Mit genügend Geld lässt sich nicht nur jede Ware und Dienstleistung kaufen, sondern auch alles nicht-käufliche finanzieren – denn auch ein geldloses Aussteigerdasein hat seinen Eintrittspreis. Es scheint das Medium des totalen Handlungsspielraums, der absoluten Freiheit des Individuums zu sein, auf die jeder, der sich „ökonomisch“ verhält, gleiches Anrecht hat.
Die Vorherrschaft des ökonomischen Denkens und Handelns, für das das Geld nur den Ermöglichungsgrund darstellt, ist jedoch ein Trugbild. Der homo monetarius ist kein freies Wesen, das Geld zu seinen Zwecken verwendet, sondern vielmehr das Medium des Geldes selbst, das durch ihn und seine Interaktion mit der Welt auf sich selbst zurückkommt. Die Freiheit, die das Geld verleiht, ist die Freiheit des Geldes selbst.
Die Denkrichtung dieser Arbeit beschreibt die Suche nach einer Denk- und Handlungsweise, die die dunkle Idee des Geldes aus ihrer Selbstzweckposition vertreibt und gerade darin neue Möglichkeiten des Geldes eröffnet. Und so sage ich das Wichtigste vorweg: Es ist nicht das Wesen des Geldes, das den homo monetarius und die Kapitalakkumulation bedingt; jenes ist von höchster Flexibilität geprägt und hat seine adäquate Form noch nicht gefunden. Der Charakter des Geldes als Selbstzweck resultiert vielmehr aus seiner Anwendung aus einem ideologischen Geist heraus. Ideologie hingegen ist in all ihren Ausprägungen ein Ausdruck der menschlichen Unfähigkeit, frei und selbstverantwortungsvoll zu sein. Und ich bestreite, dass diese Unfähigkeit mit einer Unmöglichkeit gleichzusetzen ist, weder einer individuellen, noch einer gesellschaftlichen. Die monetäre Gesellschaftsform beinhaltet eine Nische für eine Architektur des Selbst, die von einer anti-ideologischen und somit von einer freien Seinsweise geprägt ist, und diese Seinsweise heißt Ironie.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Geld als Architekt des Selbst
2.1 Der Begriff des Geldes und seine Entstehung
2.2 Der homo monetarius
2.2.1 Die Welt der Zukunft
2.2.2 Monetäre Zwischenmenschlichkeit
2.2.3 Der ideologische Widerschein des Geldes in der Gesellschaft
3 Ideologie als ursprüngliches Design des Kapitalismus
3.1 Die Kettenkrankheit
3.2 Referenzwahrheit und ἀλήθεια
4 Ironie als anti-ideologische Denkbewegung
4.1 Ironie und Liberalismus
5 Endgame: Der homo monetarius ironicus oder Eine allzu optimistische Vision
Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Geld ist paradoxer als der Tod. Nicht nur ist es allgegenwärtig und zugleich seinem Wesen nach unergründlich, sondern obendrein von jedermann begehrt. Denn ganz im Gegenteil zu Freund Hein besteht seine Hauptfunktion nicht darin, das Werden zu beenden, sondern es zu ermöglichen. Geld spendet Zukunft, Entwicklung, Fortschritt. Innerhalb der artifiziellen Welt des Menschen, die sich die präanthropomorphe Seite des Planeten zum größten Teil unterworfen hat, nimmt es somit die Rolle einer Lebensquelle ein.
Einem an sich wertlosen Schlüssel gleich, eröffnet dieser geliebt-verhasste „Joker par excellence“ (Wolfgang Ullrich) eine ganz eigene, vollständige und ausschließ-liche Version der Welt. Mit genügend Geld lässt sich nicht nur jede Ware und Dienstleistung kaufen, sondern auch alles nicht-käufliche finanzieren – denn auch ein geldloses Aussteigerdasein hat seinen Eintrittspreis. Es scheint das Medium des totalen Handlungsspielraums, der absoluten Freiheit des Individuums zu sein, auf die jeder, der sich „ökonomisch“ verhält, gleiches Anrecht hat. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit durch Geld: So könnte zumindest der common-sense-Leitstern des pseudo-demokratischen Neoliberalismus lauten. Die Vorherrschaft des ökonomi-schen Denkens und Handelns, für das das Geld nur den Ermöglichungsgrund darstellt, ist jedoch ein Trugbild. „Heute herrscht in der wirtschaftlich entwickelten Welt das Gelddenken, und wir sehen in Anlehnung an die klassische Formulierung des homo oeconomicus den neuen, sehr anders gearteten homo monetarius vor uns, der das begehrte Gut der ‚Moneten’ oft nur allzu ‚unökonomisch’ erwirbt und verwendet.“1 Der homo monetarius ist kein freies Wesen, das Geld zu seinen Zwecken verwendet, sondern vielmehr das Medium des Geldes selbst, das durch ihn und seine Interaktion mit der Welt auf sich selbst zurückkommt. Die Freiheit, die das Geld verleiht, ist die Freiheit des Geldes selbst.
