Bis heute wurde weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung ein allgemeingültiger Krisenbegriff entwickelt. Obwohl der Begriff „Krise“ in den Politik- und Geisteswissenschaften, der Rechts- und Kunstwissenschaft als auch in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre Verwendung findet, unterscheidet sich das inhaltliche Verständnis des Begriffs in den einzelnen Disziplinen deutlich. „Unternehmenskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand des gesamten Unternehmens substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung dominanter Ziele, deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung des Unternehmens als selbstständige und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmende Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck- und Zielsetzungen“.
Der § 32a Abs. 1 GmbHG (a. F.) definierte die Krise der Gesellschaft noch als den Zeitpunkt, in dem die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute der Gesellschaft Eigenkapital zugeführt hätten. Zwischenzeitlich ist der § 32a GmbHG (a. F.) außer Kraft gesetzt und wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ersetzt. Die BGH-Rechtsprechung interpretiert die Unternehmenskrise als Vorstufe der Insolvenz und hat, bezugnehmend auf den oben erwähnten § 32a GmbHG (a. F.), die Kredit- und Überlassungsunwürdigkeit als wesentliches Kennzeichen einer beginnenden Unternehmenskrise herausgearbeitet. Kreditunwürdigkeit liegt dann vor, wenn ein außenstehender Dritter dem Unternehmen, in Fall eines konkreten Kapitalbedarfs, keinen Kredit mehr zu marktüblichen Konditionen geben würde und das Unternehmen aus diesem Grund ohne Kapitalzuführung liquidiert werden müsste. Auch bei einer Unterkapitalisierung der Gesellschaft wird Kreditunwürdigkeit angenommen. Dies ist der Fall, wenn mehr als 50 % des Stammkapitals durch Verluste verbraucht wurden.
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Rechtsquellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Präambel
1. Hauptteil
1.1. Definition der Unternehmenskrise
1.2. Definition von Restrukturierung und Sanierung
1.3. Definition von Insolvenz
1.4. Unternehmenskrisen und ihr Verlauf
1.5. Unternehmenskrisen und ihre Ursachen
1.6. Insolvenzgründe im Überblick
1.7. Zahlungsunfähigkeit
1.8. Überschuldung
1.9. Drohende Zahlungsunfähigkeit
Konklusion
Literaturverzeichnis
Evertz, D. & Krystek, U. (2010). Das Management von Restrukturierung und Sanierung. In Evertz, D. & Krystek, U. (Hrsg.). Restrukturierung und Sanierung von Unternehmen. 19-39. Stuttgart Schäffer-Poeschel.
Groß, P. (2013). Zur Abgrenzung der handelsrechtlichen Fortführungsprognose von der insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose. KSI, 2013, 64-69.
Krystek, U. & Moldenhauer, R. (2007). Handbuch Krisen- und Restrukturierungsmanagement. Stuttgart Kohlhammer.
Pape, G. (2009). Der neue insolvenzrechtliche Überschuldungsbegriff. NBW, 2009, 55-63.
Reinhard, F. (2012). Unternehmenskrise und außergerichtliche Sanierung. In Rattunde, R. (Hrsg.). Fachberater für Sanierung und Insolvenzverwaltung (DstV e.V.). 11-50. 2. Aufl. Berlin ESV
Schmid, V. (2012). Insolvenzgründe. In Rattunde, R. (Hrsg.). Fachberater für Sanierung und Insolvenzverwaltung (DstV e.V.). 139-191. 2. Aufl. Berlin ESV
Sikora, K. (2009). Wie erstellt man eine tragfähige Fortführungsprognose. NWB, 2009, 232-239.
Sikora, K. (2012). Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit. NWB, 2012, 308-321.
Stellbrink, J. (2015). Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz von Unternehmen. REST 2/H. Euro-FH, 2015, 1-32.
Rechtsquellenverzeichnis
BGH (2001), Urteil von 17.05.2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155-1157.
BGH (2010), Urteil von 18.10.2010 – II ZR 151/09, DStR 2011, 130-132.
