Der Autor und die Autorin, mit denen sich diese Hausarbeit auseinandersetzt, sind Carl Schmitt und Judith Butler. Die Herausforderungen eines Vergleichs zwischen dem „Kronjuristen des Dritten Reiches“ und einer radikal-demokratischen Gender-Theoretikern liegen in der offenkundigen Gegensätzlichkeit. Indessen ist es nicht nur erstaunlich, dass beide in ihrer Thematik ähnliche Schwerpunkte setzten, sondern auch, dass sie in ihren Schlussziehungen des Öfteren gar nicht so verschieden sind.
Augenscheinlich interessant ist so bereits, dass sowohl die Ontologie Butlers als auch Schmitts von einer grundlegenden Gefährdung ausgeht, die es einzudämmen gelte und deswegen einen im Kern gesicherten, gegen die Gefährdung gerichteten Zustand anvisieren. Dies erleichtert die Übersetzungsarbeit, die bei einem eher weniger naheliegenden Vergleich zwischen einem rechtskonservativen Staatsrechtler und einer linken Philosophin notwendig zu leisten ist. Die Mühe einer solchen Arbeit erscheint schon allein deswegen lohnenswert, da beide als hochaktuelle, polarisierende und viel rezipierte Autoren der politischen Theorie wahrgenommen werden, wenngleich sich die Produktivität einer Gegenüberstellung natürlich erst durch die Analyse zeigen lässt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2.1 Gefährdung als Ontologie
2.2 Die gute Ordnung und ihr politisches Wesen
2.3 Die Herausforderung des Politischen
2.3.1 Die gefährliche Staatlichkeit
2.3.2 Die Entgrenzung der Gewalt
2.3.3 Hegung der Gefährdung
3. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Autor und die Autorin, mit denen sich diese Hausarbeit auseinandersetzt, sind Carl Schmitt (1888-1985) und Judith Butler (*1956). Die Herausforderungen eines Vergleichs zwischen dem „Kronjuristen des dritten Reiches“ und einer radikal-demokratischen Gender-Theoretikern liegen in der offenkundigen Gegensätzlichkeit. Indessen ist es nicht nur erstaunlich, dass beide in ihrer Thematik ähnliche Schwerpunkte setzten, sondern auch, dass sie in ihren Schlussziehungen des Öfteren gar nicht so verschieden sind. Augenscheinlich interessant ist so bereits, dass sowohl die Ontologie Butlers als auch Schmitts von einer grundlegenden Gefährdung ausgeht, die es einzudämmen gelte und deswegen einen im Kern gesicherten, gegen die Gefährdung gerichteten Zustand anvisieren. Dies erleichtert die Übersetzungsarbeit, die bei einem eher weniger naheliegenden Vergleich zwischen einem rechtskonservativen Staatsrechtler und einer linken Philosophin notwendig zu leisten ist. Die Mühe einer solchen Arbeit erscheint schon alleine deswegen lohnenswert, da beide als hochaktuelle, polarisierende und viel rezipierte Autoren der politischen Theorie wahrgenommen werden, wenngleich sich die Produktivität einer Gegenüberstellung natürlich erst durch die Analyse zeigen lässt.
Wenn man sich mit Schmitt beschäftigt, so hat man es mit einem Denker zu tun, der mittlerweile verstärkt rezipiert wird. Man wird sich des Verdachts dennoch nicht ganz erwehren können, sich womöglich gemein mit totalitären Ideen zu machen. Dieser Vorbehalt beinhaltet insofern Wahrheit, da Schmitt eine undurchsichtige Rolle im NS-Regime besaß, die er selbst nur gerechtfertigt, aber nie aufgearbeitet hat (Seifert 1985: 194). Die Polemik einer solchen Kritik ist allerdings zu relativieren, weil der sogenannte „Kronjurist“ selbst in weiten Teilen für die NS-Ideologie nicht anschlussfähig war (Maschke 1995: 179f); Schmitt war bei allem „Zwang zu Vieldeutigkeit“ und seiner „Lust am Verschlüsseln“ (Maschke 1995: 194) vollumfänglich Etatist, weniger Nationalsozialist. So lässt sich treffend sagen, „Carl Schmitt überwindet nicht, wer ihn ignoriert, sondern nur derjenige, der ihn ernst nimmt als Theoretiker“ (Seifert 1985: 1934).