Machthierarchien und ungerechte Ressourcenverteilungen scheinen sich unter historischer Betrachtung mehr oder weniger in jeder Gesellschaftsform zu manifestieren. So scheint es in der geldbasierten Gesellschaft ein Fortschritt, dass die Klassen- und Schichtenzugehörigkeit des Einzelnen kein Schicksal, sondern auf einem entsprechenden Umgang mit Geld beruht und somit veränderbar ist. Abgesehen von der Fragwürdigkeit dieses american dream, bringt die monetäre Klassengesellschaft ein besonderes Merkmal mit sich: Während das Geld einerseits Leitern zwischen den Schichten errichtet, bringt es andererseits eine bestimmte allgemeine Vorstellung vom Sinn des Lebens mit sich, einer gewissen Wirkungsmacht und Investitionsfreiheit, die auf einem Geldüberschuss beruht. Somit ist in einer Gesellschaft größtenteils unfreiwilliger homines monetarii ein sinnvolles Leben sowie eine qualitativ vollständige Architektur des Selbst der vermögenden Schicht vorbehalten.
Wenn es Karl Marx und seinen Anhängern nicht gelang, diese Umstände mithilfe einer gesellschaftlichen Umwälzung zum Besseren zu kehren oder zumindest ihr heutiges Ausmaß zu verhindern, so hat dies viele Gründe, die ich hier im Einzelnen nicht anführen will, die mir jedoch ausreichend Anlass geben, einen anderen Weg einzuschlagen. Die Denkrichtung dieser Arbeit beschreibt die Suche nach einer Denk- und Handlungsweise, die die dunkle Idee des Geldes aus ihrer Selbstzweckposition vertreibt und gerade darin neue Möglichkeiten des Geldes eröffnet. Und so sage ich das Wichtigste vorweg: Es ist nicht das Wesen des Geldes, das den homo monetarius und die Kapitalakkumulation bedingt; jenes ist von höchster Flexibilität geprägt und hat seine adäquate Form noch nicht gefunden. Der Charakter des Geldes als Selbstzweck resultiert vielmehr aus seiner Anwendung aus einem ideologischen Geist heraus. Ideologie hingegen ist in all ihren Ausprägungen ein Ausdruck der menschlichen Unfähigkeit, frei und selbstverantwortungsvoll zu sein. Und ich bestreite, dass diese Unfähigkeit mit einer Unmöglichkeit gleichzusetzen ist, weder einer individuellen, noch einer gesellschaftlichen. Die monetäre Gesellschaftsform beinhaltet eine Nische für eine Architektur des Selbst, die von einer anti-ideologischen und somit von einer freien Seinsweise geprägt ist, und diese Seinsweise heißt Ironie.
2 Geld als Architekt des Selbst
2.1 Der Begriff des Geldes und seine Entstehung
Bei einer historischen Begriffsanalyse des Geldes zeigt sich dieses als eine Idee, welche sich zunächst als funktionales Hilfselement für Komplikationen des Tauschmarkts etabliert, diesen jedoch strukturell zu einem profitorientierten Wirtschaftsmarkt (Kapitalismus) umwandelt, um in dessen Kontext das selbst-bezweckende Kernelement darzustellen.
Was ist Geld? Die erste Eigentümlichkeit bei der Beantwortung dieser Frage ergibt sich daraus, dass sie sich weder gänzlich befriedigend beantworten lässt, noch komplett falsch gestellt ist.
Geld als einen Gegenstand mit materiellen Eigenschaften in Form von Scheinen aus Baumwolle und Münzen aus Nordischem Gold, Messing oder Kupfernickel erschöpfend beschreiben zu wollen scheitert bereits am Phänomen des elektronischen Gelds.
