbeit untersucht, inwiefern Wirtschaftswachstum und subjektives Wohlbefinden korrelieren. Dazu werden Standardwerke der Fachliteratur herangezogen und deren Kernaussagen analysiert. Das anschliessende Fallbeispiel China dient dazu, die Erkenntnisse aus der Literaturanalyse anhand des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung des subjektiven Wohlbefindens von 1990-2000 in der Volksrepublik empirisch zu validieren. Aus der Arbeit lässt sich schlussfolgern, dass Wirtschaftswachstum und subjektives Wohlbefinden unter der notwendigen Bedingung von sich positiv entwickelnden Moderatorvariablen, die kausal auf das Wohlbefinden einwirken, positiv korrelieren. Die Moderatorvariablen sind dabei kontextabhängig, wobei die Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizient sich als relevanteste Einflussgrösse erweist.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Subjektive Lebenszufriedenheit in China, 1990-2000
Abbildung 2: Entwicklung des BIP pro Kopf und die Einkommensungleichheit gemessen am BIP in China, 1985-2010
1. Einleitung
Das Alltagsdenken assoziiert Wohlbefinden im Allgemeinen positiv mit wachsendem materiellen Wohlstand (Hagerty & Veenhoven, 2003, S. 1). Nicht nur das Individuum strebt deshalb nach Gewinn, sondern diese vermeintliche Kausalität führt auch dazu, dass eine Erhöhung des Sozialproduktes wesentlicher Teil des politischen Zielkataloges ist. Gemäss diesem Eindruck sollte das Wirtschaftswachstum einer Nation ein klarer Indikator, wenn nicht ein Synonym für wachsendes Wohlbefinden darstellen.
Dieser Intuition steht die Forschung Richard Easterlins mit dem sogenannten „Easterlin Paradoxon“ gegenüber. Er zeigt auf, dass subjektives Wohlbefinden nicht zwingend positiv mit Wirtschaftswachstum korreliert - zwar sind wohlhabendere Individuen innerhalb eines Landes im Schnitt zufriedener, jedoch stagniert das subjektive Wohlbefinden in einem Land bei stetigem Wirtschaftswachstum nach einer bestimmten Zeit. (Easterlin, 1974, S. 118) Seine Annahme kritisierten u.a. Stevenson und Wolfers (2008) oder Inglehart, Foa, Peterson & Welzel (2008), die auf die intuitive, positive Korrelation beider Variablen hinweisen.
Die Seminararbeit greift diesen gespaltenen Stand der Forschung auf und leitet von der menschlichen Intuition die Frage ab, wie wirtschaftliches Wachstum und Wohlbefinden tatsächlich korrelieren. Das soll in dieser Arbeit beantwortet und anhand des Fallbeispiels China diskutiert werden.
Zunächst werden dazu die wesentlichen Termini definiert und es wird auf methodologische Schwierigkeiten hingewiesen . Im dritten Kapitel folgt ein Überblick über die wesentlichen Erklärungssätze sowie etwaige Verweise auf gemeinsame Anknüpfungspunkte und Übereinstimmungen. Daraus werden Schlussfolgerungen für die Korrelation von subjektivem Wohlbefinden und Wirtschaftswachstum gezogen. Im letzten Kapitel soll das theoretische Ergebnis aus der Literaturanalyse auf die Fallstudie China von 1990-2000 angewendet und so empirisch validiert werden.
2. Festlegung der theoretischen Grundlagen
2.1 Definition des Wirtschaftswachstums und methodologische Schwierigkeiten
Wie der Ökonom Arthur Lewis (2003, S. 6) anmerkt, gibt es keine eindeutige Definition von Wirtschaftswachstum. So findet sich in der Literatur zur Korrelation von Wirtschaftswachstum und subjektivem Wohlbefinden das Wirtschaftswachstum als BIP, als Pro-Kopf-Einkommen oder als BNE (vgl. u.a. Easterlin (1974), Inglehart et al. (2008), Stevenson & Wolfers (2008)). Die verschiedenen Messmethoden führen mitunter auch zu unterschiedlichen Ergebnissen, was die Diskrepanzen in der Forschung zum Teil bedingt (Oishi & Kesebir, 2015, S. 1632).
2.2 Definition des subjektiven Wohlbefindens und methodologische Schwierigkeiten
„Subjektives Wohlbefinden ist der wissenschaftliche Terminus der Psychologie für die individuelle Evaluierung der erfahrenen positiven und negativen Affekte, Glück oder Lebenszufriedenheit.“1 (Frey & Stutzer, 2002, S. 404)
Als Eigenangabe unterliegt das subjektive Wohlbefinden der Gefahr der psychologischen Verzerrung, welche beispielsweise durch die Formulierung der Frage und dem Antwortformat hervorgerufen werden kann (OECD, 2013, S. 184). Ein auf diese kognitiven Verzerrungen angepasstes Fragenformat kann sie jedoch beschränken (OECD, 2013, S.53).
