Das zentrale Vorhaben der Arbeit ist, den Stand der demokratischen Konsolidierung von Südafrika zu erörtern. Hierfür gilt es vor allem, die Stabilität des politischen Systems anhand seiner strukturellen und prozeduralen Charakteristika zu untersuchen.
Zunächst muss eine theoretische Grundlage aus der Transformations- und Konsolidierungsforschung als Analyserahmen geschaffen werden. Nach einer theoretischen Einführung werden ein Konzept demokratischer Konsolidierung und potentielle Maßstäbe vorgestellt. Dieses Konzept wird um Erkenntnisse aus afrikaspezifischen Theorieansätzen erweitert. Letzteres soll der Kritik bezüglich defizitärer Analyseansätze für afrikanische Transformationsstaaten Rechnung tragen und damit die Erklärungskraft dieser Konsolidierungsanalyse stärken.
Vorweg wird kurz auf die Ausgangslage Südafrikas vor der Transformation eingegangen, um die historischen Nachwirkungen im weiteren Verlauf verstehen zu können. Anschließend folgt die Darstellung des südafrikanischen Transformationsprozesses innerhalb des theoretischen Rahmens der Liberalisierungs-, Demokratisierungs- und Konsolidierungsphasen. Der analytische Schwerpunkt liegt anschließend auf der Konsolidierungsphase. Im letzten Kapitel wird die Konsolidierungsanalyse in drei inhaltliche Ebenen aufgeteilt. Anhand dieser Ebenen werden die Konsolidierungsdimensionen detailliert ausgeführt, um darin Errungenschaften und Herausforderungen zu explizieren.
Anhand sozioökonomischer Faktoren werden aktuelle Defizite und potentielle Konsolidierungshemmnisse näher untersucht. Die Zusammenfassung dieser Ausführungen soll eine fundierte Betrachtung des aktuellen Konsolidierungstands ermöglichen und der Ausblick Konsolidierungsperspektiven skizzieren. Abschließend wird die Arbeit in einem Fazit abgerundet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Transformations- und Konsolidierungsforschung
2.1 Theorien der Transformation
2.2 Konzept der demokratischen Konsolidierung: Prozessorientiertes Verständnis
2.3 Afrikaspezifische Transformationsprozesse und Theorieansätze
3. Südafrikas Systemwandel: Phasen der Transformation
3.1 Prä-Transformation: Apartheidregime
3.2 Phase der Liberalisierung: Ende der Apartheid
3.3 Phase der Demokratisierung: Institutionalisierung der Demokratie
4. Stand der Konsolidierung: „Neues“ Südafrika?
4.1 Institutionen und Akteure
4.2 Soziökonomische Faktoren
4.3 Zivilgesellschaft
4.4 Zusammenfassung und Ausblick
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
For you in the West to hear the phrase ‘All men are created equal’ is to draw a yawn. For us, it’s a miracle. We’re starting out at rock bottom, man. But South Africa does have soul. - Athol Fugard
Nicht nur vom südafrikanischen Schriftsteller Athol Fugard wird die demokratische Transformation seines Landes als Wunder beschrieben; sie ging weltweit als Lehrbuch-Fall und Vorbild für den gesamten afrikanischen Kontinent in die Geschichte ein.
Dennoch erschweren 25 Jahre später Altlasten des Apartheidregimes und Herausforderungen wie Korruption1 und Gewaltkriminalität2 die demokratische Konsolidierung. Die südafrikanische Gesellschaft spaltet sich weiterhin an mehreren Konfliktlinien, namentlich die soziale Ungleichheit mit einer zunehmenden Schere zwischen Arm und Reich. Immer häufiger wird die Konsolidierung und Stabilität der Demokratie in Südafrika in Frage gestellt.
In der Politikwissenschaft besteht ein Konsens, dass bei der Analyse der Stabilität einer Demokratie über die demokratische Institutionalisierung hinaus weitere Faktoren zu berücksichtigen sind.
Das zentrale Vorhaben der vorliegenden Arbeit ist, den Stand der demokratischen Konsolidierung von Südafrika zu erörtern. Hierfür gilt es vor allem, die Stabilität des politischen Systems anhand seiner strukturellen und prozeduralen Charakteristika zu untersuchen.