Eine diese beiden Erscheinungsformen umfassende Definition wäre hingegen eine rein funktionale im Sinne der Neoklassik: Geld fungiert als Wertmaß, Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel von Waren, mit denen es in einer Wechselbeziehung steht. Seine Entstehung verweist gleichermaßen auf seine heutige kontextuelle und funktionale Verortung. Ursprünglich trat es als Lösung eines Problems auf, das der primitive Tauschhandel mit sich brachte, nämlich „dass auf den Märkten des Tauschhandels Kontrahentenpaare, die ihrer Waren wechselseitig bedürfen, nur in einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Fällen tatsächlich vorhanden sind“2. So etablierte sich als vermittelndes Zwischenglied eine nicht herstellbare, haltbare und leicht zu transportierende Ware, zu der alle übrigen Waren bezüglich ihres Tauschwerts im Verhältnis standen: Gold. Das Hindernis, welches die geringe Wahrscheinlichkeit eines wechselseitigen Aufeinandertreffens von Angebot und Nachfrage der Händler darstellte, war umgangen, da nun jeder Händler zusätzlich eine Nachfrage nach Gold auf den Markt brachte, die sich logischerweise daraus ergab, dass Gold – je nach Umfang – repräsentativ für alle Waren stand. Dass sich die Verwendung des Goldes in dieser Geldfunktion nicht aus seinem Material ergab, zeigt sich an dem Umstand, dass das Gold mit der wachsenden Dynamik und Größe des Marktes, die durch seine eigene Rolle darin stimuliert worden war, durch Münzen ersetzt wurden. Diese waren zwar herstellbar, jedoch nur von einer kontrollierenden Instanz. Und weiter: „Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so enthält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner Münzfunktion durch Marken aus anderem Material oder Symbole zu ersetzen.“3 Wenn Marx im Jahre 1867 imstande war, seine Analyse des Geldes auf diese Weise so zu formulieren, dass der nächste Satz lauten könnte: „Somit findet das Geld als reines Wertsymbol seine adäquate Form im Digitalen“, so weist dies darauf hin, dass die Entwicklung der Geldform einer logischen (und somit vorhersehbaren) Anpassung an die Geldfunktion darstellt.
Die Idee des Geldes entstand laut Menger also als Antwort auf Probleme des primitiven Markts und konnte dementsprechend nur als Konglomerat aus Funktionen auftreten. Mit seiner Loslösung vom Gold und dessen materiellen Eigenschaften ermöglichte das Geld eine weitere Funktion bzw. Verwendungsweise: das Wirtschaften. Dieses unterscheidet sich vom reinen Tauschhandel grob gesagt dadurch, dass das Hauptaugenmerk (der Marktteilnehmer) nicht auf den Gebrauchswert der Waren, sondern auf ihren Tauschwert gerichtet ist, dass die Teilnahme am Markt nicht aus dem Motiv der eigenen notwendigen Bedürfnisbefriedigung, sondern der Vermehrung von Geld selbst heraus geschieht. Statt W-G-W (Ware-Geld-Ware) ist die Grundoperation G-W-G. „In der Zirkulation G-W-G funktionieren dagegen beide, Ware und Geld, nur als verschiedene Existenzweisen des Werts selbst, das Geld seine allgemeine, die Ware seine besondre, sozusagen nur verkleidete Existenzweise. Er geht beständig aus der einen Form in die andere über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt.“4
Heinsohn und Steiger zufolge ergibt sich die Verwendung des Geldes als Wirtschaftsmittel nicht automatisch aus einer graduellen Verbreitung seines Gebrauchs, sondern ist nur möglich in einer prinzipiell anders strukturierten, gesetzlich angeordneten Gesellschaftsform: der Eigentumsgesellschaft. „Sie steuert Produktion, Verteilung, Konsumption und Akkumulation durch die [...] Größen Zins und Geld sowie durch freie Kontrakte“5. Anstelle einer obersten Staatsgewalt, die Besitztitel (d.h. rein physische Nutzungsrechte) vergibt, herrscht hier das Prinzip der Eigentumstitel, über die prinzipiell jeder verfügen kann. Sie „werden nicht physisch genutzt, sondern durch Belastung mit einer legalen Forderung aktiviert – zur Schaffung von Geld, zur Besicherung eines Kredits, zur Vollstreckung und zum Verkauf.“6 Jenseits des wirtschaftsrechtlichen Jargons bedeutet dies, dass das Gesetz dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, die Dinge und Fähigkeiten, die er hat, nicht nur zu verbrauchen, sondern sie zu nutzen, um Kapital und Profit zu erwirtschaften. Und damit dies überhaupt Sinn macht, muss auch das Geld die oben beschriebene Selbstzweckform annehmen, während es in der Besitzgesellschaft lediglich die Rolle „unspezifizierte[r] Gutscheine für die zentral geplanten Gütermengen“ besaß, und „[w]as Zins genannt wurde, war lediglich ein Instrument zur Kontrolle, dass die Kredite auch ‚getilgt’ wurden.“7
In der Eigentumsgesellschaft sind die ursprünglicheren Funktionen des Geldes nicht verschwunden, aber der des Wirtschaftens untergeordnet bzw. von ihnen umschlossen: Jemand, der eine Wohnung mietet, ist deren Besitzer; er nutzt sie physisch, lebt darin. Die Miete zahlt er jedoch an den Eigentümer, der selbst in keinem physischen Nutzungsverhältnis zu ihr steht, sondern mithilfe ihrer Vermietung Profit aus ihr erwirtschaftet. Wer Lebensmittel im Supermarkt kauft, erwirbt sie für gewöhnlich als anschließender Besitzer, um sie zu verbrauchen. Mit dem Kauf realisiert er jedoch den kalkulierten Profit ihres Eigentümers, des Lebensmittel-händlers. Gelingt es diesem wiederum nicht, seine Waren zu verkaufen, kann er ebenso von seinem Besitztitel auf sie Gebrauch machen und sie selbst verzehren.
