Die Arbeit gliedert sich in vier Teile und thematisiert den aktuellen Diskurs der Flüchtlingsfrage in Spanien und deren Repräsentation in Artikeln der nationalen Zeitungen. Das Ziel ist es, eine Antwort auf die Frage zu geben, inwiefern Zeitungsartikel dem Leser durch sprachliche Mittel bestimmte Wertungen und Einschätzungen suggerieren, die das Denken der Bürger und somit auch den gesellschaftlichen Diskurs in Spanien lenken. Da diese Arbeit auf eine Seitenanzahl begrenzt ist und nicht das gesamte Spektrum der Printmedienberichterstattung abdecken kann, beschränkt sie sich in ihren Beispielen auf einige Artikel spanischer Zeitungen, die sprachliche Elemente aufweisen, um die es im Hauptteil gehen soll.
Den Schwerpunkt der linguistischen Analyse bilden die diskursiven Elemente Frames, Metaphern, Schlagwörter, Tabuwörter und Euphemismen. Zunächst erhält der Leser im ersten Kapitel dieser Arbeit einen kurzen Überblick darüber, wie Spanien sich über die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte von einem Auswanderungs-land hin zu einem begehrten Ziel vieler Menschen auf der Flucht entwickelte, ebenso thematisiert dieses Kapitel die momentane Situation bezüglich der Flüchtlingspolitik. In Kapitel 2 werden anschließend die Grundlagen des Diskursbegriffes dargestellt sowie die Vorgehensweise einer Diskursanalyse verdeutlicht.
Dieser Teil der Arbeit stützt sich auf die bedeutenden Erkenntnisse des Philosophen Michel Foucault und schließt mit der methodischen Konkretisierung Jägers ab. In dem letzten und wichtigsten Kapitel dieser Arbeit werden ausgewählte Artikel zitiert und auf die diskursive Phänomene Frames und Euphemismen untersucht. Im Anschluss an diese Analyse folgt zudem eine Zusammenfassung der Ergebnisse und das Fazit.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Einführung in die Thematik: Asyl und Flüchtlingsmigration in Spanien
2.1 Vom Auswanderungsland zum beliebtesten Einwanderungsland
2.2 Spaniens aktuelle Situation
3 Methodischer Ansatz: Theoretische Grundlagen einer kritischen Diskursanalyse
3.1 Definition Diskurs
3.2 Diskurs, Wissen und Macht
3.3 Kritische Diskursanalyse nach Jäger
4 Diskursanalytische Untersuchung: Spanische Printmedien
4.1 Methodik
4.2 Frames
4.2.1 Definition Frame-Analyse
4.2.2 Massen-Frame
4.2.3 Festungs-Frame
4.2.4 Tragödien-Frame
4.3 Euphemismen in der Politik
5 Fazit/ Conclusion
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Für viele Menschen ist Heimat an einen festen Ort gebunden. Man verspürt ein Gefühl der Zugehörigkeit, wenn man mit anderen Menschen dieselbe Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft anfeuert, ein Gefühl der Geborgenheit, wenn man nach langer Zeit des Heimwehs an den Ort zurückkehrt, in dem der Nachbar von nebenan dieselbe Sprache spricht. Zahlreiche (Bürger-)Kriege weltweit, unter anderem der syrische Bürgerkrieg, waren Auslöser für die stark ansteigende Anzahl von Menschen, die aus gesellschaftspolitischen Gründen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und einen steinigen Weg voller Angst, Unsicherheit und Zurückweisung auf sich zu nehmen. Laut der offiziellen UNO-Flüchtlingshilfe e. V. sind noch nie so viele Menschen geflüchtet wie zum jetzigen Zeitpunkt. Der Diskurs rund um die Flüchtlingsdebatte eskalierte, als die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Menschen in zwei Lager aufgeteilt und somit die Gesellschaft in gewisser Weise gespalten hat.
