Diese Hausarbeit zielt darauf ab, die Bibelstelle Markus 4, 35-41 detailliert zu analysieren und ihre Relevanz für die heutige Zeit, insbesondere im Bildungskontext, zu beleuchten. Durch eine gründliche Exegese wird zunächst der Kontext der Bibelstelle untersucht, gefolgt von einer strukturierten Interpretation und einer anschließenden Anwendung in einem modernen Unterrichtskonzept.
Die Arbeit beginnt mit einer tiefgehenden Exegese. Hierbei wird der Mikrokontext der Bibelstelle im Rahmen des Markusevangeliums beleuchtet, eine strukturierte Gliederung der sechs Verse vorgenommen und eine kritische Literaturanalyse durchgeführt. Die Gattung des Textes wird ebenfalls untersucht, bevor spezifische Begriffe geklärt werden. Im Anschluss daran wird die Interpretation des Textes vorgestellt, die eine Brücke zur modernen Anwendung schlägt. Die Arbeit schließt mit der Entwicklung eines Unterrichtsentwurfs, der die Gegenwartsbedeutung der Bibelstelle für heutige Lernende hervorhebt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Abschrift der Bibelstelle: Markus 4, 35-41 (Luther 2017)
3. Analyse des Textes
3.1 Abgrenzung und Kontext
3.2 Ausformulierte Gliederung des Textes
3.3 Abgrenzung von Tradition und Redaktion (Literarkritik)
3.4 Gattungsbestimmung der vormarkinischen Überlieferung
3.5 Begriffsbestimmung bzw. religionsgeschichtliche Analyse
3.5.1 Glaube im Alten Testament
3.5.2 Glaube im Neuen Testament
4. Interpretation
4.1 Interpretation der vormarkinischen Überlieferung
4.2 Interpretation des markinischen Textes
4.2.1 Interpretation des Textes an sich
4.2.2 Interpretation des Textes im theologischen Gesamtrahmen
5. Unterrichtsentwurf mit Gegenwartsbezug
5.1 Bedingungsanalyse
5.2 Didaktische Analyse mit expliziten Ziel- und Kompetenzformulierungen
5.2.1 Stunden- und Reihenplanung
5.2.2 Tabelle zur ausgewählten Unterrichtsstunde
5.3 Methodische Analyse
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Hausarbeit verfolgt das Ziel, die Bibelstelle Markus 4, 35-41 einerseits exegetisch zu untersuchen und andererseits, die Gegenwartsbedeutung dieses biblischen Textes am Beispiel eines Unterrichtsentwurfs aufzuzeigen. Dafür werde ich zunächst, im Zuge der Exegese, eine ausführliche Analyse der Bibelstelle darlegen. Anschließend erfolgt die Interpretation des Textes, bevor ich dann abschließend zum Unterrichtsentwurf und der Gegenwartsbedeutung komme.
2. Abschrift der Bibelstelle: Markus 4, 35-41 (Luther 2017)
35 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren.
36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nicht danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
3. Analyse des Textes
In der folgenden Analyse der Bibelstelle geht es zunächst darum, dass der Kontext der Bibelstelle von mir herausgearbeitet werden soll. In welchem Mikrokontext ist der Text aus Markus 4, 35 – 41 verortet und welchen Stellenwert nimmt er im Gesamtwerk des Markusevangeliums ein? Weiterhin werde ich die sechs Verse in eine sinnvolle Gliederung bringen und danach eine Literarkritik vornehmen. Anschließend beschäftige ich mich mit der Gattung des Textes, bevor ich abschließend eine Begriffsbestimmung darlege.
3.1 Abgrenzung und Kontext
Der zu analysierende Bibeltext lässt eine klare Unterscheidung zu seinem unmittelbaren Kontext erkennen und ist daher als sinnvoller Teiltext zu bezeichnen. Es ist sowohl eine Abgrenzung nach vorne (V. 35) festzustellen, als auch zum Ende (V.41). Der Vers 35 stellt zwar eine Fortsetzung von Vers 34 dar, indem gesagt wird „Und am Abend desselben Tages […] “, jedoch beginnt mit der Aufforderung Jesu an seine Jünger das andere Ufer anzusteuern, zweifelsohne eine neue Erzählung. Auch hat das Gleichnis vom Senfkorn, welches die Verse 30-34 darstellt, einen klaren Abschluss mit Vers 34 gefunden. Nach hinten hingegen stellt der Beginn des fünften Kapitels, der Ankunft der Beteiligten am anderen Ufer, eine Abgrenzung dar. Hier beginnt eine neue Erzählhandlung, die mit der Sturmstillung aus unserem Text nichts mehr zu tun hat.
