Diese Arbeit befasst sich mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Dabei soll anhand des modifizierten Cleavage-Ansatzes von Wolfgang Merkel und den jüngsten Forschungsansätzen von Ronald Ingleharts sowie Pippa Norris die Frage geklärt werden, inwieweit eine neue Konfliktlinie in der deutschen Gesellschaft existiert, die sich durch die Genese und die Etablierung der AfD im deutschem Parteiensystem manifestiert.
Ob Links- oder Rechtspopulismus, seit Jahren zeichnet sich die Tendenz eines globalen Aufschwungs populistischer Parteien in der Wählergunst westlicher Demokratien ab. Der Wahlsieg Donald Trumps zum 58. US-Präsidenten der Vereinigten Staaten, das italienische Regierungsbündnis zwischen Lega Nord und Cinque Stelle, der Koalitionspakt zwischen ÖVP und FPÖ in Österreich, die erfolgreiche Brexit-Kampagne der UK Indepence Party, oder der jüngste Wahlerfolg der spanischen Vox-Partei, stellen hierbei exemplarisch den Erfolg populistischer und anti-demokratischer Kräfte dar, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch in Deutschland ist mit dem Aufkommen der AfD erstmals wieder seit 1945 eine Rechtsaußenpartei im Deutschen Bundestag vertreten.
Seit ihrer Gründung im Jahre 2013 verzeichnete die AfD einen rasanten Aufstieg und genießt bisweilen anhaltende Zustimmung in Teilen der Bevölkerung. Galten lange Zeit die sozialstrukturellen Spaltungslinien (,,cleavages“) nach Seymour M. Lipset und Stein Rokkan zwischen Peripherie und Zentrum, Kirche und säkularer Staat, Arbeit und Kapital, sowie Stadt und Land, als bewährtes Erklärungsmodell zur Entstehung westeuropäischer Parteiensysteme, scheint sich nun mit der Etablierung rechtspopulistischer Kräfte eine neue innergesellschaftliche Spaltungslinie abzuzeichnen: Eine Divergenz zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Während etablierte Volksparteien sukzessive an Zustimmung verlieren, haben es rechtspopulistische Parteien in ganz Europa mit ihrer antiglobalisierungs und chauvinistisch- kommunitaristischen Programmatik geschafft, eine Repräsentationslücke zu schließen und ein zunehmend unzufriedenes Wählerklientel erfolgreich zu mobilisieren.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Eine kurze Einführung in den Forschungsschwerpunkt
1.2 Literaturbericht
1.3 Methodik
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Der makrosoziologische Cleavage-Ansatz von Lipset/Rokkan
2.2 Modifikationen des Cleavage-Ansatzes
2.2.1 Kommunitarismus vs. Kosmopolitismus
2.2.2 Ökonomische und kulturelle Konfliktdimension
2.2.3 Das kosmopolitische Paradigma und der Niedergang der Volksparteien
3. Empirische Überprüfung der theoretischen Hypothesen von Wolfgang Merkel und Inglehard/Norris
3.1 Analyse des AfD Grundsatzprogrammes und des Bundestagswahlprogrammes des Jahres 2017
3.1.1 EU-Poltik
3.1.2 Migrationspoltik
3.1.3 Kultur/- Gesellschaftspolitik
3.2 Wer wählt die AfD? Der sozioökonomische Querschnitt eines AfD-Wählers
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Eine Einführung in den Forschungsschwerpunkt
Ob Links- oder Rechtspopulismus, seit Jahren zeichnet sich die Tendenz eines globalen Aufschwungs populistischer Parteien in der Wählergunst westlicher Demokratien ab. Der Wahlsieg Donald Trumps zum 58. US-Präsidenten der Vereinigten Staaten, das italienische Regierungsbündnis zwischen Lega Nord und Cinque Stelle, der Koalitionspakt zwischen ÖVP und FPÖ in Österreich, die erfolgreiche Brexit-Kampagne der UK Indepence Party, oder der jüngste Wahlerfolg der spanischen Vox-Partei, stellen hierbei exemplarisch den Erfolg populistischer und anti-demokratischer Kräfte dar, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch in Deutschland ist mit dem Aufkommen