Die Chat-Kommunikation kann weder eindeutig einem schriftlichen Dokument, noch einem mündlichen Gespräch zugeordnet werden, sondern stellt vielmehr eine Mischform dar.
Die Differenzierung nach Koch/Oesterreicher in mediale und konzeptionelle Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit hilft dabei, den Chat genauer zu verorten. Medial meint hier das Medium, über welches Sprache vermittelt wird. Konzeptionell hingegen bezeichnet den Duktus oder die Modalität der sprachlichen Äußerung. In medialer Hinsicht kann der Chat eindeutig der Schriftlichkeit zugeordnet werden, da die Teilnehmer ihre Beiträge eintippen und nicht aussprechen. Konzeptionell ist die Chat-Kommunikation eher am Nähe-/ Mündlichkeitspol anzusiedeln. So kann der Chat als schriftlich konstituierter Diskurs oder vereinfacht gesagt als getipptes Gespräch bezeichnet werden.
Auf einer Skala, die die Synchronie der Konversation beschreibt, ist der Chat eher mittig anzusiedeln. Im Gegensatz zum absolut synchronen face-to-face-Gespräch, das interaktiv und simultan verläuft, aber auch im Vergleich zur asynchronen Kommunikation durch schriftliche Textdokumente, die wie beispielsweise in Zeitungsartikeln zeitlich zerdehnt stattfindet, ist der Chat erneut eine Mischform und kann deshalb als quasi-synchron bezeich-net werden. Die Teilnehmer befinden sich in räumlicher Distanz zueinander, unterhalten sich wegen der zeitlichen Nähe aber interaktiv, obwohl sie schriftlich kommunizieren. Dadurch werden Produktions- und Äußerungsakt einer Aussage jedoch getrennt, wobei der Produktionsakt vom Chatpartner nicht einsehbar ist. Die Teilnehmer tauschen untereinander also bereits fertige Äußerungsprodukte aus, deren Entstehungsvorgang vom Partner nicht nachvollzogen werden kann.
Durch die Schnelllebigkeit im Zeitalter des Internets verändern sich die Kommunikationsformen und so auch die Möglichkeiten der Chat-Kommunikation ständig. Nahezu alle sozialen Netzwerke, wie zum Beispiel Facebook, Skype oder WhatsApp, bieten die Möglichkeit mit einzelnen Personen oder in der Gruppe zu kommunizieren. In den genannten Beispielen kennen sich die Gesprächspartner meistens.
Der Analyse dieser Arbeit liegt allerdings eine andere Form von Chat zugrunde, der Plauderchat, in dem sich mehrere Teilnehmer, die sich nicht persönlich kennen, unter Pseudonymen über beliebige Themen unterhalten. Dieser Chatverlauf wird hier mit den Kriterien der Gesprächsanalyse untersucht.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung und Vorstellung des Materials
2 Analyse der Kommunikationssituation
2.1 Soziale Voraussetzungen
2.2 Setting und Situation
2.2.1 Ort und Zeit
2.2.2 Personen und soziale Rollen
2.2.3 Intentionen
2.3 Sprachbezogene Merkmale
2.3.1 Einzelsprachen
2.3.2 Soziale Stile
2.4 Gesprächsziel
2.4.1 Funktion und Ziel
2.4.2 Teilziele
3 Konversationsanalyse
3.1 Makroebene
3.1.1 Gespräch zwischen cricri59 und pimpim
3.1.2 Gespräch zwischen loveurpourmaloveuse und sarah59
3.1.3 Gespräch zwischen bichon und louloutte62
3.1.4 Gespräch zwischen audreyy und bichon
3.2 Mittlere Ebene
3.2.1 Gesprächsschritt (turn)
3.2.2 Sprecherwechsel (turn-taking)
3.2.3 Sequenzierung
3.2.4 Sprechakt/Hörverstehensakt
3.2.5 Gliederungssignale, Turn-taking-Signale
3.2.6 Back-channel-behaviour
3.3 Mikroebene
3.3.1 Syntax und Grammatik
3.3.2 Auffälligkeiten in der Rechtschreibung
3.3.3 Ausdruck von Emotionen
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Einleitung und Vorstellung des Materials
Die Chat-Kommunikation kann weder eindeutig einem schriftlichen Dokument, noch einem mündlichen Gespräch zugeordnet werden, sondern stellt vielmehr eine Mischform dar. Die Differenzierung nach Koch/Oesterreicher (1994: 587ff.) in mediale und konzeptionelle Schriftlichkeit bzw. Mündlichkeit hilft dabei, den Chat genauer zu verorten. Medial meint hier das Medium, über welches Sprache vermittelt wird. Konzeptionell hingegen bezeichnet den Duktus oder die Modalität der sprachlichen Äußerung. (vgl. Storrer 2001a: 445ff.) In me- dialer Hinsicht kann der Chat eindeutig der Schriftlichkeit zugeordnet werden, da die Teil- nehmer ihre Beiträge eintippen und nicht aussprechen. Konzeptionell ist die Chat- Kommunikation eher am Nähe-/ Mündlichkeitspol anzusiedeln. So kann der Chat als schrift- lich konstituierter Diskurs oder vereinfacht gesagt als getipptes Gespräch bezeichnet werden (vgl. Storrer 2001a: 462f.).