IDW Prüfungsstandard Die Prüfung des Risikofrüherkennungssystems nach § 317 Abs. 4 HGB (IDW PS 800) (2009), IDW-Fachnachrichten 1999, 350 ff.
IDW Prüfungsstandard Beurteilung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen (IDW PS 800) (2009), IDW-Fachnachrichten 2009, 161 ff.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1.1 Verlauf einer Unternehmenskrise aus finanzieller- und erfolgswirtschaftlicher Perspektive.
Abb. 1.2 Zusammenhang zwischen dem Verlauf einer Unternehmenskrise und dem verbleibenden Handlungsspielraum.
Abb. 1.3 Prüfungsschema Zahlungsunfähigkeit.
Abb. 1.4. Prüfungsschema Überschuldung nach der Ursprungsfassung der InsO.
Abb. 1.5. Prüfungsschema Überschuldung nach aktueller Rechtslage
Präambel
Für betroffene Unternehmen ergeben sich oft weitreichende Folgen, falls strategische Krisen nicht rechtzeitig erkannt werden. Ergebnis- und Rentabilitätsziele werden häufig nachhaltig verfehlt und die finanzielle Leistungsfähigkeit der belasteten Unternehmen wird sukzessive ausgeschöpft, bis die letzte Liquidität verbraucht ist. Unternehmenszusammenbrüche haben stets eine Vielzahl von negativen Konsequenzen für eine große Zahl von Stakeholdern des Unternehmens, beispielsweise die Mitarbeiter, die Gläubiger und die Gesellschafter. Falls nicht lebensfähige Unternehmen zusammenbrechen, ergeben sich aus diesen Umständen grundsätzlich Mechanismen einer Marktbereinigung, die im Sinne einer funktionierenden Marktwirtschaft erfolgt. Handelt es sich allerdings um ein lebensfähiges Unternehmen, so sind die Konsequenzen des Unternehmenszusammenbruchs volkswissenschaftlich nicht wünschenswert[1]. Bis zum Ende des Jahres 1998 galt das Konkursrecht, in dem ein Konkursantrag grundsätzlich mit der Zerschlagung des Unternehmens gleichbedeutend war. Im Jahr 1999 wurde mit der Insolvenzordnung ein Paradigmenwechsel eingeleitet, denn von nun an war die Grundidee diejenige, eine Fortführung des Unternehmens zu ermöglichen, vorausgesetzt das Unternehmen gilt als überlebensfähig. Durch das ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) kam es im Jahr 2012 zu einer weiteren Reform des Insolvenzrechts, die Mängel des bisherigen Rechtsrahmens behoben hat und somit die Möglichkeit einer Sanierung und Unternehmensfortführung innerhalb des gerichtlichen Insolvenzverfahrens stärkte. Bei einer Früherkennung von Unternehmenskrisen ist es auch denkbar, die Möglichkeit einer Restrukturierung oder Sanierung, auch außerhalb von gerichtlichen Insolvenzverfahren, zu nutzen.
1. Hauptteil
1.1. Definition der Unternehmenskrise
Bis heute wurde weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung ein allgemeingültiger Krisenbegriff entwickelt. Obwohl der Begriff „Krise“ in den Politik- und Geisteswissenschaften, der Rechts- und Kunstwissenschaft als auch in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre Verwendung findet, unterscheidet sich das inhaltliche Verständnis des Begriffs in den einzelnen Disziplinen deutlich.
„Unternehmenskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand des gesamten Unternehmens substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung dominanter Ziele, deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung des Unternehmens als selbstständige und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmende Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck- und Zielsetzungen“[2].