Auch in Spanien stellen die immer weiter ansteigenden Flüchtlingszahlen die Bundesregierung vor eine große Herausforderung. Besonders durch die Printmedien gerät der Diskurs der Flüchtlingsfrage stets in den Mittelpunkt der gesellschaftspolitischen Diskussionen. Im vergangenen Jahr 2019 verzeichnete das Land ca. 65.000 eingehende Asylanträge1 und ist somit für viele Menschen (besonders Nordafrikaner), die auf der Flucht sind, das erste Ziel innerhalb der Europäischen Union. Somit ist es keine Überraschung, dass diese Thematik parallel zu dem rasanten Anstieg der Zahlen eine zunehmend wichtigere Rolle in aktuellen sozial- und gesellschaftspolitischen Diskursen einnimmt. Auch am Beispiel von Spanien lässt sich beobachten, dass die Meinungen diesbezüglich teilweise sehr weit auseinandergehen; dementsprechend spürt man aktuell die mit der Zeit entstandene Kluft zwischen mitfühlenden, Verständnis zeigenden Menschen auf der einen und hasserfüllten Menschen auf der anderen Seite. Wichtig in diesem Kontext ist zu erwähnen, dass diese Ansichten und Sichtweisen natürlich zu der eigenen Meinungsfreiheit zählen, ziemlich oft jedoch lediglich ein Produkt der Medien und deren beabsichtigter Suggestion sind.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile und thematisiert den aktuellen Diskurs der Flüchtlingsfrage in Spanien und deren Repräsentation in Artikeln der nationalen Zeitungen. Das Ziel ist es, eine Antwort auf die Frage zu geben, inwiefern Zeitungsartikel dem Leser durch sprachliche Mittel bestimmte Wertungen und Einschätzungen suggerieren, die das Denken der Bürger und somit auch den gesellschaftlichen Diskurs in Spanien lenken. Da diese Arbeit auf eine Seitenanzahl begrenzt ist und nicht das gesamte Spektrum der Printmedienberichterstattung abdecken kann, beschränkt sie sich in ihren Beispielen auf einige Artikel spanischer Zeitungen, die sprachliche Elemente aufweisen, um die es im Hauptteil gehen soll. Den Schwerpunkt der linguistischen Analyse bilden die diskursiven Elemente Frames, Metaphern, Schlagwörter, Tabuwörter und Euphemismen.
Zunächst erhält der Leser im ersten Kapitel dieser Arbeit einen kurzen Überblick darüber, wie Spanien sich über die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte von einem Auswanderungsland hin zu einem begehrten Ziel vieler Menschen auf der Flucht entwickelte, ebenso thematisiert dieses Kapitel die momentane Situation bezüglich der Flüchtlingspolitik. In Kapitel 2 werden anschließend die Grundlagen des Diskursbegriffes dargestellt sowie die Vorgehensweise einer Diskursanalyse verdeutlicht. Dieser Teil der Arbeit stützt sich auf die bedeutenden Erkenntnisse des Philosophen Michel Foucault und schließt mit der methodischen Konkretisierung Jägers ab. In dem letzten und wichtigsten Kapitel dieser Arbeit werden ausgewählte Artikel zitiert und auf die diskursive Phänomene Frames und Euphemismen untersucht. Im Anschluss an diese Analyse folgt zudem eine Zusammenfassung der Ergebnisse und das Fazit.
2 Einführung in die Thematik: Asyl und Flüchtlingsmigration in Spanien
Dieses Kapitel dient dazu, dem Leser einen groben Überblick über den Diskurs rund um die wichtigsten Aspekte der Flüchtlingsthematik zu geben und wichtige Fakten darzulegen. Primär geht es um die Frage, wie aus Spanien im Laufe der Zeit ein begehrtes Einwanderungsland wurde, das von der Flüchtlingskrise betroffen ist. Dazu gibt es einen kurzen geschichtlichen Überblick, der dazu dient, die historische Entwicklung der Migration anschaulich darzustellen. Das Ende des Kapitels setzt sich mit der aktuellen Situation Spaniens in Bezug auf die Flüchtlingspolitik auseinander, da diese Thematik in Spanien ein gegenwärtig umstrittenes Thema ist.
2.1 Vom Auswanderungsland zum beliebtesten Einwanderungsland
Es ist unbestritten, dass Spanien in den letzten Jahren eine immer weiter ansteigende Zahl an Einwanderern verzeichnen kann, besonders seit der europäischen Flüchtlingskrise im Jahre 2015. Das war jedoch nicht immer so, denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts wanderten ca. 1,5 Millionen Spanier aus, der größte Teil verließ das Land in Richtung Lateinamerika.