der AfD erstmals wieder seit 1945 eine Rechtsaußenpartei im Deutschen Bundestag vertreten. Seit ihrer Gründung im Jahre 2013 verzeichnete die AfD einen rasanten Aufstieg und genießt bisweilen anhaltende Zustimmung in Teilen der Bevölkerung. Mit einem Stimmenanteil von 12,6 Prozent in der vergangenen Bundestagswahl 2017 gelang ihr erstmalig der Einzug in das Parlament. Galten lange Zeit die sozialstrukturellen Spaltungslinien („cleavages“) nach Seymour M. Lipset und Stein Rok- kan zwischen Peripherie und Zentrum, Kirche und säkularer Staat, Arbeit und Kapital, sowie Stadt und Land, als bewährtes Erklärungsmodell zur Entstehung westeuropäischer Parteiensysteme, scheint sich nun mit der Etablierung rechtspopulistischer Kräfte eine neue innergesellschaftliche Spaltungslinie abzuzeichnen: Eine Divergenz zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen. Kernfrage, um die sich der Konflikt beläuft, ist die Frage nach dem Grad der Öffnung oder Schließung der nationalstaatlichen Grenzen. Kosmopoliten gelten als Globaliserungsgewinner und setzen sich für eine uneingeschränkte Grenzöffnung, kulturellen Pluralismus, sowie nationalstaatliche Souveränitätsabgaben zugunsten von internationalen Organisationen ein. Kommunitaristen hingegen definieren ihre Identität national, befürworten kontrollierte Grenzen, sowie einen kompetenzstarken Nationalstaat, und lehnen Multikulturalismus ab. Sie gelten zudem als Globalisierungsverlierer, die sich von den etablierten Volksparteien und urbanen Eliten abgehängt und politisch unzureichend repräsentiert fühlen. Während etablierte Volksparteien sukzessive an Zustimmung verlieren, haben es rechtspopulistische Parteien in ganz Europa mit ihrer antiglobalisierungs und chauvinistisch- kommunitaristischen Programmatik geschafft, jene Repräsentationslücke zu schließen und jene unzufriedene Klientel erfolgreich zu mobilisieren.
Vor diesem Hintergrund befasst sich die folgende Arbeit mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Dabei soll anhand des modifizierten Cleavage-Ansatzes von Wolfgang Merkel und den jüngsten Forschungsansätzen von Ronald Ingleharts sowie Pippa Norris die Frage geklärt werden, inwieweit eine neue Konfliktlinie in der deutschen Gesellschaft existiert, die sich durch die Genese und die Etablierung der AfD im deutschem Parteiensystem manifestiert.
Bensmann (2017) und Friedrich (2017) liefern eine detaillierte historische Abhandlung über die AfD und untersuchen zudem den sozioökonomischen Querschnitt ihrer Anhängerschaft. Häusler (2016) bemüht sich um eine politische Einordnung der AfD und analysiert dabei ihr Wahlprogramm der Bundestagswahl 2017. Monow (2018) konzipiert eine sachgenaue Analyse über die politische Ökonomie des Populismus und untersucht unter anderem die Wahlmotivation von AfD-Wählern. Roth (2008) und Westle (2012) bieten einschlägige Einführungswerke in das Forschungsgebiet der empirischen Wahlforschung und gehen unter anderem auf den Makrosoziologischen Erklärungsansatz (Cleavage-Theorie) von Lipset und Rokkan ein. Mair (1997) bietet ein Überblickswerk über die Struktur und den Wandel des europäischen Parteiensystems. Wolfgang Merkels Publikation ,,Kosmopolitismus versus Kommunitarismus: Ein neuer Konflikt in der Demokratie” (2017) stellt eine Modifikation der makrosoziologischen Cleavage-Theorie dar, in der er das Aufkommen einer neuen sozialstrukturellen Konfliktlinie beschreibt. In Ronald Inglehards und Pippa Norris Veröffentlichung ,, Trump, Brexit and the Rise of Populism: Economic Have-Nots and Cultural Backlash” (2016) wird ebenfalls eine neue Spaltungslinie zwischen Globalisten und Kommunitaris- ten diagnostiziert, die sie auf ihre Cultural-Backlash These zurückführen.