2.2 Der homo monetarius
Es ist dem Geld wesentlich zu zirkulieren. Wenn es nicht gebraucht wird, ist es nicht. Wenn es stagniert, verliert es seinen Wert, seine Werthaftigkeit. Es ist allzu verlockend, aufgrund seines Selbstzweckcharakters im Geld ein „autonomes Subjekt“ sehen zu wollen.8 Damit diese Arbeit ihre angekündigte Argumentation vollführen kann, muss nun jedoch die historisch-begriffsklärende Perspektive auf das Geld verlassen und der Mensch als Subjekt gesetzt werden, und zwar in seiner spezifischen Gestalt als homo monetarius. Von diesem Ausgangspunkt aus erscheint das Geld nicht als autonomes Subjekt, sondern als Seinsweise des Menschen, in welcher er sich selbst die Autonomie entzieht.
Als homo monetarius bezeichne ich eine Selbstauslegungstendenz des Menschen, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er sich mithilfe der Idee des Geldes in eine Beziehung zu seiner Umwelt, seinen Mitmenschen sowie zu sich selbst setzt. Beim Einflussbereich des Geldes handelt es sich hierbei nicht um einen Teilaspekt des menschlichen Daseins, sondern um eine potenziell ganzheitlich umfassende Selbstinterpretation, bei der alle existenziellen Grundstrukturen auf monetäre Weise modifiziert werden. Der besondere Reiz, der das Dasein als homo monetarius mit sich bringt, besteht darin, dass das Geld dem Individuum eine Wahlfreiheit verheißt, die unbegrenzt erweiterbar ist, solange sich das Individuum im kapitalistischen System aufhält. Ohne überragende kombinatorische Fähigkeiten kann man auf diese Weise zu dem Schluss gelangen, dass der homo monetarius in seiner idealen Ausprägung die restlose Selbstermächtigung des Menschen darstellt. Dass es sich hierbei um einen Trugschluss handelt und die Hochzeit zwischen Mensch und Geld in ihrer derzeitigen Form zu nichts als Schuld führt, werde ich im Folgenden zu zeigen versuchen.9
Geld ist das „absolute Mittel“ (Simmel). Es eröffnet den Zugriff auf materiellen Reichtum, individuelle Freiheit, Eingriff in den Zeitablauf, Überbrückung von räumlichen Entfernungen sowie globale zwischenmenschliche Bindungen. Doch im selben Zug, in welchem es den Weg zu seinen Idealen eröffnet, verschließt es deren Realisierbarkeit.
2.2.1 Die Welt der Zukunft
Durch die weltweite, wesentlich religiöse Verbreitung des Kapitalismus10 ist die Käuflichkeit nicht nur zu einem universellen, sondern vorwiegend primären Merkmal von Dingen, Diensten und Ereignissen geworden. Was hingegen nicht käuflich ist – Wahrheit, spirituelle Erfahrungen, Liebe etc. – muss dennoch finanziert werden. Die Räume, in denen die Idee des Geldes nicht Einzug nehmen kann, werden dennoch vom Geld selbst geschaffen, und unter dieser Schirmherrschaft stehen sie gleichermaßen unter Vorbehalt: Sie können nur zeitweilige Zustände der Regeneration darstellen, um anschließend wieder einer profitorientierten Weise des In-der-Welt-seins den Vortritt zu lassen.