Die Erzählung von der Sturmstillung ist die erste von insgesamt vier Wundererzählungen in den Kapiteln vier und fünf.1 Nach Udo Schnelle2 lässt sich unser Bibeltext in das erste Drittel des Markusevangeliums verorten, welches er „Jesu Wirken innerhalb und außerhalb Galiläas“ nennt. In diesem Teil des Evangeliums finden wir unter Anderem Erzählungen zum ersten Wirken Jesu, Streitgespräche und Berichte von Heilungen. Unmittelbar vor der Erzählung der Sturmstillung lassen sich einige Gleichnis-Erzählungen von Jesus finden. Nach Schnelle bilden die Kapitel acht bis zehn das zweite Drittel, welches er „Jesu Weg zur Passion“ betitelt. Hier sind insbesondere die Leidensankündigen Jesu als zentrale Inhalte zu nennen. Das letzte Drittel „Jesus in Jerusalem“ beginnt mit dem Einzug Jesu in Jerusalem und endet mit dem Erscheinen von Jesus, der gekreuzigt wurde und drei Tage später wieder auferstanden ist.
3.2 Ausformulierte Gliederung des Textes
Bei der Gliederung der Bibelstelle aus Mk. 4, 35-41 orientiere ich mich sinnvollerweise auch an den Wundererzählungen, welche uns unmittelbar nach der Erzählung der Sturmstillung im Markusevangelium vorliegen.
Die Verse 35 und 36 stellen den vorbereitenden bzw. einleitenden Teilabschnitt, auch Exposition genannt, dar. So äußert Jesus zu Beginn des Abschnitts den Wunsch, dass die Jünger ihn und sie an das andere Ufer bringen sollten. Markus nennt die Jünger in V. 35 nicht explizit, aber anhand von V. 34 lässt sich feststellen, dass Markus sie definitiv meint. Die Jünger Jesu folgten diesem Wunsch und setzten zum anderen Ufer über. Damit ist die Exposition abgeschlossen und stellt, eine für den Leser, gut nachvollziehbare Ausgangssituation dar, welche das folgende Geschehen einleitet.
Die Verse 37 und 38 bereiten die eigentliche Wunderhandlung Jesu, welche in Vers 39a beschrieben wird, vor. So berichtet uns Markus in V. 37 von einem aufkommenden Sturm, der hohe Wellen verursachte und drohte das Boot zu versenken. V. 38 beschreibt zunächst das Verhalten von Jesus, welcher im hinteren Teil des Bootes schlief - also komplett passiv war - und die darauffolgende Aktivität der Jünger. Diese bekamen Angst aufgrund der unsicheren Situation und weckten Jesus auf. Sie fragten ihn, ob es ihm egal wäre was mit ihnen passieren würden, weil er doch schlief. Der Abschluss des Verses 38 lässt darauf schließen, dass Jesus aktiv wird und eine Reaktion auf die Fragen bzw. Anschuldigungen der Jünger gibt.
In Vers 39, zumindest in dem ersten Teil des Verses, lesen wir, wie Jesus nicht mit Worten auf die Jünger reagierte, sondern das Wunder vollzieht bzw. durchführt. Damit hat Vers 39a die Funktion der Durchführung des Wunders inne. Er, so beschreibt es die Lutherbibel, „bedrohte“ den Wind und befahl dem Meer, dass es „verstumme und schweige“. Im zweiten Teil des Verses 39 wird seine Macht demonstriert, indem der Text sagt, dass auf den Befehl Jesu hin, sich der Wind legte und eine Stille auf dem Meer einkehrte. Noch hat Jesus sich nicht konkret an die Jünger gewandt. Dies erfolgt erst in den folgenden Versen.