Zunächst muss eine theoretische Grundlage aus der Transformations- und Konsolidierungsforschung als Analyserahmen geschaffen werden. Nach einer theoretischen Einführung werden ein Konzept demokratischer Konsolidierung und potentielle Maßstäbe vorgestellt. Dieses Konzept wird um Erkenntnisse aus afrikaspezifischen Theorieansätzen erweitert. Letzteres soll der Kritik bezüglich defizitärer Analyseansätze für afrikanische Transformationsstaaten Rechnung tragen und damit die Erklärungskraft dieser Konsolidierungsanalyse stärken.
Vorweg wird kurz auf die Ausgangslage Südafrikas vor der Transformation eingegangen, um die historischen Nachwirkungen im weiteren Verlauf verstehen zu können. Anschließend folgt die Darstellung des südafrikanischen Transformationsprozesses innerhalb des theoretischen Rahmens der Liberalisierungs-, Demokratisierungs- und Konsolidierungsphasen. Der analytische Schwerpunkt liegt anschließend auf der Konsolidierungsphase.
Im letzten Kapitel wird die Konsolidierungsanalyse in drei inhaltliche Ebenen aufgeteilt. Anhand dieser Ebenen werden die Konsolidierungsdimensionen detailliert ausgeführt, um darin Errungenschaften und Herausforderungen zu explizieren.
Anhand sozioökonomischer Faktoren werden aktuelle Defizite und potentielle Konsolidierungshemmnisse näher untersucht. Die Zusammenfassung dieser Ausführungen soll eine fundierte Betrachtung des aktuellen Konsolidierungstands ermöglichen und der Ausblick Konsolidierungsperspektiven skizzieren. Abschließend wird die Arbeit in einem Fazit abgerundet.
2. Transformations- und Konsolidierungsforschung
Merkel weist auf die „Gefahr der begrifflichen Konfusion“3 in Transformationsanalysen hin, weswegen klare Definitionen und Abgrenzungen nötig sind4. In der vorliegenden Arbeit soll Transformation5 als Oberbegriff dienen, der „für alle Formen, Zeitstrukturen und Aspekte des Systemwandels und Systemwechsels“6 angewandt werden kann. Es handelt sich dann um einen Systemwechsel, wenn der Ausgang des Transformationsprozesses nicht offen ist, sondern „definitiv zu einem anderen Systemtypus führ[t]“7.8 Dessen Ursprung und Verlauf ist oftmals verknüpft mit einem „’zeitlich dramatisierten’ Übergang“9. Dagegen beschreibt ein Systemwandel einen evolutionären – also graduellen und fließenden – Transformationsvorgang, dessen Prozessverlauf und -ende offen ist10.
Die typologische Einteilung von Regierungssystemen erfolgt nach Merkel durch sechs Herrschaftskriterien: (1) Herrschaftslegitimation, (2) -zugang, (3) -monopol, (4) -struktur, (5) -anspruch und (6) -weise11. Die Anwendung dieser Kriterien ermöglicht eine typologische Unterscheidung politischer Systeme als Demokratien oder Autokratien. Nach dieser Einordnung ist für Demokratien ein offener Herrschaftszugang mit universellem Wahlrecht, eine pluralistische Herrschaftsstruktur, ein eingeschränkter Herrschaftsanspruch und eine rechtsstaatliche Herrschaftsweise charakteristisch, außerdem liegt das Herrschaftsmonopol bei demokratisch legitimierten Kräften.12
In dieser Arbeit ist eine erschöpfende Darstellung der theoretischen Ansätze, Typologien und Definitionen nicht möglich. Aufgrund des vorliegenden Fallbeispiels Südafrika soll im folgenden Überblick der Theorien der Schwerpunkt auf demokratischer Transformation liegen. Für die Analyse des Transformationsprozesses von Südafrika im weiteren Verlauf der Arbeit soll in diesem Kapitel der theoretische Analyserahmen geschaffen werden. Die theoretischen Ausführungen sind detaillierter, wenn es dem vorliegenden Analysesubjekt angemessen ist.