Hinsichtlich der Methodik der zugrundeliegenden Arbeit wird zunächst im zweiten Gliederungspunkt das makrosoziologische Erklärungsmodell (Cleavage-Theorie) nach Seymour Lipset und Rokkan Stein erläutert. Infolgedessen werden die modifizierten Forschungsansätze von Wolfgang Merkel (2017) und Ronald F. Inglehard/Pippa Norris (2016) umfassend analysiert. Es folgt die empirische Analyse, zu deren Beginn die programmatische Ausrichtung der AfD hinsichtlich der zuvor ausgearbeiteten theoretischen Hypothesen Merkels und Ingelhards/Norris untersucht wird. Dabei wird das AfD Wahlprogramm der vergangen Bundestagswahl 2017 und ihr Grundsatzprogramm 2016 nach kommunitaristischen Standpunkten überprüft. Anschließend wird der sozioökonomische Querschnitt der AfD Wählerschaft analysiert, wobei an dieser Stelle auf Sekundärdaten und Umfrageergebnisse des Wahlforschungsinstituts YouGov Poltical Research (YouGov), sowie auf die Studienergebnisse von Holger Langfeld zurückgegriffen werden.
2. Theoretische Grundlagen
Im folgenden Abschnitt werden die theoretischen Grundlagen näher erläutert. Hierbei wird zunächst auf das makrosoziologische Erklärungsmodell (Cleavage-Theorie) von Seymour M. Lipset und Stein Rokkan eingegangen. Das von Lipset und Rokkan Ende der 60er Jahre konzipierte Clea- vage-Modell dient als Grundlage für die modifizierten „Neunen Cleavages“, die Merkel (2017) wie auch Inglehart/Norris (2016) in ihren jüngst erschienen Forschungsansätze charakterisieren. In einem zweiten Schritt werden eben jene weiterentwickelten Cleavages näher dargelegt, bevor sie im anschließenden Kapitel in der empirischen Analyse auf ihre Erklärungskraft bzgl. der Genese und Etablierung der AfD untersucht werden.
2.1 Der makrosoziologische Cleavage-Ansatz von Lipset/Rokkan
Der von Seymour M. Lipset und Rokkan Stein (1967) konzipierte makrosoziologische Cleavage- Ansatz analysiert das Wahlverhalten auf gesamtgesellschaftliche Ebene und führt die Entstehung, sowie die Struktur der westeuropäischen Parteiensysteme der 60er Jahre auf die sozialstrukturellen Konfliktlinien („Cleavages“) des späten 19. Jahrhunderts zurück. Ihrer Grundannahme (,,freezing- Hypothese“) zufolge sind seit der 1920er Jahre die sozialen Konfliktstrukturen „eingefroren“. Die parteipolitische Konstellation der 50er und 60er Jahre ist gemäß ihrer Auffassung daher eine Reflexion jener eingefrorenen Konfliktstrukturen der zwanziger Jahre. (Gabriel/Weste 2012: 52) Ein Cleavages ist, Franz Urban Pappi zufolge, ,,[ein] dauerhafte[r] politische[r] Konflikt, der in der Sozialstruktur verankert ist und im Parteiensystem seinen Ausdruck gefunden hat“. (Pappi 1977: 195) Im Zuge sozialer Interessengegensätze formierten sich gesellschaftliche Akteure in Großgruppen bzw. Verbänden zur Artikulation ihrer Interessen und Auffassungen. Dabei gingen sie mit politischen Parteien Bündnisse ein, um Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen. (vgl. Roth 2008: 33) Lipset und Rokkan differenzieren hierbei zwischen vier grundlegenden Cleavages, die in allen Gesellschaften in Europa zu finden waren und die Entstehung nationaler Parteiensysteme maßgeblich beeinflusst haben: Der Zentrum-Peripherie-Gegensatz beschreibt eine Differenz zwischen einer herrschenden zentralen Elite und regionalen Minderheiten, die sich der Staatsbildung widersetzen. Im parteipolitischen Kontext reflektiert jener Konflikt einen Gegensatz zwischen national ausgerichteten und regionalen Parteien. 