Die wichtigsten herangezogenen Werke sind auf Seiten Schmitts „Der Begriff des Politischen“ (2002b), „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“ (1934) sowie „Theorie des Partisanen“ (2002a). Bei Butler kamen „Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung“ (2018) und „Raster des Krieges“ (2010) zur Anwendung.
Im nächsten Kapitel wird analysiert, inwiefern Gefährdung ein grundlegendes Motiv beider Autoren ist. Davon ausgehend wird untersucht, wie laut den beiden Denkern darauf geantwortet werden kann; an dieser Stelle macht sich bereits eine Kluft zwischen den Theorien auf. Im Weiteren wird betrachtet, wie die Gefährdung durch politische Akteure selbst bewirkt wird; der Ursprung der fatalen Konsequenzen von Krieg und Gewalt ist bei beiden Autoren sehr ähnlich. Zum Schluss wird darauf eingegangen, welche jeweiligen Schlüsse daraus gezogen werden; interessant ist hier, wie sich die Akzentsetzungen hier entsprechen – und doch die ganze Diskrepanz bei aller Übereinstimmung offengelegt wird.
2.1 Gefährdung als Ontologie
„Das Postulat einer allgemeinen Gefährdungslage“ (Butler 2010: 39) angesichts seiner Abhängigkeit ist die grundlegende Sozialontologie Judith Butlers. Schon aus einer rein biologischen Perspektive sei „Verfall und Zerstörung Bestandteil des Lebensprozesses selbst“ (ebd.: 25). Die Gefährdung bestehe demnach als eine „verallgemeinerte Bedingung, […] Leben sind per definitionem gefährdet“ (ebd.: 30f). Allerdings mündet das nicht in Resignation, sondern in der Bestimmung der „Rahmen oder Raster, mittels welcher wir das Leben anderer als zerstört oder beschädigt […] wahrnehmen oder nicht wahrnehmen“ (ebd.: 9) und der „weiter gefassten Normen“, die über visuelle und narrative Rahmen durchgesetzt werden“ (ebd.:: 75) und zusammen „das bereits existierenden Feld wahrnehmbarer Realität“ ausmachen (ebd.: 65). Der Rahmen bestimmt die Konstellation „der gesellschaftlich geförderten Weisen von Tod und Sterben“ (ebd.: 22). Oftmals reicht die reine Kraft der Performativität für seine Wirksamkeit (Butler 2018: 43), da die Darstellung einer Handlung die Handlung selbst oder zumindest deren Rezeption bestimmt (Butler 2010: 16). In der Folge ergibt sich „eine ungleiche Verteilung von Gefährdetheit“ (Butler 2018: 48). Solche normative Schemata seien das Ergebnis geschichtlicher Konstruktion und sozialer Kräfte (Butler 2010: 11)“, demnach ist das Verhältnis des menschlichen Körpers zu seiner Verletzlichkeit das Resultat seiner sozialen Formung (ebd.: 39). Deswegen sind sie uneindeutig und wandelbar; das sei der „Funktion der Iterabilität und der Heterogenität der Norm“ inhärent (ebd.: 12f), auch weil jede Norm zirkulieren muss, um ihre Gültigkeit zu erhalten (ebd.: 17). So müssen sie „die jederzeit bestehende Möglichkeit ihrer Auflösung kontrollieren“ (ebd.: 20). Die Gefährdung und Sterblichkeit ist also keine vorpolitische Bedingung, sondern die Frage nach Prekarität befindet sich „schon mitten im Politischen“ (Butler 2018: 67).