Die Verse 40 und 41 stellen den Abschluss der Erzählung dar und gleichen einer Auswertung des bisher Geschehenen. So stellt Jesus den Jüngern die Frage, warum sie denn so eine Angst während des Sturms hatten und ob sie überhaupt schon einen Glauben hätten. Die Reaktion der Jünger in dieser Erzählung ist (Ehr-)Furcht und die Frage danach, wer dieser Jesus eigentlich ist, dem Wind und Wellen gehorchen. Mit dieser Reaktion endet die Erzählung.
3.3 Abgrenzung von Tradition und Redaktion (Literarkritik)
Die Literarkritik geht der Frage nach, ob es für den vorliegenden Text schriftliche Vorstufen (vormarkinische Texte) gibt. Diese Texte könnten von Markus umgestaltet oder ergänzt worden sein. Auch eine Kombination von beidem ist möglich. Durch diese drei möglichen Veränderungen ergibt sich das Markusevangelium (markinisch), wie wir es heute vorliegen haben. Die vorliegende Erzählung von der Stillung des Sturmes in Markus 4, 35-41 lässt darauf schließen, dass Markus den vormarkinischen Text verändert hat, indem er Ergänzungen vornahm.
Rudolf Pesch3 nimmt an, dass die Exposition in den Versen 35 -36 „redaktionell bearbeitet wurde“4, eine Rekonstruktion des vormarkinischen Textes jedoch nicht möglich sei. Joachim Gnilka5 geht davon aus, dass sowohl Vers 35 und die erste Hälfte von Vers 36 markinisch seien.6 Einige Kommentatoren gehen davon aus, dass die Einleitung von V. 35 „Und am Abend desselben Tages“, durch Markus hinzugefügt worden ist, um klar zu machen, dass jetzt eine neue Erzählung beginnt, und um diese auszuschmücken und gut lesbar zu machen. Diese Argumentation erachte ich als schlüssig und denke, dass diese Einleitung so im vormarkinischen Text nicht vorhanden gewesen sein muss, weil die Leser aufgrund von Markus 4, 1 wussten, dass Jesus sich bereits mit den Jüngern im Boot befand und es immer noch der gleiche Tag gewesen sein muss. Als fraglich deuten Pesch und Gnilka die zweite Hälfte des Verses 36: „[…] und es waren noch andere Boote bei ihm“. Pesch bezeichnet die Erwähnung der anderen Boote als „Traditionssplitter, der sich sicherer Deutung entzieht“7, während Gnilka sich die Frage stellt, ob dieser Teil zur „Einleitung der vormarkinischen Geschichte“8 gehöre. Feststellen lässt sich jedenfalls, dass die „anderen Boote“ aus Vers 36 in der weiteren Geschichte keine Erwähnung mehr finden und demnach keine Rolle für den Verlauf der Geschichte spielen. Für mich ist gerade dies ein Indiz dafür, und da stimme ich mit Walter Schmithals9 überein, dass diese Verse als vormarkinisch zu betrachten sind, da Markus damit keine „theologischen Absichten verbindet“10 und „offenbar nur das Material der Geschichte ungekürzt beibehalten will“11. Die Erzählung würde auch ohne die Erwähnung der „anderen Boote“ funktionieren und wäre demnach eher ein potenzieller Vers zum Streichen für Markus gewesen.
Als Ergänzung des vormarkinischen Textes ist, meiner Meinung nach, Vers 40 in der Erzählung zu betrachten. Zum einen erfüllt dieser Vers lediglich eine theologische Funktion und ist damit für die eigentliche Wundererzählung überflüssig. Bedeutet: Die Erzählung von der Stillung des Sturmes würde ohne den Vers 40 immer noch Sinn ergeben und funktionieren. Der Handlungsverlauf wird hier von dem Einschub des Markus unterbrochen. Zum anderen stützen die drei von mir herangezogenen Kommentare meine These.12 Ohne den Tadel Jesu in V. 40 würden die Jünger immer noch ehrfurchtsvoll, erschrocken dastehen und sich fragen wer ihr Meister (V. 38) ist, dass er zu so einer Tat im Stande sei. Markus beabsichtigt mit der Ergänzung dieses Verses eine theologische Funktion. Die theologische Funktion werde ich später in meiner Interpretation aufgreifen.