Der Blick des homo monetarius überspringt das, was ist und richtet sich auf das, was möglich ist. Er schläft in der Zukunft, denn das Geld ermöglicht es ihm zu investieren. Das Gegenüber des monetären Handlungspotenzials ist nicht nur alles Käufliche, sondern vor allem alles Herstellbare. Als „Vehikel grenzenloser Verlängerung der wirtschaftlichen Zweck-Mittel-Reihen“11 wird Geld im Kontext der qualitativ ebenfalls unbegrenzten Herstellungs- und Modifikationsdienstleistungen zum Mittel der Entfaltung, des Werdens schlechthin. Investitionen lassen Ideen Wirklichkeit werden. Aus einem Entwurf wird ein massenhaft hergestelltes Produkt, aus einem Businessplan ein Unternehmen, aus einem Bedürfnis nach Sicherheit ein Haus mit Zaun und Wachmann. Der homo monetarius wird als Verfügender über dieses Werden zum Schöpfer, und sein Schöpfertum wird ihm nicht geschenkt, die Quelle des artifiziellen Lebens ist nicht unerschöpflich, denn Geld muss man sich verdienen. Darum versiegt sein Schöpfertum nicht im Werk, denn dieses manifestiert sich nur unter der Voraussetzung, dass es seine Quelle, das Kapital, nicht verringert oder gar auflöst, sondern vermehrt. Der monetäre Blick in die Zukunft kann nur ein wirtschaftlicher sein. „Was auch immer wir mit dem Geld tun oder erwerben, wird implizit oder explizit im Hinblick auf seine Rekonvertierbarkeit in Geld bewertet.“12 So schließt sich der hermeneutische Zirkel des homo monetarius.
Und er ist ein time jockey. Geld Sparen bedeutet gegenwärtige Optionen für die Zukunft aufbewahren. So ist ein überschüssiges Verwirklichungspotenzial in Form eines Geldprofits nicht nur unabhängig von der Profitquelle, sondern auch von der Gegenwart sowie seiner eigenen Größe. Der universelle, unspezifische Charakter des Geldes erlaubt es einer Geldsumme (den Schwankungen des Marktes entsprechend) seinen Wert durch die Zeit hindurch zu bewahren, sich in jeglicher Form von Investition weiter zu verwerten sowie sich bis auf die Mindestwährungseinheit in Teile zu spalten bzw. mit anderen Geldsummen des selben Besitzers einen Schatzbildungsprozess einzugehen.13 Der Sparende spart nicht um des Sparens willen, sondern in Hinblick auf zukünftige Finanzierungen, Käufe oder Investitionen.14 Handelt es sich um letzteres Vorhaben, gilt: Je größer die gesparte Geldsumme, desto detaillierter die auf Profit ausgerichtete Zukunfts-planung, der Businessplan. Ein derartig klares Zukunftsbewusstsein war in vorkapita-listischen Zeiten weder nötig noch möglich. Klar und eintönig: In der Zukunft zählen nur die Zahlen, denn die Wirksamkeit des Geldes besteht in Verheißung. In dem, was ist findet es hingegen keinen Sinn.
Einen Kredit aufzunehmen hingegen bedeutet die Zukunft zu antizipieren. In diesem Fall kehrt die Regelung der Kreditvergabe den eben beschriebenen Prozess um: Der Kreditnehmer muss kreditwürdig sein. D.h., er muss zeigen, dass er die Qualitäten eines vermögenden homo monetarius, eines echten Kapitalisten in Marx’ Sinn hat. Sein Geist muss monetär sein, sein Schöpfertum muss die Zukunft gestalten, dem Chaos kein vereitelndes Schlupfloch lassen und vor allem das schöpferische Potenzial potenzieren. Profit bringt Kredit. Wer die Zukunft skizzieren kann, bekommt sie auch.15 Wer und was hingegen keine (profitable) Zukunft hat, hat auch bald keine Gegenwart mehr.
Auch räumliche Entfernung (von Gütern) wird dem homo monetarius gegenüber Erschwinglichkeit irrelevant. Somit schwindet im monetären Weltbild ebenfalls die Notwendigkeit räumlicher Gegenwärtigkeit.