Der § 32a Abs. 1 GmbHG (a. F.) definierte die Krise der Gesellschaft noch als den Zeitpunkt, in dem die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute der Gesellschaft Eigenkapital zugeführt hätten. Zwischenzeitlich ist der § 32a GmbHG (a. F.) außer Kraft gesetzt und wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ersetzt. Die BGH-Rechtsprechung interpretiert die Unternehmenskrise als Vorstufe der Insolvenz und hat, bezugnehmend auf den oben erwähnten § 32a GmbHG (a. F.), die Kredit- und Überlassungsunwürdigkeit als wesentliches Kennzeichen einer beginnenden Unternehmenskrise herausgearbeitet. Kreditunwürdigkeit liegt dann vor, wenn ein außenstehender Dritter dem Unternehmen, in Fall eines konkreten Kapitalbedarfs, keinen Kredit mehr zu marktüblichen Konditionen geben würde und das Unternehmen aus diesem Grund ohne Kapitalzuführung liquidiert werden müsste[3].
Auch bei einer Unterkapitalisierung der Gesellschaft wird Kreditunwürdigkeit angenommen. Dies ist der Fall, wenn mehr als 50 % des Stammkapitals durch Verluste verbraucht wurden.
1.2. Definition von Restrukturierung und Sanierung
Obwohl die Begriffe „Restrukturierung“ und „Sanierung“ in der betriebswirtschaftlichen Literatur häufig als Synonyme Verwendung finden, unterscheiden sie sich in ihrer inhaltlichen Bedeutung, bei näherer Betrachtung, ganz wesentlich.
Eine Restrukturierung bedeutet eine Anpassung der Unternehmensstruktur an sich verändernde Marktgegebenheiten[4]. Als Abgrenzungsmerkmal zur Sanierung ist anzuführen, dass eine Restrukturierung noch keine akute Unternehmenskrise voraussetzt und vielmehr bereits in frühen Phasen des Krisenprozesses oder gänzlich krisenunabhängig zum Einsatz kommt. Restrukturierungsmaßnahmen sind in frühen Phasen eines Krisenprozesses angesiedelt, sodass mögliche Krisenherde beseitigt werden können, bevor sie Konsequenzen auf das Unternehmen haben. Insofern ergeben sich für die Akteure im Restrukturierungsfall auch noch größere Handlungsspielräume.
Im Gegensatz hierzu setzt eine Sanierung in späteren und akuteren Krisenstadien ein, sofern die Unternehmenskrise noch beherrschbar ist[5]. Die Sanierung ist die Rettung eines Unternehmens im akuten Krisenfall, in deren Rahmen es zur Wiederherstellung von nachhaltiger Ertragskraft und Renditefähigkeit kommen soll. Eine Sanierung im engeren Sinne umfasst nur finanzwirtschaftliche Maßnahmen, während eine Sanierung im weiteren Sinne auf die Gesamtheit aller führungsorientierten, organisatorischen, finanz,- leistungs- und sozialwirtschaftlichen Maßnahmen gerichtet ist. Eine Sanierung kann sowohl außergerichtlich, vor dem Eintreten der Insolvenz, als auch in Rahmen eines Insolvenzverfahrens durchgeführt werden.
1.3. Definition von Insolvenz
Eine Insolvenz drückt sich durch die Insolvenzantragsgründe aus, die in den §§ 17 bis 19 InsO geregelt sind und bezeichnet sie Situation eines Schuldners, in der dieser seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den Gläubigern nicht mehr nachkommen kann. Einer Insolvenz geht meist eine Unternehmenskrise voraus, doch nicht jede Unternehmenskrise mündet in einer Insolvenz, da außergerichtliche Sanierungen denkbar sind.
1.4. Unternehmenskrisen und ihr Verlauf
Unternehmenskrisen sind schleichende Prozesse, häufig durch strategische Schwächen ausgelöst, die regelmäßig auftreten und zum normalen Entwicklungsprozess eines Unternehmens gehören. Im Regelfall sollten Unternehmenskrisen mit einem gewissen Vorlauf vorhersehbar und beherrschbar sein. Die Realität allerdings zeigt, dass Entscheidungsträger, durch ihre subjektive Wahrnehmung und begrenzte Rationalität gesteuert, krisenhafte Entwicklungen nicht oder nicht rechtzeitig erkennen können und Unternehmenskrisen häufig als unabwendbare und plötzlich auftretende Ereignisse darstellen, die durch ungünstige Entwicklungen der unternehmensexternen Rahmenbedingungen eingetreten sind[6].
Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) hat mit dem Standard S6 „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten“ die verschiedenen Stadien einer Krise unter finanz- und erfolgswirtschaftlicher Perspektive dargestellt. Die nachfolgenden Krisenstadien lassen sich demnach differenzieren
Abb. 1.1 Verlauf einer Unternehmenskrise aus finanzieller- und erfolgswirtschaftlicher Perspektive[7].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die Abbildung wird deutlich veranschaulicht, dass die einzelnen Krisenstadien regelmäßig in einer zeitlichen Abfolge auftreten, wobei sich mit fortgeschrittenem Zeitablauf und fortschreitendem Krisenstadium die Unternehmenskrise zunehmend zu einer Gefährdung, in Bezug auf den Unternehmensfortbestand, entwickelt. Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen sind nur dann zur nachhaltigen Insolvenzabwendung geeignet, wenn sich die Ursächlichkeit der Unternehmenskrise in den vorgelagerten Krisenstadien befindet.
Die Stakeholderkrise kennzeichnet sich durch dauerhafte Konflikte zwischen den Stakeholdern mit Auswirkung auf das Führungsverhalten, sodass es zu Blockaden kommt und wesentliche Entscheidungen aufgeschoben werden. Zu den Stakeholdern werden vor allem die Mitglieder der Unternehmensleitung und der Überwachungsorgane sowie Gesellschafter, Arbeitnehmer, Kreditinstitute und andere Gläubiger gerechnet. Das Unternehmensleitbild ist hier des Öfteren schon überholt oder steht zur Diskussion, die Unternehmenskultur wird nicht mehr gelebt und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter sinkt. Da in einem solchen Umfeld dolose Handlungen begünstigt werden, erhöht sich die Gefahr von Täuschungen und Vermögensschädigungen. In diesem Stadium der Krise zweifeln Stakeholder häufig daran, dass die Organe der Gesellschaft noch dazu befähigt sind, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Eine Stakeholderkrise geht vielmals mit einer Vertrauenskrise einher.
Eine Strategiekrise gilt als häufige Folge der Stakeholderkrise und äußert sich oft durch eine mangelhafte Kundenorientiertheit des Unternehmens. Mängelbehaftete Analysen bezüglich der relativen Marktstellung des Unternehmens, im Vergleich zum Wettbewerb, bilden oft den Ursprungspunkt der Strategiekrise, denn die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens ist von der Wettbewerbssituation der maßgeblichen Branche abhängig und wird durch die Branchenstruktur mit ihren Akteuren, Verhaltensmustern und Geschäftspraktiken möglicher Markttendenzen zur horizontalen und vertikalen Kooperation sowie durch die Marktphase (expandierender oder stagnierender Markt) an sich geprägt[8]. Liegt bei der Wettbewerbssituation eine nachhaltige Fehleinschätzung vor, so kann das ein nicht marktkonformes Produktportfolio, Verfahrenstechniken von Ineffizienz sowie unangemessene Investitions- und Desinvestitionsentscheidungen zur Konsequenz haben. Mittel- bis langfristig führen solche Umstände zu einem folgeschweren Verlust von Marktanteilen. Langfristig gestörte Erfolgsfaktoren und damit einhergehend die negative Beeinflussung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens, sind eine mögliche Definition der Strategiekrise.
Äußeres Anzeichen einer Produkt- und Absatzkrise ist ein Nachfragerückgang nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern, sofern dieser nicht lediglich auf saisonalen oder temporären Nachfrageausfällen beruhen[9]. Ansteigende Vorratsbestände und damit einhergehend eine höhere Kapitalbindung (Working Capital) sind typisch für diese Krisenphase. In der Regel werden vorhandene Produktionskapazitäten nicht mehr angemessen ausgelastet, sodass sich Ergebnisrückgänge einstellen. Verantwortlich für diese Entwicklung können unzureichende Marketing- und Vertriebskonzepte, falsche Entscheidungen zur Produkt- und Preispolitik, Qualitätsprobleme sowie mangelnde Liefertreue sein.