Bei Schmitt ist die physische Existenz des einzelnen ebenfalls gefährdet. Die Merkmale des Naturzustands im Sinne Hobbes sind für Schmitt bedeutsam, gleichwohl er sich trotz aller Wertschätzung ambivalent zu dessen Leviathan verhält. Der Naturzustand lässt sich wegen seines individualistischen Wesens als das eigentliche Bedrohliche bezeichnen, bedingt durch „eines im Kern, nämlich in den Individuen, ununterdrückbarem Chaos“ (Schmitt 1995: 34). Hier ist der Mensch dem Menschen ein Wolf; im Sinne „dieser Bedrohtheit sind alle gleich“ (ebd.: 47), weil sie nicht in einer gesicherten Ordnung leben, die sie schützen und vom Naturzustand emanzipieren könnte. Indessen ist auch eine solche souveräne Ordnung kein garantierter Schutz, da sie einen politischen Charakter annehmen muss. Das Politische geht der Ordnung so voraus (Schmitt 2002b: 20), andernfalls wäre sie substanzlos, da das Kriterium des Politischen die Entscheidung über Feindschaft ist (ebd.: 26). Durch die Gewalt als immanente Möglichkeit des Politischen ist deswegen selbst so eine Ordnung mit ihrer politischer Intensität nur eine Entscheidung entfernt von der bedrohlichen Gefährdung (ebd.: 29). Die Virulenz des Politischen besteht aus seiner fortwährenden Möglichkeit, Konflikte in den anarchischen Zustand der Schutzlosigkeit zu verwandeln, da „zum Begriff des Feindes […] die im Bereich des Realen liegende Eventualität eines Kampfes [gehört]“ (ebd.: 33). So ist die Gefährdung bei Schmitt vor allem als (Bürger-)Krieg präsent, und da die Feindschaft „dem Krieg seinen Sinn und seinen Charakter gibt“ (Schmitt 2002a: 91), ist die Gefährdung wie bei Butler immer eine Frage des politischen Willens.
Obwohl nun die Gefährdung als fundamentale Gemeinsamkeit beider Theorien vorgestellt wurde, wäre es nicht interessant genug, sich bereits jetzt an einen Vergleich zu wagen. Offensichtlich ist indes, dass mit Bezug auf die Gefährdung die Art der Normen bei Butler eine ähnliche Rolle einnimmt wie für Schmitt das Freund-Feind-Verhältnis. Für eine nachvollziehbare Darstellung der Gemeinsamkeiten und Differenzen ist eine Betrachtung der Antwort auf die Gefährdung sinnvoller.
2.2 Die gute Ordnung und ihr politisches Wesen
Schmitt bezieht bei der Zeichnung einer gesicherten Ordnung auf das klassische Völkerrecht des 18. Und 19. Jahrhunderts und dessen „gehegten, reinen Staaten-Krieg“ (Schmitt 2002a: 53). Er bleibt nicht zuletzt wegen dieser historischen Erfahrungswerte im Kontext des Nationalstaats verhaftet. Alles andere bedeute einen „vorstaatlichen Zustand der Unsicherheit“ (Schmitt 1995: 69). Entsprechend ist für ihn „die Pluralität der Staaten, d. h. der politischen Einheiten der verschiedenen Völker, […] der richtige Ausdruck eines richtig verstandenen Pluralismus“ (Schmitt 1930: 38). Dieses Konzept sei zwar bescheiden und „nur ein Stück Ordnung, nur ein Fragment. Doch ist es das menschlicher Tat und Gemeinschaft zugängliche Stück Ordnung“ (ebd.: 39); und zwar für jedes Volk nach seinen Fähigkeiten, für jeden Staat nach seinen Bedürfnissen. Bei Schmitt ist in diesem Stück Ordnung Anerkennung der Schlüssel für die „Sicherheit meines physischen Daseins“ (Schmitt 1995: 