Ab der ersten Hälfte des XVIII. Jh. kehren viele Autoren dem Rationalismus der Aufklärung den Rücken und widmen sich neuen Themen, wie die Erkundung der Leidenschaften und die Symbiose mit der Natur. Die Romantische Bewegung, die in Deutschland und England mit den Werken von Goethe und Scott ihren Anfang nahm, ergreift schließlich auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Frankreich. Als Ausdruck einer neuen postrevolutionären Gesellschaft markiert sie den Triumph einer neuen Sensibilität und die Ablehnung der bestehenden Ordnung zugunsten der schöpferischen Freiheit und löst die Epoche der Aufklärung und des Klassizismus gänzlich ab. Vor allem die Lyrik erlebt somit seit der Renaissance wieder eine Blütezeit. Zu den herausragenden Personen der französischen Romantik gehört Alphonse de Lamartine.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Romantik
2.1. Geschichte der Bewegung
2.2. Themen und Prinzipiern der romantischen Literatur
3. Hintergrund zu „L´Isolement“
3.1. Rezeption der „Méditations poétiques“
3.2. Formaler Aufbau und Titel von „L´Isolement“
4. Gedichtinterpretation von „L´Isolement“
4.1. Eine dematerialisierte Landschaft
4.2. Nihilismus
4.3. Eine transzendentale Erfahrung
5. Kommentar und Schlussbemerkung
5.1. Zusammenfassung der Interpretation
5.2. Das „Commentaire“
5.3. Fazit
6. Bibliographie
« […] Méditation, et que je les recueillis par droit de primogéniture pour en faire la première pièce de mon recueil. Ce souvenir me les a rendus toujours chers depuis, parce qu’ils étaient tombés de ma plume comme une goutte de la rosée du soir sur la colline de mon berceau, et comme une larme sonore de mon coeur sur la page de Pétrarque, où je ne voulais pas écrire, mais pleurer. »
Lamartine : Commentaires des premières Méditation. L´Isolement. In : Méditations poétiques L´Œuvres poétiques complètes, éd. Guyard, Bibliothèque de la Pléiade, N.R.F., 1963.
1. Einleitung
Ab der ersten Hälfte des XVIII. Jh. kehren viele Autoren dem Rationalismus der Aufklärung den Rücken und widmen sich neuen Themen, wie die Erkundung der Leidenschaften und die Symbiose mit der Natur. Die Romantische Bewegung, die in Deutschland und England mit den Werken von Goethe und Scott ihren Anfang nahm, ergreift schließlich auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Frankreich. Als Ausdruck einer neuen postrevolutionären Gesellschaft markiert sie den Triumph einer neuen Sensibilität und die Ablehnung der bestehenden Ordnung zugunsten der schöpferischen Freiheit und löst die Epoche der Aufklärung und des Klassizismus gänzlich ab. Vor allem die Lyrik erlebt somit seit der Renaissance wieder eine Blütezeit. Zu den herausragenden Personen der französischen Romantik gehört Alphonse de Lamartine.
Rien n'enlèvera à Lamartine la gloire d'avoir été la première voix romantique. La publication des Méditations, le 13 mars 1820, a été, historiquement, l'un des grands événements de la poésie française.1
Als einziger Sohn einer verarmten adligen Familie, verfolgt Alphonse de Lamartine eine politische und diplomatische Karriere, ist Romancier und Historiker, wird aber als Dichter in die Geschichte eingehen. Trotz einer durch und durch katholische Erziehung, neigte er sich mehr und mehr einem Deismus voltairischer Art zu, der die Präsenz Gottes in der Natur sucht und findet. Die Entdeckung und Bedeutung des "Ich", ein wesentlicher Charakterzug der Romantik, die Beschreibung persönlicher Gefühle und Befindlichkeiten, sowie der Bezug des Menschen zur Natur spiegelt sich in seiner Lyrik wider. Seine im Jahre 1820 veröffentlichte Gedichtsammlung „Méditations poétiques“ macht Lamartine zu einem der erfolgreichsten und bedeutendsten Dichter der französischen Romantik. Ihm selbst ist der von ihm eingeleitete Umbruch bewusst:
Il fallait avoir un dictionnaire mythologique sous son chevet, si l'on voulait rêver des vers. Je suis le premier qui ai fait descendre la poésie du Parnasse, et qui ai donné à ce qu'on nommait la muse, au lieu d'une lyre à sept cordes de convention, les fibres mêmes du coeur de l'homme, touchées et émues par les innombrables frissons de l'âme et de la nature.2
In der vorliegenden Seminararbeit werde ich die grundlegenden neuen Charakteristika der romantischer Lyrik beispielhaft anhand des Gedichts „L´Isolement“ aus den „Méditations Poétiques“ (1820) Lamartines darstellen. Zu Beginn werde ich versuchen den Begriff
romantisme zu definieren und zu verdeutlichen inwiefern man von einer „romantischen Revolte“ sprechen kann. Hierbei werde ich v.a. auf die Entstehung der Romantik in Frankreich sowie ihre wichtigsten Merkmale eingehen. Es folgt eine sehr kurz gehaltende Anmerkung zur zeitgenössischen Rezeption der „Méditations poétiques“, bevor ich im Anschluss mit der Gedichtanalyse fortfahre. Diese bildet dann den Hauptteil dieser Arbeit, wobei ich im Schlussteil noch einmal das von Lamartine selbst verfasste „Commentaire“ zu „L´Isolement“ aufgreifen werde.