2. Der Kirche-Staat-Konflikt entstand infolge der französischen Revolution 1789 und reflektiert den Autonomieanspruch des säkularen Staates gegenüber den Privilegien der Kirche. Parteipolitisch findet dieser Konflikt im Gegensatz christlich orientierter und laizistischer Parteien seinen Ausdruck. 3. Stadt-Land-Konflikt spiegelt einen Inter- essengegensatz zwischen industrielles Bürgertum bzw. aufstrebenden städtischen Unternehmern und der ländlichen bäuerlichen Bevölkerung wieder. Jene ambivalente Interessenkonstellation hat ihren Ursprung in der industriellen Revolution, in der städtische Unternehmer von den Neuerungen industrieller Produktionsweisen stark profitierten und sich gegen die agrarischen, sowie protektionistischen Interessen ländlicher Gutsbesitzer positionierten. 4. Der Arbeit-Kapital-Konflikt ist eine Konsequenz der Industrialisierung und stellt einen Gegensatz zwischen Arbeiterklasse und besitzende Klasse dar. Hintergrund war der Streit um die Frage des Privateigentums an Produktionsmittel. Parteipolitisch schlägt sich jener Gegensatz in der Herausbildung sozialdemokratischer, sozialistischer und kommunistischer Parteien bzw. bürgerlich-liberaler Parteien nieder. (vgl. Schoen 2014: 181; Roth 2008: 33 ff.)
2.2 Modifikationen des Cleavage-Ansatzes
2.2.1 Kommunitarismus vs. Kosmopolitismus
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel beschreibt in seiner Publikation ,,Kosmopolitismus versus Kommunitarismus: Ein neuer Konflikt in der Demokratie“ (2017) das Aufkommen einer neuen sozialstrukturellen Konfliktlinie, die sich in der Genese und Etablierung rechtspopulistischer Kräfte in den westeuropäischen Parteiensystemen widerspiegelt. Die zentrale Fragestellung, um die sich der Konflikt beläuft, ist die Frage nach dem Grad der Öffnung oder Schließung der nationalstaatlichen Grenzen, so Merkel. Die ,,Grenzfrage“ ist hierbei im umfassenderen Sinne zu verstehen, denn mit Grenzen sind hierbei nicht zwangsläufig etwa nur die konventionellen territorialen Grenzen eines Staatsgebietes gemeint, sondern auch die Grenzen des Güter-, Dienstleistung-, und Kapitalverkehrs. Überdies bezieht sich die Grenzfrage auf Migration, Menschenrechte, Umweltschutz, sowie auf nationalstaatliche Souveränitätsabgaben zugunsten supranationaler Organisationen und Regime. (Merkel 2016: 10) Jener Interessensgegensatz, der sich aufgrund der Konsequenzen einer beschleunigten Globalisierung und den soziopolitischen Widerständen gegen sie herausgebildet hat, wird zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen ausgefochten. (vgl. ebd.: 12) Erstere Gruppe steht für eine uneingeschränkte Grenzöffnung und setzt sich somit für einen schrankenlosen Güter-, Dienstleistungs-, Kapital-, und Personenverkehr ein. Des Weiteren betonen Kosmopoliten die Chancen der Globalisierung und befürworten eine liberale Einwanderungspolitik, sowie kulturellen Pluralismus. Darüber hinaus sind Kosmopoliten der Ansicht, nationalstaatliche Kompetenzen reichen in einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt nicht mehr aus, um den globalen politischen Herausforderungen gerecht zu werden, und plädieren deshalb für nationalstaatliche Souveränitätsabgaben zugunsten supranationaler Einrichtungen. Ausgestattet mit einem überdurchschnittlich hohen Einkommen, sowie Human- und Kulturkapital, gelten Kosmopoliten tendenziell als Globalisierunnsgewinner. Kommunitaristen hingegen bilden die Antipode zu den kosmopolitischen Leitideen. So definieren Kommunitaristen ihre Identität lokal, regional, und national, befürworten kontrollierte Grenzen und lehnen Multikulturalismus ab. Die Globalisierung, samt ihren einhergehenden Konsequenzen, wird sowohl hinsichtlich ihrer sozioökonomischen als auch ihrer kulturellen Dimension als Gefahr wahrgenommen. Kommunitaristen setzen sich für einen kompetenzstarken Nationalstaat ein und lehnen die Abgabe von nationalstaatlichen Souveränitätsrechten strikt ab. Im Gegensatz zu Kosmopoliten handelt es sich bei Kommunitaristen eher um Globalisierungsverlierer, die über ein geringes Sozial- und Kulturkapitel verfügen, und sich in den unteren Einkommens- sowie Bildungsschichten bewegen. (vgl. ebd.: 12 ff.)
2.2.2 Ökonomische und kulturelle Konfliktdimension
Der Konflikt zwischen Kommunitaristen und Kosmopoliten verläuft entlang einer ökonomischen und einer kulturellen Achse. Während sich ersterer ökonomischer Konflikt auf wirtschaftliche Interessensdivergenzen bezieht, handelt der kulturelle Konflikt um Fragen bezüglich Multikulturalität und Migration. (vgl. Merkel 2017: 14) Kommunitaristen positionieren sich dabei wertetechnisch mit einer spezifischen oppositionellen Haltung konträr zu den liberalen Standpunkten ihres kosmopolitischen Pendants. Normative Grundgedanken des liberalen Universalismus und postmaterielle Werte, wie etwa kulturellen Pluralismus und eine liberale Einwanderungspolitik, lehnen Kommuni- taristen kategorisch ab. In Hinblick auf ihre Wertorientierung profilieren sich Kommunitaristen mit antiliberalen Einstellungen, einer exklusiven und ethnozentrischen Kultur- Identitätspolitik, sowie nationalen Protektionismus. (vgl. Koppetsch 2018: 384) Auf selbige Weise argumentieren auch Ronald F. Inglehart und Pippa Norris. Ihrer These zufolge ist der neue Cleavage nicht alleinig auf ökonomische Ursachen zurückzuführen, sondern gleichermaßen auch auf kulturelle Interessengegensätze. (vgl. Inglehard/Norris 2016: 3) Der neue Cleavage ist demnach ein Ausdruck eines neuen Kulturkampfes, eines Cultural Backlash, der eine (nostalgische) Gegenreaktion zum postmaterialistischen Wertewandel darstellt. In der Nachkriegszeit vollzog sich mit einsetzender ökonomischer Prosperität und finanzieller Existenzsicherheit ein profunder Wertewandel in den Gesellschaften westlicher Hemisphäre. Postmaterielle Werte, wie Kosmopolitismus, Multikulturalismus, Menschenrechte, Umweltschutz, die Chancengleichheit für Frauen und die gleichgeschlechtliche Ehe, lösten alte materialistische Werte wie auch konservative Einstellungen zunehmend ab. Jener post- materielle Wandel widerfährt nun ,,a counter-revolutionary retro backlash, especially among the older generation, white man and less educated sector [..]