Die Neugründung der lateinamerikanischen Republiken hatte nicht nur politische Konflikte zur Folge, sondern rückte auch die Frage nach der Einheit der spanischen Sprache, der unidad de la lengua, in den Vordergrund. Die Real Academia Española, als normgebende Instanz, war mit dieser Fragestellung unweigerlich verbunden. Die Arbeit wird darauf eingehen, wie sich die Einstellung und Herangehensweise dieser Institution hinsichtlich der Spracheinheit seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat. Hierfür werden zu Beginn ihre grundsätzliche Zielsetzung und Rolle für die Normierung der spanischen Sprache beschrieben. Anschließend werden die im 19. Jahrhundert vorherrschenden Meinungsbilder bezüglich der spanischen Norm gegenübergestellt, um im letzten Kapitel näher auf die Entwicklung der Sprachpolitik der Akademie innerhalb dieses Spannungsgefüges einzugehen.
Inhalt
1. Hinführung - Historische Einordnung
2. Die Real Academia Espanola
2.1 Ihre Zielsetzung
2.2 Ihre Rolle als normgebende Instanz
3. Die Normdiskussion in Lateinamerika
3.1 Der sprachliche Nationalismus
3.2 Der sprachliche Purismus
4. Die Entwicklung der Sprachpolitik der Real Academia Espanola
4.1 Monozentrische Sprachpolitik bis 1950
4.1.1 Aufnahme lateinamerikanischer Persönlichkeiten
4.1.2 Gründung assoziierter Sprachakademien
4.2 Plurizentrische Sprachpolitik ab 1950
4.2.1 Gründung der Asociacion de Academias de la Lengua Espanola
4.2.2 Änderung der Akademiestatuten
5. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
1. Hinführung - Historische Einordnung
Während des gesamten 19. Jahrhunderts unterlag Spanien starken politischen und gesellschaftlichen Schwankungen. 1807 fiel Napoleon Bonaparte auf der Iberischen Halbinsel ein, nachdem Spanien wenige Jahre zuvor in der Schlacht von Trafalgar von Großbritannien besiegt worden war. Seine Vorherrschaft, die auf großen Widerstand seitens der spanischen Bevölkerung stieß, währte bis zum spanischen Unabhängigkeitskrieg 1814, in dem die französischen Truppen vertrieben wurden. Unter der nachfolgenden absolutistischen Herrschaft Ferdinands VII. wurde die in Cadiz ausgearbeitete liberale Verfassung widerrufen und eine erneut unruhige Regierungsphase brach an. Besonders der erbitterte Kampf zwischenabsolutistasundliberalesschwächte das Land zunehmend. Das aufklärerische Gedankengut der Liberalen fand im konservativ geprägten Spanien noch keine mehrheitliche Zustimmung. Als Ferdinand VII. 1833 seine Tochter Isabella II. als Nachfolgerin einsetzte, entfachte ein weiterer Streit, in dem immer wieder die Rechtmäßigkeit der Thronfolge der neuen Königin angezweifelt wurde. Eine Wirtschaftskrise und die Septemberrevolutionla gloriosaim Jahre 1868 zwangen Isabella schließlich das Land zu verlassen. Die isabellinische Ära bedeutete eine gewisse Liberalisierung und Stärkung des Bürgertums auf der einen Seite, aber auch eine Schwächung des Landes durch eine Reihe von Bürgerkriegen auf der anderen. Die 1873 ausgerufene Erste Spanische Republik blieb nur ein kurzes Experiment spanischer Geschichte und wurde zwei Jahre später mit der Restauration der Monarchie unter den Bourbonen aufgelöst (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 119f.).
Auch auf außenpolitischer Ebene erfolgten gravierende Umbrüche. In den vier spanischen Vizekönigreichen Neuspanien, Neugranada, Peru und La Plata kam es bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu Aufständen gegen die spanische Kolonialmacht. Aber erst im Jahre 1810 brach dann letztendlich die eigentliche Phase der Unabhängigkeitsbewegungen an, nachdem Argentinien seine Souveränität erklärt hatte. Bis 1828 verlor Spanien fast alle überseeischen Besitzungen, die durch die Freiheitskämpfer Simon Bolivar und José de San Martin den autonomen Status der heutigen Länder Venezuela, Kolumbien, Chile, Peru und Bolivien erlangten.