69); und zwar die Anerkennung der Schutzfunktion des Staates, was hier als Gehorsam Ausdruck findet. Schutz und Gehorsam bestehen somit als untrennbarer Dualismus und als gegenseitige Bedingung. Schutz bedeutet die Bindung an den im Naturzustand konstituierten Vertrag, der den Staat als Leviathan beschwört (ebd.: 52). Er erschöpft sich aus diesem Grunde in seiner Funktion, „den […] Bürgerkrieg zu überwinden und dem […] Pluralismus […] die rationale Einheit einer eindeutigen, eines wirksames Schutzes fähigen Macht und eines berechenbaren Legalitätssystem entgegenzusetzen“ ebd.: 113). Deswegen ist dies die eigentliche Gründung des wirklichen Rechtstaates, „weil es außer- oder gegenstaatliches Recht im Staate nicht geben kann“ (ebd.: 104). Die „Legalität erweist sich […] als die rationale, die fortschrittliche, die einzig moderne, mit einem Wort: die höchste Form der Legitimität selbst (Schmitt 2002a: 85); da der Dezisionismus die Legalität verantwortet, absorbiert der Souverän „in sich alle Rationalität und alle Legitimität“ (Schmitt 1995: 75). Sodann „besteht die Leistung des Staates darin, dass er die konkrete Situation bestimmt, in welcher überhaupt erst moralische oder rechtliche Normen gelten können“ (Schmitt 1930: 32). Nur der Souverän als „Instrument der Ruhe, Sicherheit und Ordnung […] [und] als alleiniger und höchster Gesetzgeber“ darf Freund und Feind unterscheiden (Schmitt 1995: 72). Dies bedeutet in der Konsequenz das staatliche Monopol über das Politische (Schmitt 2002b: 23). Durch die Monopolisierung wird die Gesellschaft der Gewalt beraubt und vor sich selber geschützt, indem die gesellschaftlichen Kräfte entpolitisiert werden; die konkrete und normale Situation besteht so in der Wahrnehmung der Schutzfunktion im Austausch für Gehorsam.
„Richtigerweise bezeichnet das Politische nur den Intensitätsgrad einer Einheit. […] Die politische Einheit ist höchste Einheit, nicht, weil sie allmächtig diktiert oder alle anderen Einheiten nivelliert, sondern weil sie entscheidet und innerhalb ihrer selbst alle anderen gegensätzlichen Gruppierungen daran hindern kann, sich bis zur extremen Feindschaft (d. h. bis zum Bürgerkrieg) zu dissoziieren“ (Schmitt 1930: 36f).
So löst sich auch das Paradox auf, dass der irreguläre Ausnahmezustand erfordert wird, um die konkrete Normalität zu schützen (Schmitt 1930: 39). Diese intensivste Form der staatlichen Totalität ist nur die Konsequenz einer Auffassung von Staat, der seine Legitimität aus dem Dualismus von Schutz und Gehorsam gewinnt. Durch die Legitimität einer Verfassung darf deswegen die Verfassung mittels ihrer temporären Aufhebung geschützt werden, sodass „rechtliche Schranken und Hemmungen […] entfallen [zur Beseitigung] eines konkreten Gegners, […] der sich nicht an die Rechtsnormen hält“ (Schmitt 1964: 135f). Die Legitimität der Ausnahmesituation steht und fällt mit seinem Ziel, die dem Staat zugrunde liegende Verfassung zu wahren, denn „hört der Schutz auf, so hört auch der Staat selber auf und jede Gehorsamspflicht entfällt“ (Schmitt 1995: 113). Diese Bedingung relativiert ihre Totalität, da sie letzten Endes keineswegs rein willkürlich anwendbar ist.