Auf einer Skala, die die Synchronie der Konversation beschreibt, ist der Chat eher mittig anzusiedeln. Im Gegensatz zum absolut synchronen face-to-face-Gespräch, das interaktiv und simultan verläuft, aber auch im Vergleich zur asynchronen Kommunikation durch schriftliche Textdokumente, die wie beispielsweise in Zeitungsartikeln zeitlich zerdehnt stattfindet, ist der Chat erneut eine Mischform und kann deshalb als quasi-synchron bezeichnet werden. Die Teilnehmer befinden sich in räumlicher Distanz zueinander, unterhalten sich wegen der zeitli- chen Nähe aber interaktiv, obwohl sie schriftlich kommunizieren. Dadurch werden Produkti- ons- und Äußerungsakt einer Aussage jedoch getrennt, wobei der Produktionsakt vom Chat- partner nicht einsehbar ist. Die Teilnehmer tauschen untereinander also bereits fertige Äuße- rungsprodukte aus, deren Entstehungsvorgang vom Partner nicht nachvollzogen werden kann. (vgl. Spelz 2009: 41f.)
Durch die Schnelllebigkeit im Zeitalter des Internets verändern sich die Kommunikations- formen und so auch die Möglichkeiten der Chat-Kommunikation ständig. Nahezu alle sozia- len Netzwerke, wie zum Beispiel Facebook, Skype oder WhatsApp, bieten die Möglichkeit mit einzelnen Personen oder in der Gruppe zu kommunizieren. In den genannten Beispielen kennen sich die Gesprächspartner meistens. Der Analyse dieser Arbeit liegt allerdings eine andere Form von Chat zugrunde, der Plauderchat, in dem sich mehrere Teilnehmer, die sich nicht persönlich kennen, unter Pseudonymen über beliebige Themen unterhalten (vgl. Beißwenger 2007: 83). Der vorliegende Ausschnitt aus einem Chat-Protokoll stammt aus dem Korpus von Rolf Kailuweit, den er 2009 für seinen Artikel „Konzeptionelle Münd- lichkeit!? Überlegungen zur Chat-Kommunikation anhand französischer, italienischer und spanischer Materialien“ anlegte. Das Material dazu entnahm er aus drei von ihm betreuten Abschlussarbeiten. Der in der vorliegenden Arbeit untersuchte Chatverlauf wurde 2005 von Kristina Burgert auf dem Kanal www.chat-land.org aufgezeichnet. (vgl. Kailuweit 2009: 2) Ziel der Arbeit ist es, zunächst die externe Kommunikationssituation zu beschreiben und darauffolgend das Gespräch anhand von verschiedenen Kategorien der Gesprächsanalyse zu untersuchen. Zudem soll festgestellt werden, ob diese Kategorien, die zur Analyse von münd-lichen Gesprächen verwendet werden, in gleicher Weise auf die Chat-Kommunikation ange-wandt werden können. Die Analysekriterien entstammen den Werken Linguistische Ge-sprächsanalyse. Eine Einführung. (Brinker/Sager 2010) und Einführung in die Gesprächs-analyse. (Henne/Rehbock 2001).
2 Analyse der Kommunikationssituation
2.1 Soziale Voraussetzungen
Der untersuchte Ausschnitt aus einem Chat-Verlauf stammt aus dem Chatroom Chat-Land (www.chat-land.org). Es handelt sich um einen unmoderierten Chat, in dem sich die beteilig- ten Personen über beliebige und selbstgewählte Freizeitthemen unterhalten. Um dem Chatroom beitreten zu können und am Gespräch teilzunehmen, benötigen alle beteiligten Personen sowohl Computer- als auch Internetzugang.