2.1 Theorien der Transformation
In der Transformationsforschung lassen sich hinsichtlich der Ursachenanalyse einer Systemtransformation vier Theoriestränge identifizieren: „System-, Struktur-, Kultur- und Akteurstheorien“13. Hierbei liegt der Analyseschwerpunkt entweder funktionalistisch auf dem politischen System14, strukturalistisch auf Machtstrukturen, kulturalistisch auf religiös-kulturellen Faktoren oder handlungstheoretisch auf dem Verhalten zentraler Akteure.15
Merkel plädiert bei der transformationstheoretischen Weiterentwicklung für eine Synthese der Theoriestränge,16 wonach die erkenntnisbereichernden, aber in sich limitierten Theorien in ihrer Kombination einen wertvollen und erweiterten Analysegehalt darstellen.
Auf theoretischer Ebene lassen sich drei verschiedene Transformationsphasen differenzieren: (1) Ende des Regimes (Liberalisierung), (2) Institutionalisierung der Demokratie (Demokratisierung17 ) und (3) Konsolidierung der Demokratie (Konsolidierung)18.
In der Liberalisierungsphase befindet sich das „alte“ Regime oftmals noch im Prozess der Reformierung, zum Beispiel durch den Abbau repressiver Mittel und/oder Gesetzesänderungen, und beginnt Verhandlungen mit den Oppositionskräften. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, wie diese Phase sich gestalten kann. Zum einen steht der Verhandlungswille des „alten“ Regimes in Abhängigkeit zu seiner Chance auf Machterhalt. Liegt diese Option vor, kann es zur Weiterführung des „alten“ Regimes durch Repression und Gewalt kommen. Auf der anderen Seite können von beiden Parteien ernsthaft geführte Verhandlungen die nächste Transformationsphase einleiten. Die Verhandlungsaufnahme bezeichnet den Beginn der Demokratisierungsphase und wird weitergeführt durch die Implementierung demokratischer Entscheidungsverfahren, des politischen Wettbewerbs und demokratischer Institutionen.19 Diese Phase wird dann als vollzogen erklärt, wenn sowohl eine (Interims-) Verfassung beschlossen wurde, freie und faire Wahlen abgehalten wurden und sich darauffolgend eine Regierung gebildet hat.20 Dieser Phase ist ein hohes Risiko des Scheiterns immanent, da der Handlungsspielraum der Akteure groß und gleichzeitig der handlungsregulierende Rahmen instabil ist21. Ein „positiver“ Verlauf dieser Phase bestätigt einen Konsens zwischen den Verhandlungsakteuren22 und bewirkt die gesetzliche Verankerung sowie verbindliche Normierung politischen Verhaltens, des Entscheidungsverfahrens und Herrschaftszugangs23. In Abgrenzung zu dieser Implementierung vollzieht sich in der Konsolidierungsphase die Etablierung der Demokratie. Dabei stellen die Akzeptanz, Verfestigung und Verbreitung der demokratischen Regeln den Schwerpunkt dar – vor allem in der Bevölkerung.24
Inwiefern die Übergänge zwischen den Phasen in der Praxis fließender sowie zeitlich kürzer oder länger verlaufen, muss unter Berücksichtigung des vorherigen Systems sowie der Demokratieerfahrung des Landes reflektiert werden.25
Merkel unterscheidet bezüglich des Endes eines autokratischen Systems zwischen Ursachen und Verlaufsformen, sogenannte Transformationsmodi26. Systeminterne Ursachen bezeichnen regimeeigene Konflikte, Tod einer zentralen Führungsperson oder ökonomische Ineffizienz, die zu Legitimitätsverlust und -krise27 führen. Systemexterne Ursachen sind definiert durch eine Kriegsniederlage, entzogene externe Unterstützung und ein Dominoeffekt durch ähnliche Systeme.28
Eine der idealtypischen Verlaufsformen des Systemendes29 ist die ausgehandelte, beziehungsweise paktierte30 Transformation. Diese setzt eine rationale Elite und Oppositionskräfte voraus, die gemeinsame Verhandlungen über ein neues Regime aufnehmen31. Dieser Transformationsmodus entsteht oftmals durch eine „machtpolitisch[e] Pattsituation“32 zwischen Regime- und Oppositionseliten, indem „keine Seite die Macht besitzt, einseitig die Modalitäten der zukünftigen politischen Herrschaft zu definieren“33 ; wenn zum Beispiel autoritäre Regime Schwierigkeiten haben, ihre Klientelen zufrieden zu stellen, Protestbewegungen ihr Machtmonopol gefährden, das Aufrechterhalten des Repressionssystems zu aufwändig wird und zugleich die Oppositionsbewegung nicht genug Macht generieren kann, um die Regierung zu stürzen34. Auf diese Pattsituation folgt unter Voraussetzung zweier genuin verhandlungswilliger Parteien eine friedliche Verhandlung über die künftige Herrschaftsform. In dem Kompromiss oder Pakt werden die Herrschaftskriterien neu verhandelt.35 Merkel schreibt diesem Verhandlungsprozess eine „eigentümliche demokratietheoretische Ambivalenz“36 zu, da dem Zustandekommen einer solchen Aushandlung grundsätzlich eine undemokratische Dynamik zugrunde liegt – die Regierungsopposition ist „häufig noch nicht über ein demokratisches Wahlverfahren mit einem solchen Verhandlungsmandat ausgestattet“37. Darin begründet sich nach Merkel das „demokratietheoretische Paradox“38 einer ausgehandelten Systemtransformation.39
2.2 Konzept der demokratischen Konsolidierung: Prozessorientiertes Verständnis
Um auf das Konzept der demokratischen Konsolidierung einzugehen und für die weiterführende Analyse, gilt es zunächst, eine Definition von Demokratie zu formulieren und ein Analysekonzept der demokratischen Konsolidierung herauszuarbeiten.