Die beiden Weltkriege sowie der spanische Bürgerkrieg unterbrach diese Auswanderungsbewegung, bis sie in den 1940er und 1950er Jahren wieder an Bedeutung gewann und erneut Tausende Spanier in Länder wie Brasilien, Uruguay etc. emigrierten. In den frühen 1970er Jahren begannen nord- und westeuropäische Länder, ausländische Arbeitnehmer anzuwerben, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Viele Länder schlossen Anwerbeabkom- men und stellten somit einer Vielzahl an arbeitssuchenden Menschen einen temporären Arbeitsplatz in Aussicht - darunter auch Spanien. Eine beträchtliche Anzahl der Gastarbeiter kehrte allerdings nach einigen Jahren wieder in ihr Heimatland zurück, nachdem eine wirtschaftliche Krise den Menschen Anfang der 1970er Jahre die Aussicht auf eine bessere berufliche Zukunft zunichtemachte. Insgesamt entschieden sich zwischen 1975 und 1999 eine halbe Millionen Menschen dazu, nach Spanien zurückzukehren.2
Der darauffolgende langsame Anstieg an Zuwanderern in Spanien im Jahre 1980 hatte einen wirtschaftlichen Aufstieg des Landes zur Folge, somit gewann der spanische Staat immer mehr an Attraktivität und nahm in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche ausländische Immigranten auf. Aufgrund der Tatsache, dass es in diesem Jahrzehnt praktisch noch keine Migrationspolitik im Lande gab, trat 1985 auf im Rahmen des Schengen-Abkommens das erste spanische Ausländergesetz in Kraft.3
Die Migrationsgeschichte des Landes erlebte infolgedessen zur Jahrhundertwende hin einen Umschwung und Spanien entwickelte sich zunehmend zu einem beliebten Einwanderungsland. Im Jahre 2008 betrug die Anzahl an ausländischen Bürgern in Spanien 11,3 % und trug maßgebend zum Anstieg der Bevölkerungszahlen bei.
2.2 Spaniens aktuelle Situation
Die europäische Flüchtlingskrise 2015 stellte viele Länder vor eine große Herausforderung, darunter auch Spanien. Aufgrund der geographischen Lage war und ist Spanien besonders für afrikanische Bootsflüchtlinge ein begehrtes Ziel, sei es als erster Stopp, um weiter nach Europa zu reisen, oder um dauerhaft dort zu leben.
Gerade die Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika gelten als wichtige Einfallstore, um von dort aus das spanische Festland zu erreichen und in andere EU-Staaten durchzudringen.
Im Laufe der Zeit entwickelten sich Melilla und Ceuta zu Sinnbildern der spanischen Ab- schiebepolitik, denn nicht selten berichtete man über Flüchtlinge, die mit großer Mühe die Exklaven erreichten, um anschließend wieder abgeschoben zu werden. Immer wieder geriet Spanien in den letzten Jahren aufgrund der Grenzsicherung und des strikten Vorgehens gegen illegale Einwanderer in die Kritik. Ungeachtet dessen arbeitet die spanische Guardia Civil nach wie vor ununterbrochen an der Absicherung dieses dieser beiden Orte, Melilla hat sogar „die am stärksten gesicherte Grenze der EU“.4
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sânchez ist Mitglied der sozialdemokratischen, mitte-linksorientierten Partei PSOE und seit 2018 Spaniens Ministerpräsident. Mit seinem Amtsantritt erhofften sich viele Sozialisten eine Imageaufwertung als gastfreundlicheres Land und einen humaneren Umgang mit Menschen auf der Flucht. Den Anforderungen wurde der Premierminister unter anderem durch die Rettungsaktion von 630 Flüchtlingen mit dem Rettungsschiff „Aquarius“ zwar gerecht, doch dies hielt aufgrund der großen Anzahl von Migranten nicht lange, sodass die Regierung überfordert war und nach einiger Zeit viele Abschiebungen die Folge waren und 2018 unter Sânchez fast 20.000 Menschen wieder in ihr Heimatland zurückkehren mussten.5
Sânchez’ Politik der Willkommenskultur wurde besonders im Jahre 2019 stark von der Opposition kritisiert, abgesehen davon geriet der Premierminister unter anderem durch den ansteigenden Erfolg der rechten Partei VOX und deren Kritik unter Druck, was eine Kehrtwende seiner bisherigen Flüchtlingspolitik zur Folge hatte.