2. Romantik
Das Adjektiv romantique ist im Frankreich des XVII. Jh. Ein Synonym für romanesque, welches Gefühle und Abenteuer, die einem Roman entspringen, bezeichnet. Ab dem Ende des XVIII. Jh. steht romantique v.a. für melancholische Landschaften. Romantisme wird dann ab 1820 zum Schlagwort einer ganzen literarischen und kulturellen Bewegung, die gegen die bestehende Ordnung rebelliert und eine neue Sensibilität promulgiert. Ab 1830 ist die Bezeichnung „école moderne“ als Synonym zu romantisme üblich.
2.1. Geschichte der Bewegung
Die Romantische Bewegung umfasst fast alle Gattungen und zahlreiche Künste3 und ist europaweit zu beobachten. Politisch beginnt sie mit der Etablierung Napoleons und endet in etwa mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs unter Napoleon III. Die Entwicklung der neuen Literatur ist somit parallel zur Entwicklung des sozialen und politischen Systems als eine Art Befreiungsprozess zu sehen. Obwohl politische Aspekte eine überaus wichtige Rolle spielte, werde ich in dieser Arbeit nicht näher auf sie eingehen. 4
Schon Rousseau und Bernarden de Saint-Pierre können zur Vorromantik gezählt werden. Sie haben sich gegen die Ideale der Lumières gewandt, indem sie Einsamkeit und Natur zum Ausdruck brachten. Diderot selbst forderte 1767 in seiner berühmten Kunstkritik „Salons“ eine „poétiques des ruines“5, eine Lyrik die auf Melancholie der Ruinen, düsteren Emotionen und Stille der Nacht beruht. Durch deutsche und englische Literatur beeinflusst, wie z.B. die Werke Goethes und Novalis´, wie auch die Shelleys und Keats´, versucht nun die neue Generation französischer Autoren und Künstler ihre Leidenschaften, ihre passions, zum Ausdruck zu bringen. Die exilé der Revolution kehren nach Paris zurück und bringen eine neue Sensibilität mit. Das „Génie du christianisme“ von Chateaubriand im Jahre 1802 oder „De l´Allemagne“ von Germaine de Stael im Jahre 1810 werden zum großen Erfolg.
1823 verteidigt Stendhal schließlich Shakespeares Theater gegenüber den „règles classiques“6. Um Victor Hugo herum versammeln sich zahlreiche junge Künstler die ihre neue Poetik vehement verteidigen. Die berühmte „Préface de Cromwell“ (1827) für schließlich zum Eclat der „ bataille des anciens contre les modernes“ bei der Uraufführung von „Hernani“. Dieses Vorwort wird als einer der berühmtesten poetologischen Texte der französischen Literatur in die Geschichte eingehen.
2.2. Themen und Prinzipien der romantischen Literatur
Grundprinzipien des „ mouvement romantique“ sind die Befreiung von den „règles des classiques“, die Betonung der Lyrik, der Emotionen und des „Ichs“, sowie die Verwischung der Genres- und Registergrenzen. Es entsteht das Genre des Dramas, welches Theater, Komödie und Tragödie vermischt. In der Dichtung werden die Registergrenzen übergangen und der Dichter spring von der Komik zur Epik, vom lyrischem ins polemische. Romane schwanken zwischen politischen Forderungen und Herzensergießungen. Im Theater werden die Regeln der drei Einheiten missachtet, in der Dichtung bietet das Mittelalter eine neue Inspirationsquelle und die Romanhelden geben, als zerrissene Individuen in der modernen Welt, ihre „état d´âme“ preis. Dieses Gefühl von Einsamkeit, Betrübtheit und Melancholie wird oft als „mal du siècle“ umschrieben.