Heinrich fasst Demokratie als ein politisches System auf, welches das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit dahingehend nutzt, die Bürger- und Menschenrechte sowie Partizipationsrechte zu stärken40. Demgemäß wird dieser Arbeit folgendes idealtypisches Demokratieverständnis zugrunde gelegt: Es ist ein politisches System, das seinen Bürgern unter Wahrung der Freiheits- und Menschenrechte soziale Sicherung und Rechtsstaatlichkeit gewährleistet, bei dem die Bürger durch Wahlen und ähnliche Partizipationsmöglichkeiten am politischen Entscheidungsprozess teilnehmen können und durch Wettbewerb zwischen mehreren KandidatInnen eine souveräne Regierung besetzt wird, die den Wählerwillen achtet41.
Die Konsolidierung bedeutet die Etablierung und Festigung des demokratischen Systems, die die Stabilität der Demokratie gewährleisten soll. Der Beginn der Konsolidierung wird in der abgeschlossenen Institutionalisierung der Demokratie verortet. Dabei setzen in der Praxis oftmals die einzelnen Konsolidierungsdimensionen vor Abschluss der Demokratisierungsphase ein. Hinsichtlich der Konzeptualisierung, Kriterien, des Verlaufs und vor allem des Endes einer demokratischen Konsolidierung besteht in der Transformationsforschung noch kein Konsens.42 Den Diskurs prägen unterschiedliche Ansätze, wann eine Demokratie als konsolidiert gelten kann. Minimalistischen Konzepten genügt die Abwesenheit von Vetokräften; dabei wird eine Konsolidierung als abgeschlossen verstanden, wenn bei den relevanten Eliten die Akzeptanz des Systems und Beachtung der demokratisch etablierten Regeln festzustellen ist.43 Frantz kritisiert diese minimalistische Zielsetzung, da weder die Konsolidierung in den Teilsystemen Politik und Gesellschaft unabhängig voneinander betrachtet, die mögliche Gefährdung des neuen Systems nicht berücksichtigt wird, noch über die formale Umsetzung hinaus strukturelle Faktoren Bedeutung finden44. Hingegen inkludieren maximalistische Ansätze weitere Kriterien wie die demokratische Festigung der Verfassungsinstitutionen, des Parteiensystems sowie der politischen und zivilgesellschaftlichen Kultur und setzen deren Erfüllung voraus45.
Merkel entwickelt ein theoriesynthetisches Mehrebenenmodell, indem er vier analytische Konsolidierungsebenen differenziert46: (1) konstitutionelle Konsolidierung, (2) repräsentative Konsolidierung, (3) Verhaltenskonsolidierung, (4) Konsolidierung der Bürgergesellschaft. Dabei ist die Reihenfolge der Ebenen nicht zufällig, sondern sowohl Ausdruck einer Zeit- als auch Interdependenzstruktur. Demzufolge können die ersten zwei Ebenen deutlich früher konsolidiert werden als die letzten beiden.47 Die konstitutionelle Konsolidierung umfasst die formale, demokratische Legitimierung der zentralen Verfassungsinstitutionen und politischen Organe48. Sie betrifft die strukturelle Makroebene eines politischen Systems und handlungsformende sowie handlungseingrenzende Normen49.