3 Methodischer Ansatz: Theoretische Grundlagen einer kritischen Diskursanalyse
Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen des Diskursbegriffes sowie der Methodik einer kritischen Diskursanalyse, die in diesem Kontext als Fundament der Analyse des spanischen Flüchtlingsdiskurses dient. Zunächst wird der Begriff „Diskurs“ definiert, darauf aufbauend werden weitere diskurstheoretische Fachausdrücke mit in die Thematik aufgenommen und erläutert. Der Schluss dieses Kapitels widmet sich der Theorie und Praxis einer kritischen Diskursanalyse und verdeutlicht zugleich, inwiefern sie behilflich bei der Analyse der Zeitungsartikel sein wird. Basis dieser Theorien sind die Ansätze von Siegfried Jäger und Michel Foucault.
3.1 Definition Diskurs
Die Diskursforschung ist ein komplexes Forschungsfeld und gliedert sich in viele unterschiedliche Konzepte verschiedener Wissenschaften, z. B. die Geschichtswissenschaft, die Sprachwissenschaft etc. Handelt es sich um eine „gesamtdisziplinäre begriffliche Fixierung“ des Begriffes, lässt sich feststellen, dass aufgrund der Polysemie des Wortes hierbei keine Einigung besteht und kontroverse Auffassungen vertreten werden. Aufgrund der Tatsache, dass die vorliegende Arbeit eine sprachwissenschaftliche Analyse darstellt und sowohl Foucaults als auch Jägers Ansätze die Basis der Überlegungen dieser Arbeit darstellen, werden essenzielle linguistische Begrifflichkeiten beider Wissenschaftler in den folgenden Versuch einer Begriffserklärung einfließen.
Auch der Philosoph Foucault ist sich trotz der hohen Signifikanz dieses Begriffes jener Mehrdeutigkeit von >Diskurs< bewusst. Anstatt seinen Blick auf eine genaue Fixierung des Wortes zu richten, nutzt er diese Ambiguität, d. h., er setzt es „strategisch ein und verweigert sich gleichzeitig gezielt einer terminologischen Präzisierung gerade dieses bei ihm so zentral gesetzten Ausdrucks.“6 Dadurch beweist Foucault, dass eine festgelegte einheitliche Begriffsdefinition nicht unbedingt notwendig ist, um die Diskursforschung voranzutreiben.
Trotz besagter Mehrdeutigkeit des Wortes >Diskurs< versuchten sich zahlreiche Sprachwissenschaftler an einer Definition. In der Bildungssprache ist der Begriff ein „soziolektal geprägtes Synonym für Debatte oder Gespräch“7. Die Linguisten Spitzmüller und Warnke erkennen in dem Terminus allerdings eine neue Dimension der Sprachforschung, genauer gesagt ein Konzept, das sich auf eine „fundamentale und zuvor nur unzureichend bis gar nicht beachtete Funktion von Sprache, nämlich die gesell schafts- und wissenskonstituierende Funktion“8, konzentriert. Demzufolge handelt es sich hierbei um eine Sprachanalyse, die die zentralen Elemente Wissen, Sprache und Gesellschaft miteinander verknüpft und in den Fokus der Diskursforschung rückt. Diese Form der Auseinandersetzung mit Sprache jenseits von Texten sei eine „transtextuelle Sprachanalyse“.9 Dietrich Busse versteht unter Diskursen „virtuelle Textkorpora, deren Zusammensetzung durch im weitesten Sinne inhaltliche (bzw. semantische) Kriterien bestimmt wird.“10
3.2 Diskurs, Wissen und Macht
Die Schnelllebigkeit der heutigen modernen Gesellschaft beeinflusst zahlreiche Bereiche des alltäglichen Lebens. Durch die sich immer weiter entwickelnde Technik sowie den sozialen Wandel sind wir tagtäglich einer Masse an Informationen der unterschiedlichsten Bereiche des Lebens ausgesetzt, ferner ist es kaum noch möglich, über alle publizierten Werke und Nachrichten eines Themenbereiches Bescheid zu wissen, um sich so eine eigene Meinung zu bilden. Noch nie zuvor waren Kommunikationsprozesse in unserem Sozialsystem derart relevant, folglich sind auch Dialoge, Diskussionen und Diskurse von der Schnellle- bigkeit der Gesellschaft betroffen.