2.2.2 Monetäre Zwischenmenschlichkeit
Da es dem Geld wesentlich ist zu zirkulieren, kann der homo monetarius nur in Gesellschaft existieren. In Heideggers Vokabular: Das Mitsein ist ein Existenzial des Seins des homo monetarius.16 Zum Erhalt seiner Lebensquelle, des Geldes, muss er Marktteilnehmer sein, in Interaktion mit anderen homines monetarii treten. Zunächst und zumeist erscheint uns der Andere in dem, was er tut bzw. seiner gesellschaft-lichen Funktion. In der im Folgenden zu untersuchenden monetären Zwischen-menschlichkeit ist diese gesellschaftliche Funktion noch weiter spezifiziert: Der Andere ist das Zirkulationsmedium des eigenen Geldes. Durch seine immer-währende Nachfrage nach Geld17 erscheint er in seiner Funktion als Dienstleistender, d.h. als Manifestationsmöglichkeit des Potenzials, welches das eigene Geld darstellt. Bzw. er erscheint als Quelle universellen Potenzials (Geld), im Austausch gegen die eigene Dienstbarkeit.
„Die Verwendung von Geld führt zwar zur Auflösung unmittelbarer sozialer Bindungen und des darin eingelagerten Vertrauens, wie sie für Reziprozität [d.h. das Prinzip des Gebens und Nehmens aufgrund wechselseitiger Verpflichtungen und Anrechte] typisch sind; sie schafft aber zugleich neue Abhängigkeiten und Einbindungen, die ebenfalls Vertrauen unerlässlich machen.“18 Wenn wir mit Heinemann davon ausgehen, dass Vertrauen die Voraussetzung dafür ist, mit wem wir ein Reziprozitätsverhältnis eingehen, so kann dieses Vertrauen in unterschiedlichen Gesellschaftsformen verschiedenen Inhalt haben.
In einer familiär-subsistenzwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft ist die Vertrauensbasis der Reziprozität eine moralische. Der Entscheidung, mit wem man ein Verhältnis des Austauschs von Dienstleistungen eingeht, geht ein Kennenlernen dieser Person voraus, die Etablierung einer sozialen Bindung, sodass man davon ausgehen kann, dass das moralische Gewissen des Anderen eine Garantie dafür liefert, dass dieser seine Gegenleistung erbringt. Dadurch ist die Auswahlmöglichkeit an Geschäftspartnern sehr gering.
In einer kapitalistischen, geldbasierten Gesellschaft hingegen sind persönliche Bindungen für Reziprozitätsverhältnisse theoretisch irrelevant. Menschliche Leistungen können restlos anonymisiert werden. Die Vertrauensbasis für die Wahl eines Geschäftspartners ergibt sich aus dessen Bonität, d.h. seiner (zukünftigen) Verfügung über Geld (bzw. aus dessen Dienstleistungsgarantie), wobei der Nachweis der Bonität in schriftlich beglaubigter Form verfügbar ist. Geschäftliche Bindungen sind nicht personen-, sondern leistungsgebunden, und mit dem Abschluss des Geschäfts endet die Bindung auch wieder. Die Garantie für die Funktionalität dieses Verfahrens ergibt sich aus der weltweiten Verwendung von Geld und deren Konkretisierung durch die UNCITRAL19. Es ist also die Gesellschaft (mitsamt ihrer Institutionen) selbst, zu welcher der Einzelne im Kapitalismus eine konstante Bindung eingeht, eine Gesellschaft, die vor staatlichen Grenzen keinen Halt macht, da die Handelssprache aus international verständlichen Zahlen besteht. Der Radius wirtschaftlichen Handelns ist unbegrenzt. Der homo monetarius ist also nicht wesentlich Familienwesen, auch kein Staatsbürger, sondern die erste rein gesellschaftliche Selbstinterpretation des Menschen.