Die Mesoebene der repräsentativen Konsolidierung bezieht sich auf die formellen politischen Akteure. Sie bedeutet die praktische Legitimierung und Umsetzung der auf der Makroebene implementierten Normen durch die territoriale und funktionale Interessensrepräsentation von Parteien und Verbänden.50
Auf der nächsten Ebene der systemkonformen Verhaltenskonsolidierung geht es, weiterhin mesoanalytisch, um die informellen politischen Akteure von Unternehmern bis zu radikalen Gruppierungen. Die konformen Akteure sollen inkludiert werden, ihre Interessen vertreten können und nichtkonforme Akteure durch effektiven Mittel sanktioniert werden.51
Durch die Konsolidierung der ersten drei Ebenen wird erst „die Herausbildung einer demokratiestabilisierenden Bürgergesellschaft“52 möglich. Die letzte Konsolidierungsphase der Zivilbevölkerung vollzieht sich im soziokulturellen Demokratiefundament durch die Entwicklung einer „Staatsbürgerkultur“53. Ist die Bürgergesellschaft konsolidiert, wirkt sie auf die drei vorigen Konsolidierungsebenen stabilisierend54. Dieser Konsolidierungsebene wird eine Zeitspanne von mindestens einem Generationswechsel und potentiell Jahrzehnten zugeschrieben. Merkel schlussfolgert, dass erst dann von einer konsolidierten, krisenresistenten Demokratie zu sprechen ist, wenn alle vier Ebenen abgeschlossen sind.55
Bei der Frage, ob und wann die Konsolidierungsphase als abgeschlossen gelten kann, muss eingeräumt werden, dass es selbst in faktisch etablierten, beziehungsweise konsolidierten Demokratien zu Diskontinuitäten hinsichtlich der Achtung demokratischer Normen und Werte kommt56. Wie Kollmorgen betont sind „Demokratien keineswegs so selbststabil“57. Daraus lässt sich realtypisch ein immanentes Destabilisierungspotential demokratischer Systeme ableiten, das bei Anwendung idealtypischer Theorieansätze nicht zu vernachlässigen ist. Demokratien sind anfällig für autoritäre Regressionen, zum Beispiel durch „eine kontinuierliche und sich verstärkende Aushöhlung demokratischer Standards“58.
Merkel folgert, dass für die Stabilität eines politischen Systems „die innere Konstruktion der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Strukturen und Akteuren so angelegt sein [muss], dass letztere die Aufgaben lösen können, die dem System aus der ‚Umwelt’ (Wirtschaft, Gesellschaft, internationaler Staatenwelt etc.) gestellt werden“59.
2.3 Afrikaspezifische Transformationsprozesse und Theorieansätze
Zimmermann führt an, dass bei der Auswahl und Anwendung von Transformationstheorien auf afrikanische Transformationsstaaten deren koloniale Geschichte reflektiert und beachtet werden muss60. Er argumentiert, „dass Demokratisierungsprozesse in Gesellschaften verankert werden soll[en], die über kaum politische Akteure, nur wenig Demokraten und über lediglich fragmentarisch gegebene Funktionsvoraussetzungen der Demokratie verfüg[en]“61. Er unterstellt der Transformationsforschung die Schaffung defizitärer Ansätze, da mit ihnen die Umstände in afrikanischen Transformationsstaaten weder adäquat erfasst noch berücksichtigt werden können62.