400 Jahre spanischer Kolonialherrschaft gingen schließlich im Jahre 1898 zu Ende. Nach dem spanisch-amerikanischen Krieg musste Spanien im Friedensvertrag von Paris seine letzten Kolonien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen an die USA abgeben. Damit verlor das Land endgültig seinen lang gehegten Rang als Weltmacht, wodurch eine schwere innenpolitische Krise ausgelöst wurde (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 120f.).
Die Neugründung der lateinamerikanischen Republiken hatte allerdings nicht nur politische Konflikte zur Folge, sondern rückte auch die Frage nach der Einheit der spanischen Sprache, derunidad de la lengua,in den Vordergrund. Die Real Academia Espanola, als normgebende Instanz, war mit dieser Fragestellung unweigerlich verbunden. Die vorliegende Arbeit, auf Literaturrecherche beruhend, wird darauf eingehen, wie sich die Einstellung und Herangehensweise dieser Institution hinsichtlich der Spracheinheit seit dem 19. Jahrhundert entwickelt hat. Hierfür werden zu Beginn ihre grundsätzliche Zielsetzung und Rolle für die Normierung der spanischen Sprache beschrieben. Anschließend werden die im 19. Jahrhundert vorherrschenden Meinungsbilder bezüglich der spanischen Norm gegenübergestellt, um im letzten Kapitel näher auf die Entwicklung der Sprachpolitik der Akademie innerhalb dieses Spannungsgefüges einzugehen.
2. Die Real Academia Espanola
Zu Beginn des 18. Jahrhundert entstand auf private Initiative des Königs Philipp V. eine Institution, deren maßgebliche Aufgabe es werden sollte, die spanische Sprache zu kodifizieren und somit erstmals eine offiziell gültige Norm zu schaffen. Die Real Academia Espanola, im Folgenden aufgrund der Lesbarkeit mit RAE abgekürzt, wurde 1713 in Madrid gegründet. Als Vorbilder dienten ihr die französischen und italienischen Pendants, die Académie Frangaise und die Accademia della Crusca, welche bereits im 17. bzw. 16. Jahrhundert etabliert wurden (vgl. Dietrich/Noll 2012: 218f.).
2.1 Ihre Zielsetzung
Anliegen der RAE war die Sprachpflege in zweifacher Hinsicht: Zum einen sollte das Spanische selbst gereinigt und stabilisiert werden, zum anderen galt es, mit Blick auf das Ausland, das Image der Sprache gezielt zu verbessern und zu pflegen (vgl. Bollée/Neumann- Holzschuh 2003: 121). Dies wird bereits im ersten Kapitel ihrer zur Gründung festgeschriebenen Statuten von 1715 ersichtlich. Die verantwortungsvolle Aufgabe sei es, die ‘edlen’ sprachlichen Elemente von den ‘schlechten’ zu separieren und auf diese Weise über die Norm und ihre Entwicklung zu wachen. Das Motto der Titelseite „Limpia, fija y da esplendor” (Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 121) gibt zudem knapp und wirkungsvoll den Gründungszweck wieder. Das Ideal der Reinigung bringt vor allem die starke Abneigung gegenüber Wortneubildungen und Einflüssen aus anderen Sprachen zum Ausdruck. Die Vorstellung das Spanische fixieren zu können, rührte aus der Auffassung, die spanische Sprache habe imSiglo de Oromit seinen großen Autoren bereits den Höhepunkt ihrer sprachlichen und literarischen Entwicklung erreicht. Ein solcher Sprachzustand müsse demnach verfestigt werden, bevor der vermeintliche Niedergang des Spanischen eingeleitet würde. Zuletzt zeigt sich inda esplendorder königliche Anspruch, der Sprache ‘Glanz zu verleihen' und so, gemäß der Tradition des Sprachenwettstreits, einen ebenbürtigen Gegner zum Französischen zu schaffen. Denn unter der Herrschaft des Sonnenkönigs Ludwigs XIV. erlangte Frankreich und mit ihm die französische Sprache großes Prestige, welches aus damaliger Sicht nicht unangefochten bestehen konnte (vgl. Becker 2013: 250f.).