Zusammenfassend zu diesem Punkt lässt sich sagen, dass Markus, nach meiner Analyse, den vormarkinischen Text mindestens an zwei Stelle ergänzt hat. Vorgelegen haben ihm demnach die Verse 35b (die Aufforderung Jesu an das andere Ufer zu fahren) -39 und Vers 41.
3.4 Gattungsbestimmung der vormarkinischen Überlieferung
Die Erzählung von der Stillung des Sturmes ist ihrer Gattung nach eine Wundergeschichte. Jedoch gilt es hier anzumerken, dass nicht alle Wundergeschichten die gleiche Struktur in der Erzählung aufweisen. So kommt der Wunderhandlung selber in unserer Bibelstelle eine zentrale Rolle zu, wohingegen an anderen Bibelstellen13 die Durchführung des Wunders kaum eine Rolle spielt. Betrachten wir die Bibelstellen aus Mk. 7, 31-37 (Heilung eines Taubstummen) und Mk. 8, 22-26 (Heilung eines Blinden), lässt sich feststellen, dass diese eine nahezu identische Struktur aufweisen wie unsere Erzählung von der Stillung des Sturmes. Die drei Wundergeschichten (und viele andere ebenfalls) haben gemeinsam, dass zunächst eine Notsituation auftritt. Die eine Bibelstelle schmückt dies in der Exposition aus, die andere nicht. Daraufhin geschieht das Eingreifen Jesu oder eines anderen Wundertäters14, indem er das Wunder „vollzieht“. Anschließend folgen eine Auswertung bzw. eine Reaktion seitens des Geheilten/der beteiligten Personen oder des Wundertäters. Diese Struktur der Wundererzählungen würde die vielen mündlichen Überlieferungen erklären, da sie simpel und auf nahezu alle Wunder anzuwenden ist. So ist beispielsweise die Rettung Jonas im Alten Testament15 eine bekannte Wundererzählung, welche eine ähnliche Struktur aufweist.
Neben dem strukturellen Aufbau gibt es weitere Merkmale von Wundergeschichten bzw. Unterscheidungen. Bultmann16 beispielsweise unterteilt die Wundergeschichten nochmals in Heilungs- bzw. Naturwunder. Während bei Heilungswundern die Barmherzigkeit und die Güte Jesu in den Fokus rücken, drücken Naturwunder die Macht und Stärke des „Täters“ aus. Unsere Erzählung ist nach Bultmann demnach ein Naturwunder. Andere Ausleger legen die Erzählung von der Stillung des Sturmes als Rettungswunder aus. Dabei wird der Fokus stärker auf die Beteiligten Personen gerichtet, welche sich in einer Notsituation befinden und dann vom Wundertäter (in diesem Fall Jesus) „gerettet werden“. Der Vers 40, im Grunde genommen die Pointe der Szene, wird als Apophthegma („Ausspruch“) bezeichnet.
Die Wundergeschichten als Teil der mündlichen Überlieferungen, erfüllten die Funktion, den Hörern die Allmacht Jesu bzw. Gottes deutlich zu machen. Er (Gott) ist derjenige, der undenkbares möglich macht und nicht nur sinnbildlich „über“ den Dingen steht, indem er Unheilbare heilt und sogar das Meer beruhigt. Die Nachfolger Christi sollten so ermutigt werden. Vertrauen auf ihn wird belohnt, Zweifel sind nicht angebracht. Mündliche Überlieferungen spielten eine wichtige Rolle, schon zu Zeiten des Alten Testaments17, weil Glaube an Gott bzw. Jesus immer auch mit Erinnerungskultur verknüpft gewesen ist.