“, so Inglehart und Norris. (Inglehart/Nor- ris 2016: 3) Die ambivalente Interessenlage zwischen kosmopolitischen Eliten und kommunitaristi- schen Massen hinsichtlich der bipolaren Konfliktstruktur ist nicht alleinig auf eine monokausale ökonomische Diskrepanz zurückzuführen, sondern, wie Merkel sowie Inglehart und Norris in ihren Publikationen diagnostizieren, ebenso anhand der Faktoren Humankapital (Bildungsniveau) und Kulturkapital herzuleiten, die ,,kosmopolitische Einstellungen und Statusabgrenzungen gegenüber kommunitaristischen Positionen deutlich machen“. (Merkel 2016: 15)
3.2.3 Das kosmopolitische Paradigma und der Niedergang der Volksparteien
Im Zuge des kosmopolitischen Paradigmas, welches parteiübergreifend sowohl die Programmatik sozialdemokratischer als auch bürgerlich-konservativer Parteien durchdrang, durchliefen die westlichen Gesellschaften in den letzten vier Dekaden einen tiefgreifenden kulturellen sowie politischen Wandel. (vgl. Merkel 2016: 17) Jener Wandel äußerte sich durch eine Liberalisierung der Gesellschaft, einer progressiven Familien- und Geschlechterpolitik, sowie einem politischen Konsens, der Migration und Multikulturalismus befürwortete, und sich zunehmend an ökologischen Fragen orientierte. (vgl. ebd.: 17) Normativ-kosmopolitische Diskurse bestimmten in zunehmenden Maßen die öffentliche Sphäre. So sei ,,der kosmopolitische Diskurs der herrschenden [..] zum herrschenden Diskurs in den entwickelten Gesellschaften diesseits und jenseits des Atlantiks gewordend (ebd.: 17) Im Rahmen des „Dritten Weges“ zu Beginn 1990er Jahren entwurzelten sich sozialdemokratische Parteien von ihren einstigen marxistischen Leitideen und nahmen sukzessive neoliberale und kosmopolitische Standpunkte ein. Linkspopulisten wie Chantal Mouffe oder Laclau bezeichnen jene programmatische Verwässerung als ,,Postdemokratische Alternativlosigkeit“, die zu einer Abnahme der politischen Auseinandersetzung und des Pluralismus innerhalb westlicher Parteiensysteme geführt hat. (vgl. ebd.: 19) Konservative Parteien, wie die CDU, erfuhren gleichermaßen eine Liberalisierung ihrer programmatischen Ausrichtung und einen „Import kosmopolitischer Überzeugungen“. (ebd.: 16) Dies verdeutlichte sich während der Flüchtlingskrise im Jahre 2014, in der sich Angela Merkel und die Parteiführung der CDU kosmopolitisch positionierte, eine Obergrenze für Asylsuchende ablehnte und die Grenzen schrankenlos öffnete. Wolfgang Merkel argumentiert, dass rechtspopulistische Kräfte von der Kosmopolitisierung der Volksparteien profitieren und das entstandene Vakuum im traditionell konservativen Lager füllen. Jedoch richte sich ihre Politik nicht primär an ökonomische Fragen - wie etwa um die „Restriktion global entfesselter Märkte“ oder die Ausmerzung sozialer Ungleichheit - sondern um die Herausbildung einer ethnozentrischen Politik und kulturellen Identität, die jedweden gesellschaftlichen Pluralismus negiert und sich durch eine Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten definiert. (ebd.: 19) Ihre Politik sei nicht ein Kampf gegen soziale Ungleichheit - also eine Antwort auf die negativen Konsequenzen der Globalisierung - sondern, so Merkel, ein ,,Kampf gegen das Fremde oder gar die Fremden“. (ebd.: 19)
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