2.2 Ihre Rolle als normgebende Instanz
Wichtigstes Instrument zur Ausführung ihrer Vorhaben war die Veröffentlichung von Grammatiken, Wörterbüchern und orthographischen Regelwerken (vgl. Becker 2013: 249). Zwischen 1726 und 1739 erschien dasDiccionario de las Autoridadesin 6 Bänden, ein umfangreiches Wörterbuch mit knapp 40.000 Einträgen, das vor allem Wortschatz aus dem Goldenen Zeitalter enthält. Damit deckte die RAE bereits den ersten Bereich ihrer Kodifikationsleistung ab. Die verschiedenen Auflagen wurden letztendlich richtungsweisend für die Festlegung der spanischen Orthographie (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 122).
1741 publizierte die RAE die ersteOrlographia Espanola,die besonders deshalb Erwähnung verdient, weil sie das bisher übliche etymologische Prinzip der Schreibung durch eine phonologische Konzeption ablöste. Die Herkunft eines Wortes muss demnach nicht mehr zwingend ersichtlich sein, sondern die Aussprache übernimmt die Leitfunktion für die Schreibung. Mit der 8. Auflage im 19. Jahrhundert erreichte die spanische Rechtschreibung schließlich weitestgehend ihren heutigen Zustand (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 124f.).
Mit der 1771 erschienenenGramatica de la lengua castellanarundete die RAE ihre Zielsetzung, eine gültige und wirksame Kodifizierung zu schaffen, mit der wichtigsten Grammatik des Jahrhunderts ab. Sie wurde 1780 zur offiziellen Grammatik der spanischen Sprache erklärt und für den Schulunterricht verbindlich gemacht (vgl. Bollée/Neumann- Holzschuh 2003: 123).
3. Die Normdiskussion in Lateinamerika
Eine zunehmende Entfremdung zwischen spanischem Mutterland und den neuen lateinamerikanischen Staaten in politischer Hinsicht ging auch mit einem wachsenden Wunsch der sprachlichen Loslösung einher. Die Norm, wie sie die RAE vertrat, zog bis zu diesem Zeitpunkt einen Einbezug lateinamerikanischer Besonderheiten gar nicht erst in Betracht. Daraus resultierte ein sprachpolitisches Problem, das Spanien seit dem 19. Jahrhundert stark bewegte. Die Frage nach Spracheinheit oder Sprachspaltung wurde in der hispanophonen Welt rege diskutiert (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 135). Die Einstellungen diesbezüglich waren sehr widersprüchlich. Befürworter eines sprachlichen Nationalismus standen den Vertretern eines Purismus „oft unversöhnlich gegenüber” (Becker 2013: 254).
3.1 Der sprachliche Nationalismus
Für die Anhänger eines sprachlichen Nationalismus galt sowohl die spanische Kultur mit ihren geistigen und literarischen Traditionen als auch die sprachliche Norm der Iberischen Halbinsel als unangemessen. Eine kastilische Norm, wie sie durch die Akademie festgeschrieben war, sei in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern völlig realitätsfern. Erklärtes Ziel wurde es also, eigene nationale Varietäten zu schaffen und für ihre Anerkennung durch die RAE zu sorgen (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 135).
Besonders ausgeprägt war die antispanische Haltung in Argentinien. Sie wurde stark vorangetrieben von Domingo Faustino Sarmiento, einem argentinischen Schriftsteller, der später von 1868 bis 1874 auch Präsident Argentiniens war. Dieser plädierte für die Schaffung einer eigenen argentinischen Nationalsprache, unabhängig vom europäischen Standard. Für eine solche kulturelle Erneuerung sei das Sprachideal der Akademie und somit das Kastilische unbrauchbar. Er ließ außerdem keine Zweifel offen, dass ein lateinamerikanischer Standard absolute Gleichwertigkeit mit dem europäischen beanspruchen könne.