3.5 Begriffsbestimmung bzw. religionsgeschichtliche Analyse
40 Und er (Jesus) sprach zu ihnen: Was seid ihr (Jünger) so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Im Folgenden möchte ich auf den Begriff „Glauben/Glaube“ näher eingehen, da dieser ein zentraler Begriff in der Erzählung ist und gerade auch dem Verfasser sehr wichtig gewesen sein muss. Wir haben in 2.3 (Literarkritik) festgestellt, dass Markus diesen Vers 40 höchstwahrscheinlich nachträglich ergänzt hat. Daher macht eine Begriffsbestimmung von „Glauben/Glaube“ definitiv Sinn. Anschließend werde ich einiges zum Begriff im Kontext des Alten Testaments und des Neuen Testaments erläutern.
Der Begriff „Glaube“ kommt in der Bibel (AT & NT) 337-mal18 vor. Er besitzt eine große Bedeutung, sowohl im Alten Testament als auch im Neuen Testament. Zunächst kann festgehalten werden, dass ein Christ im Grunde erstmal ein Glaubender ist. Dieser Glaube, ist im Kontext der Bibel, notwendig, um das Heil zu erfahren.19 Im Hebräerbrief Kapitel 11 findet sich gleich im ersten Vers auch eine Definition des Begriffs „Glaube“: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments wird der Begriff „Glaube“ (pistis) als „sich fest machen“, „festen Halt und Stand gewinnen“ verstanden.20 Glaube wird zudem oft mit den Begriffen „Vertrauen“ oder auch „Hören“ gleichgestellt.
3.5.1 Glaube im Alten Testament
Das beste Beispiel für eine glaubende Person im AT ist zweifelsohne Abraham. Er wird auch als Glaubensvater bezeichnet und erfährt auch im NT immer wieder Beachtung.21 Abrahams Glaube bzw. sein Vertrauen auf Gottes Handeln gelten als Vorbild für alle ihm nachfolgenden Generationen. Aufgrund seines Glaubens wird Abraham gerecht gesprochen (vgl. Gen 15,6).
Glaube bei Abraham lässt sich in drei Aspekte gliedern:22
Vorerst bedeutet er (Glaube) das Für-wahr-Halten der Verheißung, in der Gott dem Menschen Zukunft eröffnet und Hoffnung ermöglicht. Darüber hinaus ist der Glaube die radikale und totale Selbstauslieferung und Übereignung des Menschen an Gott.: Von ihm gerufen, lässt Abraham alles hinter sich zurück (vgl. Gen. 12,1), um sich ganz Gott zu überlassen […] Schließlich erfährt dieser Glaube seine Erprobung, Läuterung und Vertiefung in der Versuchung […] Wenn man trotzdem glaubt, geschieht dies im Blick auf Gottes Treue und Gottes Macht (Hebr. 11, 11.19; vgl. Röm 4,21)
Glaube wird demnach im AT vor allem als ein „sich ausliefern“ an Gott verstanden, allerdings in dem Bewusstsein, dass der Glaubende gerecht gesprochen und „leben wird“23. Mit diesem Verständnis von Glauben lässt sich schon eher verstehen, warum beispielsweise Abraham „im Vertrauen“ auf Gott seinen eigenen Sohn opfern wollte.24
3.5.2 Glaube im Neuen Testament
Glaube im Neuen Testament bedeutet auch Vertrauen oder hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, fokussiert sich aber viel stärker auf das Heil25, welches durch den Glauben bedingt ist. Der Glaube ist demnach der einzige Weg zur Rettung / Erlösung. Wie Abraham im AT durch seinen Glauben gerecht gesprochen wurde, so werden auch die christlichen Gemeinden, beispielsweise in den Pastoralbriefen, dazu ermutigt nicht durch Werke Gerechtigkeit zu erlangen, sondern durch den Glauben.26 Diesen Glauben gilt es weiterzugeben und so auch öffentlich zu machen. Johannes beschreibt in seinem Evangelium den Glauben als Schlüssel zu einem „ewigen Leben“27. Nach Johannes hat also der Mensch, hier auf Erden, das ewige Leben inne, wenn er an Jesus glaubt. Dieser Tenor und die damit verbundene Strebsamkeit nach diesem Heil bestimmen den Begriff des „Glaubens“ im Kontext des Neuen Testamentes.