Die Frage, die sich in diesem Kontext nun stellt, ist die, wie es dazu kommt, dass eine von der Gesellschaft anerkannte und geltende Wirklichkeit existiert, die die Menschen als vernünftig und sinnvoll ansehen. Wie kam es dazu, dass sich diese Wahrheit innerhalb einer Kultur durchgesetzt hat und nun als selbstverständlich gilt? Wer oder was bestimmt die Regeln bzw. die Grenzen unserer Kommunikation, die wiederum den gesellschaftlichen Diskurs und somit das Denken der Menschen maßgeblich beeinflussen?
Der deutsche Sprachwissenschaftler Siegfried Jäger beginnt das erste Kapitel seines Werkes passend mit der Einleitungsfrage: „Muss das, was selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich sein?“11, die die Leitlinie seiner Gedankengänge hinsichtlich der Diskursanalyse darstellt. Des Weiteren setzte er sich intensiv mit den in der Sprach- und Sozialwissenschaft bekannten Diskurstheorien des französischen Philosophen Michel Foucault auseinander. Die Ansätze beider Wissenschaftler bilden die Grundlage der Analyse dieser Arbeit.
Jäger definiert den Begriff „Diskurs“ als „Fluß von Wissen bzw. Wissensvorräten durch die Zeit“, der „individuelles und kollektives Handeln und Gestalten bestimmt, wodurch er Macht ausübt.“12 Der Fluss des Wissens fungiert an dieser Stelle als Metapher; das Fließen des Wassers ließe sich demnach sowohl als Symbol für die Zeit als auch für Veränderungen und Erneuerungen deuten, stets in Anlehnung an die Veränderlichkeit der Wissensbestände der Menschheit. Daraus lässt sich resultieren, dass die Diskurse einer Gesellschaft kontinuierlich abhängig von dem Wissenstand bzw. den Wissensvorräten der Individuen sind. In diesem Kontext wird dem Wissen eine gewisse Machtposition zugeschrieben, ursächlich hierfür sei die Tatsache, dass der Fluss an Wissen auf die Individuen einwirkt und sie in ihren Handlungen und Gedanken beeinflusst.
Es gilt somit an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Diskurs rund um die in Spanien lebenden Flüchtlinge ein mit der Zeit entstandenes, für das Land bedeutsames Thema der Öffentlichkeit ist, zu dem sich das Wissen und der Informationsstand in Zukunft noch weiter verändern kann.
Jäger widmet sich in seinen Untersuchungen stets der Frage, die bereits für Foucault ausschlaggebend waren: Was verstehen wir unter allgemein anerkanntem, bzw. gültigem Wissen und von welchen Faktoren ist seine Bildung abhängig? Wie wird dieses Wissen an die Gesellschaft übermittelt und beeinflusst somit die gesellschaftliche Entwicklung? Unter Wissen versteht Jäger alle Arten von Bewusstseinsinhalten und Bedeutungen, die historische Menschen verwenden, um ihre Realitätswahrnehmung (bzw. ihre Wirklichkeit) zu deuten und zu entwerfen.13 Das bedeutet, dass das Wissen eines jeden Einzelnen von Geburt an von diskursiven Beziehungen abhängig ist, in die man eingebettet ist und aus denen man sich sein ganzes Leben lang seine Wahrheit konstruiert.
Ein weiterer Begriff, der in Foucaults Publikationen des Öfteren auftaucht, ist die Archäologie. Unter diesem Begriff versteht der Philosoph eine methodische Herangehensweise, die unsere Sprache und unser Denken daraufhin analysiert, welche Prozesse bei den Individuen stattfinden, die dazu führen, dass sie so denken, wie sie es tun.14 Auf dieser Grundlage zielte der Franzose darauf ab, mithilfe diskursiver Analysen die Relativität von Wahrheit offenzulegen und zu erfassen, was warum in welcher Kultur sagbar ist und was nicht.