Oishi (2010, S. 62) räumt ein, dass auch kulturelle Unterschiede, wie das Verständnis von numerischen Systemen, die Ergebnisse verfälschen können. Was die Objektivität und den internationalen Vergleich betrifft, so kann das subjektive Wohlbefinden diesen per definitionem also nicht vollständig gerecht werden.
Jene inhärenten methodologischen Schwierigkeiten begründen laut Diener, Oishi und Tay (2013, S. 268) zum Teil die Diskrepanzen in der Forschung zur Korrelation von subjektivem Wohlbefinden und Wirtschaftswachstum.
3. Untersuchung der Korrelation von Wirtschaftswachstum und subjektivem Wohlbefinden
Das folgende Kapitel folgt der Einteilung nach allgemeinen Standpunkten in 3.1 und 3.2 und schliesst mit einschränkenden Theorien zur Korrelation.
3.1 Das „Easterlin Paradoxon“ und die „hedonistische Tretmühle“
Bei der Querschnittanalyse der Korrelation von subjektivem Wohlbefinden und Wirtschaftswachstum unter Individuen in entwickelten Ländern stellt Easterlin eine starke positive Korrelation fest: je höher das Einkommen, desto höher das subjektive Wohlbefinden2. Demgegenüber steht eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum, die Längsschnittanalyse: das subjektive Wohlbefinden stagniert in den betrachteten Ländern trotz Wirtschaftswachstum. Diese Widersprüchlichkeit findet sich in der Literatur als „Easterlin Paradoxon“ wieder. (Easterlin, 1974, S. 118 ) 2010 wird das Konzept auch auf Entwicklungsländer ausgeweitet. Demzufolge lässt sich das „Easterlin Paradoxon“ global applizieren (Easterlin, McVey, Switek, Sawangfa & Zweig, 2010, S. 22465).
Die Interpretation dieses Phänomens ist das Auftreten eines Sättigungspunktes, der sog. „hedonistischen Tretmühle“, ab einem bestimmten Wirtschaftsniveau. Dies fasst Graham zusammen: „Die Ansprüche erhöhen sich mit steigendem Einkommen und, nachdem die Grundbedürfnisse gestillt sind, wird das Wohlbefinden eher durch das relative Level als durch das absolute Level beeinflusst.“3 (Graham, 2008, S. 77)
3.2 Positive Korrelation von Wirtschaftswachstum und subjektivem Wohlbefinden
Für eine positive Korrelation von Wirtschaftswachstum und subjektivem Wohlbefinden argumentieren unter anderem Stevenson und Wolfers (2008), Inglehart et al. (2008), Diener, Kahneman, Tov & Arora (2010) sowie Diener et al. (2013).
Stevenson und Wolfers (2008, S. 69ff) stellen mittels Methoden der Ökonometrie fest, dass beim internationalen Vergleich von ausgewählten Ländern über einen längeren Zeitraum eine positive Korrelation vorliegt. Folglich wird auch die Existenz einer „hedonistischen Tretmühle“ negiert. Neben primär positiven Korrelationen räumen sie auch etwaige unerklärte Ausnahmen ein, wie etwa die USA (Stevenson & Wolfers, 2008, S. 11, 69).
3.3 Relativierung der positiven Korrelation durch Moderatorvariablen
Eine solche Ausnahme lässt sich mit dem Ergebnis von Inglehart et al. (2008) erklären. Sie fügen zum Diskurs hinzu, dass es zu beachtende Determinanten von subjektivem Wohlbefinden wie vor allem die Wahlfreiheit gibt (Inglehart et al., 2008, S. 270).
Wenn solche Determinanten kausal auf das Wohlbefinden einwirken und sich zum Wirtschaftswachstum bspw. diametral entwickeln, dann korrelieren Wirtschaftswachstum und subjektives Wohlbefinden folglich nicht notwendigerweise positiv.
Auf die so erwachsende Komplexität weisen auch Diener et al. (2010) hin. Sie räumen zusätzlich ein, dass Wirtschaftswachstum empirisch immer zumindest mit einer Art des Wohlbefindens positiv assoziiert werden kann. Deshalb plädieren sie für eine Ausdifferenzierung des Terminus Wohlbefinden in seine Komponenten. (Diener et al. 2010, S.13f)
Davon lässt sich erstens ein reduktiver Charakter des bivariaten Graphs ableiten, der in der Beeinflussung von Moderatorvariablen auf das subjektive Wohlbefinden gründet. Zweitens erweist sich ebenfalls die Variable Wohlbefinden als reduktiv, da sie die Varianz ihrer Komponenten nicht vollständig wiedergibt. Aufgrund der fehlenden umfassenden Darstellung kann es zu dementsprechend falschen Schlussfolgerungen kommen.