Die nationale Sprache sollte sich zum einen an der argentinischen Volkssprache, so wie sie in den ländlichen Gebieten und Buenos Aires gesprochen wurde, orientieren. Zum anderen forderte Sarmiento die Anlehnung an ein „idioma [...] mas conductor de los conocimientos humanos” (Sarmiento, zit. nach Berschin et al. 2005: 119), die eine stärkere Ausrichtung am Französischen implizierte. Dies galt nach wie vor als die Sprache des Fortschritts. Archaismen, Wörter, deren Gebrauch abgenommen hat und von der Mehrheit der Sprecher als altmodisch empfunden werden, sollten nicht etwa verbannt, sondern in die nationale Sprache eingebunden werden. Dies galt ebenso für sprachliche Elemente der Pampa, derhabla gauchesca, und Gallizismen (vgl. Becker 2013: 254). Es ist ersichtlich, dass künstliche Normsetzungen, wie sie die Akademie teilweise durchsetzte, nicht im Sinne Sarmientos waren. Mit seiner Aussage „Los pueblos en masa, y no las academias, forman los idiomas” (Sarmiento, zit. nach Berschin et al. 2005: 119) kritisierte er die Aktivitäten der Akademie und sprach sich für eine Norm aus, die sich an den tatsächlich gesprochenen Sprachen der Länder orientierte.
Derartige Forderungen dürfen jedoch nicht als Wunsch nach Sprachseparatismus missverstanden werden. Sarmiento ging es nicht darum, die spanischen Varietäten künstlich aufzuspalten und als Einzelsprachen zu deklarieren. Vielmehr können die Bestrebungen des sprachlichen Nationalismus als Wunsch nach einem unabhängigen und gleichwertigen lateinamerikanischen Standard gelten, der dem europäischen keinen Vorrang einräumen musste (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 135).
Sarmientos Vorstellungen hinsichtlich der Orthographie konkretisierten sich 1843 in seiner Memoria sobre ortografia americana,in der er für eine lateinamerikanische Norm plädierte, die bewusst mit der kastilischen brach. Eine solche „ortografia vulgar, ignorante, americana” (Sarmiento, zit. nach Berschin et al. 2005: 120) sollte ein streng phonographisches Konzept verfolgen und somit das lange Zeit übliche etymologische Konzept ablösen (vgl. Bollée/Neumann-Holzschuh 2003: 136). Ausgehend davon setzte sich Sarmiento für die konsequente Verschriftlichung des Seseos ein, also die Auflösung der kastilischen Opposition von /s/ : /θ/ zu /s/ (vgl. Noll 2019: 31). Wörter wiezapatoodercorazönsollten folglich den lateinamerikanischen Aussprachegewohnheiten gemäß alssapatoundcorasöngeschrieben werden. Eine solche Lösung würde also unweigerlich auf eine Eliminierung des Graphems <z> hinauslaufen. Das Graphem <x> sei in Wörtern wieexamenaußerdem nur etymologisch zu erklären und sollte deshalb durch das Digraphem <cs> ersetzt werden. Derartige Vorschläge wurden letztendlich aber nie umgesetzt (vgl. Becker 2013: 256).
3.2 Der sprachliche Purismus
Einen starken Gegenpol zu solchen Forderungen bildete die Auffassung Andrés Bellos, eines venezolanischen Intellektuellen und Diplomaten. Dieser befürchtete ein Auseinanderdriften des Spanischen in Lateinamerika und damit den Zerfall in verschiedene Dialekte. Eine solche Sprachspaltung galt es um jeden Preis zu verhindern. Sein Ziel war es deshalb, den lateinamerikanischen Staaten die europäische Norm zu vermitteln und so die Einheit der Sprache in der hispanophonen Welt zu bewahren (vgl. Becker 2013: 254f.).
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