Zwangsläufig kommt es im nächsten Stadium zu einer Erfolgskrise, sofern in vorgelagerten Krisenphasen nicht erfolgreich entgegengesteuert wurde. Kennzeichen sind eine rückläufige Rendite des Unternehmens bis hin zu Verlusten, gefolgt von einer Reduzierung des Eigenkapitals bis zur Gefahr einer Überschuldungssituation. Konsequenz einer sinkenden Eigenkapitalquote ist auch eine sinkende Kreditwürdigkeit des Unternehmens. Neben möglichen Maßnahmen der Innenfinanzierung kann in diesem Krisenstadium eine Zahlungsfähigkeit im Regelfall nur noch durch Kapitalzuführung durch die Gesellschafter des Unternehmens sichergestellt werden. Gegebenenfalls sind auch Änderungen in der Gesellschafterstruktur von Nöten.
Wesentliche Krisensymptome in dieser Phase sind beispielhaft[10]
- Verschlechterung der Bilanzkennzahlen,
- Anwendung „kreativer“ Bilanzierungsmethoden,
- Änderungen bei Ansatz- und Bewertungswahlrechten,
- Anstieg der sonstigen betrieblichen Erträge durch Aufdeckung von stillen
- Anstieg der Lieferantenforderungen und- Verbindlichkeiten bei einer Ausweitung der Zahlungsziele,
- Zunahme von Off-Balance-Finanzierungen (bspw. Leasing),
- Zunehmende Ausnutzung der Kreditlinie,
- Rückläufige Skontoerträge.
Unmittelbar auf die Erfolgskrise folgt die Liquiditätskrise, in der eine akute Gefahr der Zahlungsunfähigkeit besteht. Krisenverstärkende Finanzierungsstrukturen offenbaren sich häufig zum Beispiel in Form einer Fristeninkongruenz zwischen Kapitalbindung und Kapitalbereitstellung und Klumpenrisiken in der Fälligkeitsstruktur von Finanzierungen, sodass sich hieraus ein kurzfristig zu refinanzierendes Finanzierungsvolumen in nennenswertem Umfang ergeben kann[11]. Auch heterogene Interessensgruppen unter den Fremdkapitalgebern können sich herausbilden, die beispielsweise aus unterschiedlichen Besicherungen bedingt sind.
Denkbare Anzeichen für eine Liquiditätskrise sind etwa[12]
- Änderung des Zahlungsverhaltens (keine Skontoausnutzung, Überschreitung von Zahlungszielen),
- Erhöhung der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Anstieg der Kreditorenlaufzeit,
- Abschluss von Stundungsvereinbarungen mit Gläubigern,
- Vollständige Ausnutzung/Überziehung von Kreditlinien,
- Geringe Investitionstätigkeit, Investitionsstau,
- Leistungskürzungen (z.B. Streichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld),
- Kündigung von Kreditlinien und Lieferkontrakten.
Die Insolvenzreife tritt bei einer sich verschärfenden Liquiditätskrise ein, d.h. wenn sich eine Zahlungsunfähigkeit einstellt. Auch im Fall einer negativen Fortführungsprognose kommt es zur Insolvenzreife, wenn die im Überschuldungsstatur zu erfassenden Vermögenswerte die korrespondierenden Schulden nicht mehr decken können.
Obwohl eine Differenzierung der Stakeholder- von der Strategiekrise grundsätzlich methodisch begründbar ist, wird diese Abgrenzung in der Praxis, mangels trennscharfer Kriterien, häufig nicht vorgenommen. Vielmehr werden diese Phasen oftmals in Kombination als Strategiekrise betrachtet. Gleiches gilt für die Produktions-, Absatz-, und Erfolgskrise, denn diese Krisenstadien werden oftmals als Ertragskrise oder operative Krise betitelt.