Aus der Gefährdung ergibt sich auch für Butler die Forderung, es zu schützen. Auch bei ihr bedarf es dafür Anerkennung; die Anerkennung eines Lebens hängt innerhalb der gesellschaftlichen Einbettung und Abhängigkeit von seinem sozialen Status ab.– vor allem von der Bedeutung seines Todes und die Voraussetzung der potentiellen Betrauerbarkeit (Butler 2010: 22f). Ob ein Leben wert ist, erhalten und geschützt zu werden, schließt sich so aus den Unterstützungsstrukturen, die es entweder als prekär oder als betrauerbar definieren (Butler 2018: 254). Da jedes Leben betrauert werden kann, und da die Gefährdung eine allgemeine Bedingung ist (Butler 2010: 29), besitzt „Anerkennung ein universelles Potenzial“ (ebd.: 13). In der Folge ergeben sich egalitäre Standards, ethische Pflichten und ein „Ethos der Solidarität“ (Butler 2018: 33). Um eine „Universalisierung des Grundrechts auf die Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse“ zu ermöglichen (Butler 2010: 33), wird der Aufbau und die Aufrechterhaltung von einem sozialen Netz aus Institutionen und Beziehungen benötigt (ebd.: 31). Sie wendet sich allerdings gegen den Nationalstaat, welcher explizit nicht ihr Bezugsrahmen ist ebd.: 36). Denn er fördere „eine „Auffassung von Kulturen als abgegrenzter und mit sich selbst identischer monolithischer und selbstständiger Einheiten“ (Butler 2010: 99). Das Volk ist nicht homogen, es ist keine „kollektive Präsenz“ (Butler 2018: 216). Staatlichkeit ist ansonsten nicht so entscheidend, da diese sich selbst nur auf außerstaatliche Machtoperationen stützen würde (Butler 2010: 139). Da der Staatskörper nicht die erschöpfende Definition eines Volkes liefern könne, werde die Frage, wer zum Volk gehört, zum Konflikt um Grenzziehungen (Butler 2018: 12f). Dieser äußerst sich insbesondere durch die plurale Inszenierung auf Versammlungen, wenn sie „Gleichheit und Gerechtigkeit anstreben“ (ebd.: 165). Sie sind deswegen unabhängig vom „Geltungsbereich der staatlichen Souveränität“, da sie sich für die Legitimation der Souveränität verantwortlich zeichnen (ebd.: 206-209). Die versammelten Körper, die „ohne Schutz der Gesetze der Gewalt ausgeliefert“ sind, die außerhalb „gesetzmäßiger politischer Strukturen“ stehen (ebd.: 108), sind nicht nur Träger des Protestes, sondern demonstrieren performativ durch ihr ungeschütztes Ausgesetztsein ihre Prekarität als gefährdetes Leben, und machen das Recht geltend, erscheinen zu dürfen (ebd.: 18f, 112, 170). Es wird „ein alternativer politischer Rahmen“ konstruiert (Butler 2010: 107); durch das öffentlich versammelte Erscheinen wird die Sphäre des Politischen gleichermaßen besetzt und erzeugt (Butler 2018: 28, 70f, 168). Versammlungsfreiheit ist entsprechend eine „Grundvoraussetzung von Politik selbst“ (ebd.: 210)“. Das Definitionsmerkmal des Politischen wird die performative Antwort auf Prekarität und Abhängigkeit (ebd.: 263f). Aus diesem Grund geht es „nicht darum, zuerst Macht zu erlangen, um dann handeln zu können; es geht vielmehr um das Handeln selbst und darum, mit dem Handeln die Macht zu beanspruchen, die man braucht“ (Butler 2018: 79). In der Folge ist nicht nur Aufgabe und Forderungen solches performativen Handelns, die Bedingungen der Prekarität zu beenden, sondern auch über das Überleben hinaus ein lebbares Leben zu gewährleisten (ebd.: 267). Auch wenn also bestimmte soziale Institutionen und Bedingungen notwendig sind, existiert keine konkrete Normalität oder Macht, die wünschenswert wäre, sondern gerade der Bruch mit der Normalität ist das Ziel. Durch diese neue Konzeption muss der Rahmen als solches in Fragen gestellt werden (Butler 2010: 16), weil vollständige Konformität und Anerkennung einer Norm jedwede Komplexität als Bedingung eines lebenswerten Leben negiert (Butler 2018: 56). Deswegen geht es darum, „den Rahmen sehen zu lernen, der uns blind macht gegenüber dem, was wir sehen“ (Butler 2010: 97).