Hauptthemen hierbei sind die gefühlte Einsamkeit, die Verschmelzung mit der Natur, die Leiden des Volkes und das Trachten nach einer neuen Art von Spiritualität. Der Romantische Held, das lyrische Ich, findet in der Natur sowohl Geborgenheit, als auch Anregung. Grandiose Landschaften, Stürme, überwältigende Sonnenuntergänge entfesseln seine intensiven und doch oftmals schwermütigen Emotionen und ermöglichen ihm neue transzendentale Erfahrungen. Der romantische Schriftsteller erhebt einen neuen Anspruch auf kreative Freiheit. Vorrangig sind hierbei alle Leidenschaften des Ichs. Das „Moi“ verbrüdert sich mit dem Leser durch den „aveu biographique“ 7seiner Träume, Wünsche, Bedrückungen und wird somit zur lyrischen Versprachlichung der Gefühle.
Die Romantik setzt die kollektive Erfahrung des sich selbst überlassen, einsamen Individuums in den Vordergrund. Indem der romantische Künstler seine Sorgen und Hoffnungen ausdrückt, wird er zum „porte-parole“ der Menschheit.
3. Hintergrung zu „ L´Isolement“
Ich werde in diesem Teil meiner Arbeit zuerst auf die Rezeption der „Méditations poétiques“ im Allgemeinen eingehen und anschließend die grundlegende Struktur von dem Gedicht „L´Isolement“ beschreiben.
3.1. Rezeption der Méditations poétiques
Die Veröffentlichung des aus 24 Gedichten bestehende Sammelband „Méditations poétiques“ von Alphonse Lamartine im Jahre 1820 ist der Beginn einer neuen Lyrik und markiert den Anfang des mouvement romantique in Frankreich. Lamartines „Méditations poétiques“ wurden enthusiastisch begrüßt und wenige Wochen nach ihrem Erscheinen war bereits eine zweite Auflage nötig.
Stendhal feierte Alphonse de Lamartine als einen „französisch Byron“, als die „première voix du romantisme“, die eine „vibration d'existence“ und eine „intensité confuse du vécu“ vermittelt. Die „Méditations poétiques“ vollführen einen Epochenbruch mit der Erlebniskategorie. Diskursive Konventionen sowie die Regeln der traditionnellen Rhetorik werden als obsolet abgewertet, während es zu einer Aufwertung des Ichs durch die Verwendung von Gefühlskonventionen kommt.
Dies führte jedoch auch zu einer negativen Kritik, wie etwa die von Baour-Lormian:
"Osez-vous déchirer avec froid dédain
Le code que Boileau rédigea de sa main?"8
[...]
1 G. Picon, "La poésie au XIXe siècle", in: Histoire des littératures III: Littératures françaises, connexes et marginales, hg. v. R. Queneau, Paris 1958, S. 887-997, hier: S. 898.
2 Lamartine, »Méditations poétiques«, in: Premières Méditations poétiques, Paris 1909.
3 Ich werde mich in dieser Arbeit bewusst auf die Literatur, bzw. die Lyrik beschränken.
4 Siehe hierzu z.B. H. U. Gumbrecht, Skizze einer Literaturgeschichte der Französischen Revolution, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft, Bd. 13, Aufklärung III (hrsg. J. v. Stackelberg), Wiesbaden 1980, S. 269 ff. 5Diderot, Ruines et paysages, Paris, Hermann, 1995, S.282.
5 Diderot, Ruines et paysages, Paris, Hermann, 1995, S.282.
6 Das klassische Literatur verständnis beruht auf verbindlichen Regeln: das imitatio Prinzip, die Mimesisrelation (Dichtung als Abbildrelation) und v.a. die Einhaltung des aptum d.h. Angemessenheit von Thema und Stil (durch elocutio und dispositio) sowie eine bestimmte Rhetorik des Affekts (Leidenschaft durch best. Formen). Die präetablierte Ordnung der Diskurse bestimmt was natürlich ist, welche Erwartungen der Leser an einen Text stellen kann.
7 Vgl. De Rentis, Dina : Interfiguration- Erzählen als „peinture“ und „résurrection“ bei den „historiens romantiques“ und bei Émile Zola. In Romanische Literaturen und Kulturen 5, University Press of Bamberg, 2012.
8 P.-M.-L. Baour-Lormian, Le Classique et le Romantique, Paris 1825, S. 26.