Neben der obigen Darstellung aus finanz- und leistungswirtschaftlichen Blickwinkeln, kann der Krisenverlauf auch aus der Perspektive der subjektiven Wahrnehmung durch die Stakeholder betrachtet werden. Im Falle einer solchen Betrachtungsweise ist zwischen der latenten Krise und der manifesten Krise zu differenzieren.
Ein Charakteristikum der latenten Krise ist es, dass der Unternehmensleitung die Krise grundsätzlich bereits bewusst ist, jedoch diese noch nicht so weit vorangeschritten ist, dass sie in den Wahrnehmungsbereich der übrigen Stakeholder gelangen kann. Durch eine gezielte Informationspolitik lassen sich die Krisenphasen der strategischen Krise und auch Teile der operativen Krise noch für einen gewissen Zeitraum verbergen. Doch die reale wirtschaftliche Situation des Unternehmens wird mit zunehmender Länge der operativen Krise immer deutlicher erkennbar. Von einer manifesten Krise wird dann gesprochen, wenn die Krise auch außenstehenden Stakeholdern, d.h. in der Regel den Kreditinstituten und den übrigen Gläubigern, bekannt wir und dieser Umstand tritt spätestens in der Phase der Liquiditätskrise ein.
Das Management, dass über das relevante Wissen bezüglich der Märkte, Technik, Organisation und über die Entwicklung der Vermögens,- Finanz, und Ertragslage des Unternehmens verfügt, sollte in aller Regel dazu befähigt sein, krisenhafte Entwicklungen in frühen Phasen zu erkennen und diesen Entwicklungen entgegenzusteuern. Problematischer Weise führen psychologische Faktoren gehäuft dazu, dass die Krisensituation von der Unternehmensleitung nicht bzw. nicht richtig wahrgenommen wird und die Entscheidungsträger aus diesem Grund kritische Krisenimpulse entweder unbewusst übersehen, verdrängen, vergessen oder bewusst verzerren[13].
Weiterhin ist für den Verlauf einer Unternehmenskrise zudem charakteristisch, dass sich der Handlungsspielraum in den einzelnen Krisenstadien bis zur Annäherung an die Insolvenzreife sukzessiv verringert. In der strategischen Krise ist der Handlungsspielraum noch vergleichsweise groß, sodass eine Krise bei frühzeitiger Erkennung mit Restrukturierungsmaßnahmen bekämpft und überwunden werden kann. Im Rahmen der operativen Krise fällt der Handlungsspielraum zunehmend geringer aus. Sobald sich die Situation derart zugespitzt hat, dass eine Liquiditätskrise eingetreten ist, haben die Entscheidungsträger regelmäßig nur noch eine geringe Entscheidungsfreiheit. Häufig wird es dann erforderlich, finanzielle Mittel über Kapitalmaßnahmen zuzuführen, die auch oftmals mit Eingriffen in die Eigentümerstruktur verbunden sind.
Die folgende Abbildung fasst den Verlauf einer Unternehmenskrise aus den verschiedenen Perspektiven zusammen[14]
Abb. 1.2 Zusammenhang zwischen dem Verlauf einer Unternehmenskrise und dem verbleibenden Handlungsspielraum.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] vgl. Euro-FH, REST 2/H, S. 1
[2] Krystek & Moldenhauer, 2007, S. 26
[3] vgl. Reinhardt, 2012, S. 15
[4] vgl. Evertz & Krystek, 2010, S. 29
[5] vgl. Evertz & Krystek, 2010, S. 30
[6] vgl. Reinhardt, 2012, S 25 f.
[7] vgl. Reinhardt, 2012, S. 26
[8] vgl. Euro-FH, REST 2/H, S. 7
[9] vgl. Euro-FH, REST 2/H, S. 8
[10] vgl. Reinhardt, 2012, S. 43
[11] vgl. Euro-FH, REST 2/H, S. 8
[12] vgl. Reinhardt, 2012, S. 43
[13] vgl. hierzu im Detail Reinhardt, 2012, S. 30 f.
[14] vgl. Reinhardt, 2012, S. 32