Bei aller Differenz soll hier zuerst erwähnt werden, dass die Ausnahme bei den Autoren eine analoge Rolle als zentrales progressives Element besitzt. Denn die Norm ist bei Butler wie beschrieben nicht nur selbst bedrohlich, sie ist auch stets von ihrer eigenen Auflösung bedroht. Ihre Zirkulation ist anfällig „für Umkehrung, für Subversion und sogar für kritische Instrumentalisierung“ (Butler 2010: 18), wenn sie in Kontexte gelangt, in der sie eine neue Bedeutung zugewiesen bekommt. Insofern besitzt die Ausnahme das Potenzial, eine neue schützende Ordnung zu begründen. In gleicher Weise ist der Ausnahmezustand nach Schmitt nur formal schrankenlos; die Sicherstellung einer schützender Ordnung bleibt die Aufgabe des Staates auch im Ausnahmezustand. Ansonsten haben Schmitt und Butler radikal unterschiedliche Ansätze zur Lösung des Problems der Gefährdung. Die Rationalität einer legalen Ordnung ist für Butler keine Grundlage für Legitimation, sondern im Gegenteil Bestandteil des größeren Rahmens, in welchem staatliche Zwangsmaßnahmen reproduziert werden. Bei Schmitt stehen das Volk und der Staat durch den Dualismus aus Schutz und Gehorsam mindestens auf einer Ebene, wenn nicht sogar ein Primat des Leviathan gilt. Butler entwickelt dagegen eine Konzeption von Volkssouveränität, die von Staatssouveränität separiert ist, ja die den Staat überhaupt erst begründen kann und stets relevanter bleibt. Trotz der gezeigten Analogie im Kontext der Ausnahme wird das besonders im Ausnahmezustand deutlich; so ist es für Butler unmöglich legitim, dass „der souveräne Staat kraft seiner Macht, eine Ausnahme zu machen, die Kontrolle darüber behält, welcher Teil der Bevölkerung durch das Recht geschützt wird und welcher nicht“ (Butler 2018: 212), während bei Schmitt die Entscheidungsfähigkeit über den Ausnahmezustand das Wesensmerkmal der staatlichen Souveränität darstellt. Wenn Schmitt also für eine durch den Staat garantierte konkrete und normale Situation plädiert, so will Butler das Gegensätzliche; sie setzt sich ein für das Uneindeutige, für Konfliktlinien, für den Widerstand der Volkssouveränität gegen die staatliche Normalität. Denn Schmitt leitet die Gefährdung aus dem außerstaatlichen Zustand ab, während für Butler die Gefährdung erst bei der Zementierung einer gewaltsamen Norm beginnt. Mit anderen Worten: Wenn Schmitt die ideale Ordnung politisch monopolisieren beziehungsweise den Zugang zum Politischen beim Souverän beschränken möchte, so will Butler den Charakter des Politischen als Wesensmerkmal einer Ordnung etablieren und das Politische in seiner Dynamik durch die Volkssouveränität konservieren. Darin liegt durchaus eine beachtliche Dialektik, weil bei einer Übernahme der Darstellung des Politischen als ein Element, das Gewaltpotenzial oder vielmehr die tatsächliche Möglichkeit eines Gewaltaktes in sich trägt – Schmitt nennt dies die „Gefahr des Politischen“ (Schmitt 1995: 127) – hier ein Widerspruch vorzuliegen scheint. Denn Schmitt wird ja als eigentlich jemand angesehen, der keine Scheuklappe vor gewaltvollen Verhältnissen besaß, in der Realität gar den Röhm-Putsch als „Kronjurist“ im Nachgang legitimierte. Währenddessen nahm Butler einige Mühe auf sich, Gewaltlosigkeit als bedeutsames Motiv von Widerstand zu postulieren. Zur Analyse dieses Widerspruch muss der ambivalente Raum zwischen den beiden Autoren zur Kenntnis genommen werden, der offensichtlich nicht zuletzt im unterschiedlichen Verständnis vom Politischen fußt, auf das im Folgenden näher eingegangen wird.
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