2.2.2.1 Privatleben und Arbeit
Geld ermöglicht eine Architektur des Selbst, welche im sozialen Bereich das mit sich bringt, was Hannah Arendt als Entstehen der Gesellschaft (rise of the social) bezeichnet, welche die antike Dichotomie von πόλις (Polis) und Haushalt aufhebt. In der monetären Gesellschaft verschwindet der Haushalt (als Reich der Notwendigkeiten20 ) nicht, sondern wird kategorisiert in den Bereich des zu Finanzierenden, und zwar in der Sonderposition als das zu Finanzierende. Nun als Privatleben (private realm) ist der Haushalt, der das eigene Überleben (sowie das der Familie) sichert, nicht autopoietisch, nicht selbstversorgend. Im Zuge des Ersatzes der familiären Arbeitsteilung durch die gesellschaftliche, welche auf der Basis von Geld funktioniert, wird der Haushalt zu dem Bereich des homo monetarius, der seinen Gelderwerb notwendig macht. Er hat seine Notwendigkeit behalten, während er seine Unabhängigkeit eingebußt hat. Die geldbasierte Gesellschaft bietet die Gelegenheit, das Privatleben trotz seiner lebenserhaltenden Funktion vom Bereich der Arbeit und des Handels zu trennen: Was an Lebens- und Genussmitteln konsumiert wird, muss nicht selbst hergestellt werden, das eigene Zuhause muss nicht selbst gebaut werden, und die freundschaftlichen sowie familiären Bindungen müssen nicht in Hinblick auf einen wirtschaftlichen Nutzen geschlossen und gepflegt werden, sondern können aus sich selbst und um ihrer selbst willen bestehen. Die Kehrseite dieser Trennung ist, dass die Arbeit, deren Rechtfertigung sich argumentativ stets aus der notwendigen Finanzierung des Privatlebens speist, keinen konkreten Bezug zum Privatleben hat. Das Finanzierte ist nicht das Erarbeitete, das Erarbeitete ist Geld; und obwohl dieses ursprünglich dazu erarbeitet wird, um das Privatleben zu finanzieren, ist es von den Grenzen der Lebensnotwendigkeiten des Privatlebens entkoppelt. Die Arbeit ist nicht getan, wenn das Haus gebaut ist, denn in der entkoppelten Arbeitswelt ist das Haus nur Mittel zum Profit – und dieser kennt keine Grenzen. In der entkoppelten Arbeitswelt kann das Geld zum Selbstzweck werden, d.h. zum Kapital, dem die Akkumulation wesentlich ist.21 Da sich das Kapital hauptsächlich aus einem fortwährend gesteigerten Güterverbrauch nährt, spiegelt sich dessen Akkumulation rückwirkend im Privatleben wider: Dieses ist zur Konsumkultur ausgebaut, deren Grenzenlosigkeit nicht nur als Nährboden, sondern auch als Notfallrechtfertigung für die grenzenlose Geldakkumulation dienen kann.
2.2.2.2 Monetäre Hierarchie
Arbeit, das bedeutet für den homo monetarius nur eins: Geld verdienen. Ganz in seinem Element der losgekoppelten und auf sein Privatleben rückwirkenden Arbeitswelt, kann er sein verdientes Geld niemals ruhen lassen. Die Devise heißt: Wachstum oder Untergang. Sein Blick auf die Gesellschaft erkennt eine Hierarchie, erkennt drei Schichten, die sich jeweils aus einem bestimmten Verhältnis des Geldbesitzes des Individuums zu dessen Privatleben ergeben.
An oberster Stelle sind die Vermögenden. Sie besitzen mehr Geld als sie zur Finanzierung dessen benötigen, was sie als lebensnotwendig erachten. Ihr Geldüberschuss ist ein Vermögen an Möglichkeiten: Da sie keiner materiellen Notwendigkeit unterworfen sind, besitzen sie eine Wirkungsmacht durch eine Investitions-Wahlfreiheit, um welche die darauf Angewiesenen buhlen müssen. Neben ihrem ständig wachsenden Geldvermögen tragen überdies alle Güter und Aspekte ihres Privatlebens anstelle eines „weil ich muss“ ein „weil ich kann“.22
[...]
1 Konrad Engelmann: Wirtschaft und Wissenschaft. Wege und Irrwege der ökonomischen Forschung und Lehre zu ihrer sozialwissenschaftlichen Bestimmung, Berlin 1971, S. 157f.
2 Carl Menger: Gesammelte Werke, Band IV: Schriften über Geld und Währungspolitik, Tübingen 1970, S. 6.
3 Karl Marx: Das Kapital, Erster Band, Berlin 1977, S. 140
4 Ebend., S. 168f.
5 Gunnar Heinsohn, Otto Steiger: Eigentumstheorie des Wirtschaftens versus Wirtschaftstheorie ohne Eigentum, Marburg 2002, S. 11.