Nach Zimmermann weisen in afrikanischen Staaten mit Kolonialgeschichte die relevanten Akteure nach einem Herrschaftswechsel die Tendenz zu Machtgenerierung und dauerhafter Machtsicherung auf, wobei ihre Legitimation durch Einrichtung einer Demokratie eher strategisch funktionalisiert wird. Zum Erhalt der Unterstützung und zur „Loyalitätensicherung“63 führen die dominanten Akteure selten eine „Problemlösungskompetenz“64 an. Sie legitimieren ihre Machtausübung mit einer Befreiungsbewegungsrhetorik und instrumentalisieren ethnisch-kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Als Konsequenz dieser Loyalitätssicherungsmechanismen bilden sich in afrikanischen Transformationsstaaten selten Parteiensysteme aus, “in denen sich die Akteure entlang politischer Interessen formieren und die tatsächliche Möglichkeit von Regierungswechseln bieten“65.66
Kohrs deklariert für afrikanische Transformationsstaaten den Bedarf eines anpassungsfähigen, differenzierten und vor allem qualitätsorientierten Theorieansatzes. In der Beurteilung des Konsolidierungsgrads soll dem Qualitätsaspekt keine zweitrangige Bedeutung eingeräumt werden. Über formal vorhandene demokratische Stabilität, Institutionalisierungslevel und Verhaltensweisen hinaus soll analysiert werden, inwiefern Demokratieindikatoren wie „soziale Gerechtigkeit und Gleichheit – nicht nur de jure, sondern auch de facto –“67 vorliegen.68
In der vorliegenden Arbeit wird das vierstufige Konsolidierungskonzept nach Merkel als formal-analytische Struktur beibehalten, die afrikaspezifischen Theorieansätze sollen allerdings dessen analytischen Rahmen an entsprechender Stelle erweitern.
Der theoretische Diskurs und daraus abgeleitete Definitionen sowie Konzepte ermöglichen eine theoriestrukturierte Herangehensweise, dabei darf aber in der Analyse nicht der Schritt der Operationalisierung und Abstimmung auf das Forschungssubjekt fehlen. Die Prozesshaftigkeit von Konsolidierungsvorgängen und sich kontinuierlich verändernden Einflussfaktoren sollen insofern berücksichtigt werden, dass der Konsolidierungsstand der südafrikanischen Demokratie vor allem nach seiner Stabilität untersucht wird. Dies wird anhand der vier konzeptionellen Dimensionen erörtert und durch das Einbeziehen von Indizes operationalisiert. Dabei steht folgende Frage im Fokus: Befindet sich Südafrika im Prozess der positiven Konsolidierung oder findet ein rückwärtsgewandter Konsolidierungsprozess, also eine Dekonsolidierung69 statt?
[...]
1 Vgl. Transparency International: „Corruption Perceptions Index 2018“, unter: [www.transparency.org/cpi2018], [29.03.19].
2 Vgl. Andile Sicetsha: „Crime stats South Africa 2018: the murder rate increased by 6.9%”, in: The South African, vom 11.09.2018, unter: [www.thesouthafrican.com/crime-stats-south-africa-murder-rate-2018/], [29.03.19].
3 Wolfgang Merkel: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 2. überarb. u. erw. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 62.
4 Vgl. ebd. , S. 62-66.
5 Der Begriff „Transition“, der durchaus in der Literatur häufig synonym zu Transformation verwendet wird, ist nach Merkel als Übergang zur Demokratie in Lateinamerika und Südeuropa definiert und findet deswegen bei dem hier vorliegenden Fallbeispiel keine Anwendung.
6 Ebd., S. 66.
7 Ebd.
8 Vgl. ebd.
9 Ebd.
10 Vgl. Wolfgang Merkel: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung, 1. Aufl., Opladen 1999, S. 74.
11 Vgl. ebd., S. 25. Auf diese Kriterien wird im Rahmen dieser Arbeit nicht im Einzelnen eingegangen, siehe dafür Merkel: Systemtransformation, 1999, S. 23-56.
12 Vgl. ebd., S. 26f.
13 Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 67.
14 Siehe diesbezüglich vertiefend Merkels Ausführungen in Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 68-87.
15 Vgl. ebd., S. 67.
16 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 1999, S. 107.
17 Dem Begriff Demokratisierung kommt in dieser Arbeit eine Doppelbedeutung zu: Einerseits kann Demokratisierung allgemein das Ziel einer Transformation zu einem demokratischen System bedeuten, andererseits kann es in der Transformationsforschung auch die zweite Transformationsphase der Demokratieinstitutionalisierung beschreiben.
18 Vgl. ebd., S. 120; Christian von Soest: „Versöhner, Manager, Populist. Das Wirken der Präsidenten für die Konsolidierung der südafrikanischen Demokratie“, in: Werner Distler/Kristina Weissenbach (Hrsg.): Konsolidierungsprojekt Südafrika. 15 Jahre Post-Apartheid, Baden-Baden 2010, S. 91.
19 Vgl. Roland Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika. Antagonismus oder Annäherung?, Wiesbaden 2004, S. 116.
20 Vgl. ebd.
21 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 1999, S. 137.