Im Sinne Diener et al. (2010) zerlegen Diener et al. (2013) das subjektive Wohlbefinden in die Komponenten „life evaluation“, positive und negative Gefühle und entwickeln die Theorie der Moderatorvariablen weiter. Dabei sind vor allem drei Moderatoren wesentlich: „material well- being“, Zufriedenheit mit dem Lebensstandard und Optimismus. Des Weiteren unterscheiden sie zwischen BIP und dem durchschnittlichen Haushaltseinkommen, da ein steigendes BIP nicht notwendigerweise steigende Haushalteinkommen bedingt. (Diener et al. 2013, S. 267ff) Bei der empirischen Anwendung der Erkenntnisse ergibt sich eine positive Korrelation von steigendem Haushalteinkommen mit allen drei Komponenten des subjektiven Wohlbefindens. Dabei weisen „material well-being“ und Zufriedenheit kleinere Signifikanzwerte (jeweils p < .01) auf als Optimismus (p < .08), was bedeutet, dass eine sogenannte Nullhypothese, also die Wahrscheinlichkeit einer Null-Korrelation, statistisch unwahrscheinlicher bei ersteren ist. Folglich haben „material well-being“ und Zufriedenheit einen grösseren Einfluss auf das subjektive Wohlbefinden als Optimismus.
Im Gegensatz dazu hat das BIP einen kleineren Korrelationskoeffizienten. Das BIP korreliert nämlich nur mit „life evaluation“ klar positiv. (Diener et al., 2013, S. 272f)
Das unterschiedliche Verhalten des BIP und des durchschnittlichen Haushalteinkommens verweist dabei auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition von Wirtschaftswachstum. Diener et al. (2013, S. 272ff) weisen schliesslich empirisch nach, dass die Moderatorvariablen die grundsätzlich positive Korrelation indirekt beeinflussen und aufheben können.
Folglich sind eine positive Entwicklung des „material well-being“, der Zufriedenheit mit dem Lebensstandard und, etwas abgeschwächt, des Optimismus notwendige Voraussetzungen für die positive Korrelation von subjektivem Wohlbefinden und Wirtschaftswachstum.
3.4 Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizient als Moderatorvariable
Die Moderatorvariablen „material well-being“ und Zufriedenheit mit dem Lebensstandard, die von Diener et al. (2013) eingeführt werden, lassen sich unter dem Gini-Koeffizienten zusammenfassen. Es handelt sich beim Gini-Koeffizienten um ein Mass für die Einkommensungleichheit (Alvaredo, 2011, S.274).
In ihrer Forschung bringen Diener et al. das „material well-being“ bereits ansatzweise mit der effektiven Einkommensungleichheit in Verbindung (2013, S.268). Dass die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard von der Einkommensungleichheit abhängig ist, zeigt dabei Verme (2011, S. 111).
Oishi und Kesebir führen in diesem Sinne den Gini-Koeffizient als Moderatorvariable ein und zeigen, dass „gleichmässiges Wachstum [...] zufriedenes Wachstum und ungleichmässiges Wachstum unzufriedenes Wachstum“ ist (Oishi & Kesebir, 2015, S. 1637).
Bei einem niederen Gini-Koeffizienten korreliert subjektives Wohlbefinden tendenziell positiv mit Wirtschaftswachstum. Bei hoher Einkommensungleichheit hingegen sinkt das Wohlbefinden, was die positive Korrelation dämpft und das Easterlin-Paradoxon auftreten lässt. (Oishi & Kesebir, 2015, S. 1631-1637; vgl. auch Diener et al., 2013, S. 272f)
Die umgekehrt proportionale Assoziation von subjektivem Wohlbefinden und wachsendem Gini-Koeffizienten, beruht darauf, dass „(..) Menschen (.) eher auf ihren relativen Stand achten als auf ihren absoluten.“4 (Oishi & Kesebir, 2015, S. 1637)
[...]
1 Übersetzt durch die Verfasserin.
2 Richard Easterlin (1974) schreibt in seinem Aufsatz nicht von subjektivem Wohlbefinden, sondern von einer Korrelation mit Zufriedenheit. 2010 weist er jedoch auf die synonyme Verwendung der Begriffe hin. (Easterlin et al., S. 22463)
3 Übersetzt durch die Verfasserin.
4 Übersetzt durch die Verfasserin.