6 Ebend., S. 17.
7 Ebend., S. 16.
8 Vor allem Marx verfiel diesem Irrtum, indem er den Kapitalisten nur als Repräsentanten des Kapitals bezeichnete, wobei Kapital nichts anderes ist als sich selbst durch das menschliche Wirtschaften vermehrendes Geld. Meine Diagnose für die Krankheit hinter diesem Symptom lautet: Hegelianismus, Setzung eines Ideenautonomismus in Form von Kapital. „Freiheit ist eben dies, in seinem Anderen bei sich selbst zu sein, von sich abzuhängen, das Bestimmende seiner selbst zu sein.“ (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Frankfurt a. M. 1973, S. 84)
9 Um hier dem voreiligen Vorwurf einer „Elfenbeinturm“-Perspektive vorzubeugen, kündige ich an, dass ich die Architektur des homo monetarius zunächst anhand der Vermögenden beschreibe, um das darin wirksame Idealbild detaillierter beschreiben zu können – denn je näher man seinem Ideal kommt, desto klarer wird dessen Gestalt, und fast immer ist dieses klare Sehen eine Desillusionie-rung. Die Selbstarchitektur der Unvermögenden, der unfreiwilligen homines montarii, folgt am Ende dieses Kapitels.
10 „Seit die sozialistische Alternative nicht mehr verfügbar ist und damit die Form der Gesellschaft nicht mehr Gegenstand einer ideologisch begründeten politischen Entscheidung ist, glaubt diese Gesellschaft an den Kapitalismus. Sie glaubt, dass er ihr Schicksal ist. Und sie glaubt, dass er die einzige Chance ist, ihr Schicksal zu gestalten. Die Gesellschaft fühlt sich im Kapitalismus zu Hause[.]“ (Dirk Baecker: Einleitung; in: Dirk Baecker (Hrsg.): Kapitalismus als Religion, Berlin 2004, S. 7)
11 Georg Simmel: Philosophie des Geldes, Gesamtausgabe, Bd. 6, Frankfurt a. M. 1989, S. 254f.
12 Christoph Deutschmann: Die Verheißung absoluten Reichtums; in: Dirk Baecker (Hrsg.): Kapitalismus als Religion, Berlin 2004, S. 153.
13 Die Redewendung „flüssig sein“ ergibt sich aus diesem wasserartigen Charakter des Geldes: Ein Glas Wasser kann zu unzähligen Tröpfchen verdunsten oder auch in einen See gegossen werden. Allein wichtig ist, dass es fließt.
14 Die schwarzen Zahlen auf dem Sparkonto, die jeder homo monetarius gerne „als Sicherheit“ unterhält, entbinden ihn grundlegend von der Notwendigkeit, sein Bewusstsein auf die Gegenwart zu richten. Wenn alle Stricke reißen, hilft einem das gesparte Geld wenigstens noch über die kommenden Monate.
15 Aus dieser simplen Regel folgt, dass gefragte Trendforscher der Wirtschaft zu den einflussreichsten Menschen gehören. Die Menschen, die bei ihnen Rat suchen, sind zugleich diejenigen, die die Zukunft maßgebend zu gestalten vermögen. Die keineswegs allein möglichen, sondern nur auf möglichst hohen Profit ausgerichteten Leitbilder, die sie „vorhersagen“, werden zur self fulfilling prophecy. Als autopoietische Machtgeneratoren ersetzen sie den „naturwüchsigen“ Determinismus und geben dem Lauf der Dinge eine neue Richtung.
16 Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1976, § 26.
17 Die Aussage „Ich brauche gerade kein Geld“ macht innerhalb der Ideologie der „Verheißung des absoluten Reichtums“, auf die ich später zu sprechen komme, keinen Sinn und setzt somit eine Emanzipation des Einzelnen von ihr voraus.
18 Klaus Heinemann: Geld und Vertrauen; in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Bd. 41, Göttingen 1990, S. 276.
19 United Nations Commission on International Trade Law.
20 „The private realm of the household was the sphere where the necessities of life, of individual survival as well as of continuity of the species, were taken care of and guaranteed.“ (Hannah Arendt: The human condition, Chicago 1998, S. 45)
21 „Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos.“ (Karl Marx: Das Kapital, Erster Band, Berlin 1977, S. 167)
22 Was unter Konsumgütern als „Statussymbol“ fungiert, tut dies in der Weise, dass es in seinem Preis alle preisgünstigeren Alternativen als verschmähte Möglichkeiten beinhaltet. Wer einen Lamborghini fährt, vermittelt darin u.a., dass er nicht darauf angewiesen ist, einen Wartburg, Audi oder gar einen Mercedes als Fortbewegungsmittel zu nutzen. Da dies andererseits zur Folge hat, dass auch der Lamborghini aufgrund der vielen Alternativen keine Notwendigkeit darstellt, ist das Leben des Vermögenden in dieser Hinsicht komplett dem Reich der Notwendigkeit enthoben.