2.2 Setting und Situation
2.2.1 Ort und Zeit
Der vorliegende Chatverlauf wurde am 22.12.2005 aufgezeichnet. Die Uhrzeit ist nicht bekannt, jedoch lässt sich aus der folgenden Sequenz schließen, dass die Konversation am späteren Abend stattfindet. bichon fragt louloutte62, ob diese(r) noch nicht im Bett ist. Daraufhin antwortet louloutte62, dass er/sie Ferien hat.
[1] (14) bichon> louloutte62> pas encore
(16) bichon> louloutte62> au lit
(19) louloutte62> bichon> bah non c les vacances lol
Die Situation in Chats unterscheidet sich sowohl von der eines normalen face-to-face- Gesprächs als auch von der eines geschriebenen Textes. Es lässt sich hier von einer doppelten Situation sprechen, da einerseits die Realität, andererseits die virtuelle Welt im Chatroom eine Rolle spielen. Die realen Personen sitzen gleichzeitig, aber jeweils an verschiedenen Orten vor ihren Computern, es herrscht also zeitliche Kopräsenz und räumliche Trennung vor. Im Chatroom jedoch interagieren die Personen in raum-zeitlicher Kopräsenz, so befinden sich die Gesprächspartner zur gleichen Zeit gefühlt am selben Ort, nämlich im virtuellen Raum. (vgl. Kailuweit 2009: 6)
Kailuweit vergleicht die Situation der Chat-Kommunikation mit dem Kommunikationssystem im Drama nach Pfister. Dieser beschreibt ein inneres Kommunikationssystem, welches die fiktive Ebene der miteinander kommunizierenden Figuren darstellt, und ein äußeres Kommunikationssystem, das die Kommunikation zwischen Autor und Publikum beschreibt. Allerdings muss beachtet werden, dass es im Chat weder Autor noch Publikum gibt. Auf das Drama bezogen würden im Chat die Schauspieler Texte improvisieren und nicht für ein Publikum, sondern für sich selbst spielen. (vgl. Kailuweit 2009: 7f.)
2.2.2 Personen und soziale Rollen
Es gibt keine zahlenmäßige Beschränkung, wie viele Personen dem Chat-Raum beitreten können. Im vorliegenden Chat-Verlauf sind sieben Personen beteiligt, sechs davon chatten aktiv. Sie alle agieren unter Pseudonymen, über persönliche Merkmale wie Name, Geschlecht oder Alter lassen sich nur Vermutungen anstellen, was in der Anonymität des Internets be- gründet liegt. Die Personen kennen sich untereinander nicht. (vgl. Spelz 2009: 44f.)
Der erste Redebeitrag im vorliegenden Ausschnitt kommt von einer Person, die unter dem Pseudonym „bichon“ aktiv chattet. Der französische Ausdruck bichon bedeutet so viel wie ‘Schoßhündchen᾽. Die zweite agierende Person hat das Pseudonym „cricri59“ gewählt, eine für den Chat typische Kombination aus Wort und Zahl. Cricri kann ‘Grille᾽ oder ‘Zirpen᾽ heißen. Die dritte Person tritt als „loveurpourmaloveuse“ auf. Hier kann aufgrund der männli- chen Form loveur im Gegensatz zur weiblichen Form loveuse überlegt werden, ob diese Per- son männlich ist, was jedoch reine Spekulation bleibt. Über das Pseudonym „pimpim“, unter welchem der vierte Gesprächsteilnehmer interagiert, lässt sich wenig sagen, da der zweimal wiederholte Wortteil „pim“ eher eine lautmalerische als inhaltliche Funktion innehat. Mit dem Pseudonym „sarah59“ kommt der erste Gesprächsteilnehmer ins Spiel, der einen real existie- renden Vornamen in Kombination mit einer Zahl als Chat-Namen verwendet. Man kann da- von ausgehen, dass diese Person weiblich ist und auch im echten Leben Sarah heißt. Das sechste Pseudonym lautet „louloutte62“, wieder eine Kombination aus Wort und Zahl.
Louloute bedeutet ‘Liebling᾽. „audreyy“ ist die letzte beteiligte Person. Genau wie bei sarah59 lässt sich bei ihr darauf schließen, dass sie auch in Wirklichkeit Audrey heißt und somit weiblich ist. Sie ist zudem diejenige, die nur einmal im vorliegenden Ausschnitt einen Redebeitrag verfasst und daraufhin entweder nur mitliest oder offline geht, sich also passiv verhält.