Zu guter Letzt spielen Machtmechanismen in Foucaults Veröffentlichungen eine wichtige Rolle, eng miteinander verknüpft mit dem Wissen. Er stellte fest, dass Diskurse keine Spiegel unserer Realität darstellen, es gehe vielmehr darum, dass sich aus Diskursen ein Eigenleben abzeichnet, das Gegenstände herstellt und gleichzeitig die Wirklichkeit prägt.15 Das als Wahrheit geltende Wissen einer Gesellschaft wird somit durch Diskurse bestimmt, die gültiges Wissen filtern und die Wirklichkeit der Menschen festlegen. In seiner im Jahre 1992 veröffentlichten Publikation verdeutlicht Foucault jene Beziehung zwischen Wissen und Macht:
„[N]ichts kann als Wissenselement auftreten, wenn es nicht mit einem System spezifischer Regeln und Zwänge konform geht [...]. Umgekehrt kann nichts als Machtmechanismus funktionieren, wenn es sich nicht in Prozeduren und Mittel-Zweck-Beziehungen entfaltet, welche in Wissenssystemen fundiert sind. Es geht also nicht darum, zu beschreiben, was Wissen ist und was Macht ist und wie das eine das andere unterdrückt oder mißbraucht, sondern es geht darum, einen Nexus von Macht-Wissen zu charakterisieren, mit dem sich die Akzeptabilität eines Systems - sei es das System der Geisteskrankheit, der Strafjustiz, der Delinquenz, der Sexualität usw. - erfassen läßt.“ (Foucault 1992, 33)
Das bedeutet, dass es weniger um eine klare Definition von Macht und Wissen geht, sondern vielmehr darum, dass beide Konzepte nicht unabhängig voneinander sind, d. h., kein Wissen ohne Macht, keine Macht ohne Wissen. Diskurse wiederum sind vielen Faktoren ausgesetzt, die sie beeinflussen, wie z. B. geltende Regeln innerhalb einer Gesellschaft genauso wie Ausschließung und Verbote.16 Aufgrund der Tatsache, dass Diskurse ein Eigenleben entwickeln und durch ihre Existenz andere Individuen und Diskurse der Gegenwart und der Zukunft beeinflussen, wird ihnen auch eine gewisse Form der Macht zugeschrieben.
3.3 Kritische Diskursanalyse nach Jäger
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, bedient sich die Arbeit von Jäger der kritischen Diskursanalyse, um herauszufinden, welche Entwicklung der Flüchtlingsdiskurs in den letzten Jahren durchlebt hat und inwiefern die spanischen Pressemedien Einfluss auf diesen haben. Der Fokus liegt nicht auf soziologischen Aspekten, sondern auf der Sprachanwendung innerhalb des Diskurses, weshalb diese Arbeit eine linguistische Analyse präsentieren soll, die sich nach der KDA Jägers richtet.
[...]
1 Welt (6.3.2019): EU-Kommission besorgt wegen hoher Flüchtlingszahlen in Spanien. URL: https://www.welt.de/newsticker/news2/article189853803/Fluechtlinge-EU-Kommission-besorgt-wegen-ho- her-Fluechtlingszahlen-in-Spanien.html (Abrufdatum: 06.05.20).
2 Vgl. Laubenthal, Barbara (2006): Der Kampf um Legalisierung. Soziale Bewegungen illegaler Migranten in Frankreich, Spanien und Schweiz. Frankfurt/Main, S. 121.
3 Vgl.: ebd., S. 122.
4 Botella, Enric (5.7.2019): Como es la valla de Melilla, la peligrosa frontera de Espana en Africa. BBC News Mundo. URL: https://www.bbc.com/mundo/noticias-internacional-48856000 (Abrufdatum: 03.05.20).
5 Focus online (6.11.2018): Sanchéz-Regierung lässt Massen an Flüchtlingen zurückfliegen. URL: https://www.focus.de/politik/ausland/spanien-sanchez-rgierung-laesst-massen-an-fluechtlingen-zurueckflie- gen_id_9861981.html (Abrufdatum: 06.05.20).
6 Spitzmüller, Jürgen/Warnke, Ingo H. (2011): Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin/Boston: Walter de Gruyter, S. 19.
7 Spitzmüller/Warnke 2011, S. 9.
8 Spitzmüller/Warnke 2011, S. 10.
9 Spitzmüller/Warnke 2011, S. 14.
10 Busse, Dietrich (2013): Linguistische Diskursanalyse: neue Perspektiven. Wiesbaden, S. 16.
11 Jäger, Siegfried (2007): Deutungskämpfe. Theorie und Praxis kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden, S. 7.
12 Jäger, Siegfried (2006): Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In: Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/Viehöver, Willy (Hg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. Wiesbaden, S. 83-113, hier S. 84.
13 Jäger 2001, S. 81.
14 Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich, Johannes (2008): Foucault-Handbuch. Leben-Werk-Wir- kung. Berlin-Heidelberg: J. B. Metzler, S. 51.
15 Jäger 2015, S. 33.
16 Foucault, Michel, 1974, S. 10., Hervorh. im Original