22 Vgl. Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika, S. 117.
23 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, 105; ebd. , 1999, S. 120.
24 Vgl. Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika, S. 116f.
25 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 1999, S. 120.
26 Vgl. Julian Brückner: „Transitionsansätze“, in: Raj Kollmorgen et al. (Hrsg.): Handbuch Transformationsforschung, Wiesbaden 2015, S. 92.
27 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 98f.
28 Vgl. Raj Kollmorgen: Rezension zu: Wolfgang Merkel (1999): Systemtransformation, Magdeburg 2000, unter: [http://www.raj-kollmorgen.de/Rez_Merk.pdf], [12.03.19], S. 4.
29 Für eine detaillierte Ausführung der verschiedenen Verlaufsformen siehe Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 101-104.
30 Vgl. Brückner: „Transitionsansätze“, S. 93.
31 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 102.
32 Ebd.
33 Ebd.
34 Vgl. Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika, S. 112.
35 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 102.
36 Ebd.
37 Ebd.
38 Ebd.
39 Vgl. ebd.
40 Vgl. Volkhart Heinrich: Demokratische Konsolidierung in Südafrika, Hamburg 2001, S. 5-7.
41 Vgl. ebd., S. 7.
42 Vgl. Harald Waldrauch: „ Was heißt demokratische Konsolidierung? Über einige theoretische Konsequenzen der osteuropäischen Regimewechsel“, Reihe Politikwissenschaft/Political Science Series, Arbeitspapiere No. 36, Wien 1996, unter: [www.aei.pitt.edu/32435/1/1264591825_pw_36.pdf], [12.03.19], S. 90-96.
43 Vgl. Holger Blaul: Vergangenheitspolitik im Rahmen demokratischer Konsolidierung – Das ‚unfinished business’ des südafrikanischen Systemwechsels, Universität Freiburg 2006 (Staatsexamensarbeit), unter: [www.freidok.uni-freiburg.de/data/2830/], [10.03.19], S. 11.
44 Vgl. Christiane Frantz: EU-Integration als Transformationsrahmen? Demokratische Konsolidierung in Polen durch die Europäische Union, Opladen 2000, S. 36.
45 Vgl. Blaul: Vergangenheitspolitik im Rahmen demokratischer Konsolidierung, S. 10.
46 Hierbei schließt Merkel an das vier-Ebenen-Modell von Linz und Stepan an, siehe Juan J. Linz/ Alfred Stepan: Problems of Democratic Transition and Consolidation: Southern Europe, South America, and Post-Communist Europe, Baltimore 1996, S. 5f.
47 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 112.
48 Vgl. ebd., S. 113ff.
49 Vgl. ebd., S. 112.
50 Vgl. Heike Wendt: Die Vergleichende Einzelfallstudie. Ein Beitrag zum methodologischen Diskurs am Beispiel der Transformation des Schulsystems in Südafrika, Münster 2012, S. 98.
51 Vgl. Ebd.
52 Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 112.
53 Ebd.
54 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 1999, S. 146.
55 Vgl. Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 112.
56 Vgl. Blaul: Vergangenheitspolitik im Rahmen demokratischer Konsolidierung, S. 16.
57 Kollmorgen: Rezension zu: Wolfgang Merkel (1999): Systemtransformation, S. 2f.
58 Bertelsmann Stiftung: BTI 2018 – Ergebnisüberblick – Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2018, unter: [www.bti-project.org/BTI/Downloads/BTI_2018_Ergebnisueberblick.pdf], [24.03.19], S. 9.
59 Merkel: Systemtransformation, 2010, S. 55.
60 Vgl. Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika, S. 120.
61 Ebd., S. 126.
62 Vgl. ebd., S. 127.
63 Ebd., S. 121.
64 Zimmermann: Demokratie und das Südliche Afrika, S. 121.
65 Ebd.
66 Vgl. ebd., S. 121f.
67 Kohrs: „Konsolidierte Demokratien in Afrika“, S. 3, Hervorhebungen im Original.
68 Vgl. ebd.
69 Vgl. Wolfgang Merkel: „Systemtransformation: Konsolidierung und Qualität der Demokratie“, in: Florian Grotz/ Ferdinand Müller-Rommel (Hrsg.): Regierungssysteme in Mittel- und Osteuropa. Die neuen EU-Staaten im Vergleich, Wiesbaden 2011, S. 39.