Durch die Wahl des nicknames werden gewisse Rollenerwartungen geweckt. Die Merkmale, die die Assoziationen herbeiführen, werden dabei vom Chatteilnehmer selbst gewählt. Keinesfalls darf jedoch die soziale und personale Identität der hinter den Pseudonymen stehenden Personen mit deren Rolle und Identität im Chat gleichgesetzt werden. Durch die Anonymität im Internet können sich die beiden Identitäten ähneln, sich aber auch völlig unterscheiden. (vgl. Strätz 2011: 67)
Außerdem müssen auch keine sozialen Sanktionen erwartet werden, falls ein Teilnehmer einfach aussteigt oder sich nicht mehr am Gespräch beteiligt, wie oben bei audreyy festgestellt wurde (vgl. Maiworm 2003: 62 f.).
Auch das parallele Teilnehmen an mehreren Gesprächssträngen gilt nicht als unhöflich, sondern eher als Anzeichen von Könnerschaft, da dies Übung und rasches Reaktionsvermögen erfordert (vgl. Storrer 2001b: 8).
2.2.3 Intentionen
Die Teilnehmer wollen sich im Chat am Abend ihre Zeit vertreiben, sie suchen dort Beschäftigung und Unterhaltung. Da sich die Personen untereinander nicht kennen, stellt ein Chatroom auch eine Möglichkeit dar, neue Leute kennen zu lernen (vgl. Storrer 2001b: 5).
Im folgenden Beispiel versucht loveurpourmaloveuse - oben wurde angenommen, dass sich hinter diesem Pseudonym eine männliche Person verbirgt - eine private Konversation mit sarah59 herzustellen, indem er ihr seine private Messenger-Adresse anbietet. Er will sein Gespräch mit sarah59 also intensivieren und sie näher kennenlernen. sarah59 bevorzugt es jedoch, anonym zu bleiben, und das Gespräch mit loveurpourmaloveuse im Chatroom fortzusetzen. (vgl. Kailuweit 2007: 4)
[2] (24) loveurpourmaloveuse> sarah59> comment je peux te donné mon adresse messenger mais pas en public
(28) sarah59> loveurpourmaloveuse> mé on est très bien ici, nan ?
2.3 Sprachbezogene Merkmale
2.3.1 Einzelsprachen
Die im vorliegenden Ausschnitt verwendete Sprache ist Französisch. Mit lol, der Abkürzung für ‘laughing out loud᾽, wird zwar ein englischer Ausdruck verwendet, hierbei handelt es sich aber um einen gängigen Ausdruck in der Chatsprache. Die Teilnehmer wollen damit kein Code-Switching vollziehen, sie wollen also nicht die Kommunikationssprache von Französisch zu Englisch wechseln (vgl. Müller 2015: 11).
Zudem gibt es in Chats einige spezifische Merkmale, so zum Beispiel die Verwendung von Smileys, Emoticons und Abkürzungen. Die sprachlichen Besonderheiten im vorliegenden Chat-Auszug werden bei der Untersuchung der Mikroebene genauer analysiert.
2.3.2 Soziale Stile
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass korrekte Rechtschreibung und Grammatik in Chats eine eher geringe Rolle spielen. Dies weist jedoch nicht auf einen niedrigen Bildungsstatus der beteiligten Personen hin, sondern lässt sich darauf zurückführen, dass beim Tippen der Nachricht möglichst viel Zeit gespart werden muss, um größtmögliche Synchronie herzustellen. Daher werden Akzente, Groß- und Kleinschreibung oder Satzzeichen häufig weggelassen. (vgl. Strätz 2011: 104f.; 120f.)
2.4 Gesprächsziel
2.4.1 Funktion und Ziel
Der vorliegende Ausschnitt ist ein typisches Beispiel für einen Plauderchat (vgl. Beißwenger 2007: 83). Der Chat gibt keine Themenvorgabe und ist zudem nicht mode- riert. Dadurch können sich die Teilnehmer unterhalten, worüber sie wollen. Hier werden vor allem Freizeitthemen angesprochen, da die Personen mit dem Chatten ihren Abend gestalten wollen (vgl. Kailuweit 2007: 6). Außerdem finden sich im Ausschnitt phatische Äußerungen, die der Kontaktaufnahme und dem Austausch mit neuen Leuten dienen (vgl. Storrer 2001b: 5).
[...]