In unserer Wundererzählung aus Mk. 4, 35-41 kann der Begriff Glaube demnach so interpretiert werden, dass die Jünger, welche schon seit einiger Zeit mit Jesus unterwegs waren, noch nicht das endgültige „Vertrauen“ in die Person Jesus hatten. Obwohl sie schon einige Wunder mit ihm erlebt hatten, und ihm offensichtlich aus Glauben nachfolgten, vertrauten sie nicht darauf, dass Jesus diese Situation meistern könnte. Glaube meint in diesem Kontext also Vertrauen.
4. Interpretation
4.1 Interpretation der vormarkinischen Überlieferung
Meine Literarkritik hat ergeben das die vormarkinische Überlieferung so ausgesehen haben könnte:
35 Er sprach zu ihnen: Lasst uns ans andre Ufer fahren. (eine genaue Rekonstruktion des Verses ist nicht möglich)
36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nicht danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 41 Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!
Die vormarkinische Überlieferung, welche Markus vorgelegen hat, ist ihrer Gattung nach eine Wundergeschichte. Dementsprechend steht die Wunderhandlung Jesu im Mittelpunkt. Die Geschichte mit ihrem Wortlaut kann in die Kategorie der Exorzismusgeschichten verortet werden. Ähnlich wie bei der Geschichte Jonas im Alten Testament spielen Elemente wie Wind und Wasser eine Rolle, die zur Gefahr für den Menschen werden. Jesus, der Exorzist, ist nun derjenige, der diesen Naturgewalten Einhalt gebietet und seine Macht demonstriert. In der Person Jesus kommt das Handeln Gottes zum Vorschein, dem keine Naturgewalt etwas anhaben kann.
Pesch deutet die Erzählung von der Stillung des Sturmes als Überbietungserzählung. Sie sei dazu verwendet worden, um im jüdisch-hellenistischen und heidnischen Milieu zu missionieren.28 Jesu Wundertat ist größer als die Rettung im Buch Jona, Jesus ist stärker als jeder (heidnische) Schutzgott in der antiken Welt29. Jesus als Sohn Gottes gehört alle Macht. Nach Pesch erfüllt die vormarkinische Überlieferung von Mk. 4, 35-41 demnach eine missionarische Funktion. Für mich macht diese Argumentation Sinn. Ohne den Vers 40 hat die Erzählung keinen Fokus auf die beteiligten Personen, sondern konzentriert sich allein auf den Wundertäter und seine Macht. In Jesus handelt Gott – diese Botschaft liegt der Überlieferung zu Grunde.
4.2 Interpretation des markinischen Textes
4.2.1 Interpretation des Textes an sich
Die Erzählung aus Mk. 4, 35-41, wie wir sie heute kennen (markinisch), lässt die Wundergeschichte in einem anderen Licht erscheinen. Markus gebraucht die Wundertat Jesu, um aus dieser Geschichte ein „Jüngerschaftsthema“ zu machen. Sein Einschub von V. 40 lässt zu, dass die gesamte Erzählung nahezu neu gedacht werden muss. Dem Evangelisten ist ein Anliegen aufzuzeigen, dass Furcht und Feigheit (V. 38 und V. 40a) in der Nachfolge Jesu nicht angebracht sind, sondern vielmehr das uneingeschränkte Vertrauen auf Jesus, auch in „stürmischen Zeiten“ (V. 40b). Der Ausspruch in V. 40b „habt ihr noch keinen Glauben?“ lässt darauf schließen, dass die Jünger bereits eine längere Zeit mit Jesus verbracht haben. Unterschwellig meint Markus hier, dass die bisherige Zeit Jesus doch dazu geführt haben muss, dass auch ein Sturm auf dem Meer ihnen nicht Angst und Bange machen müsste, weil sie um Jesu Macht Bescheid wissen. Schließlich ist es doch auch ihr „Meister“ gewesen, der sie dazu bewegt hat an das andere Ufer zu fahren (V. 35). Im Licht von Vers 40 erscheint auch das Schlafen Jesu (V. 38a) als plötzlich wichtiges Detail, welches im vormarkinischen Text nicht diesen Stellenwert einnahm. Jesus dient hier als Kontrast zur stürmischen See. Gnilka beschreibt seinen Zustand folgendermaßen: „Sein Schlaf ist nicht Folge der anstrengenden Predigttätigkeit oder durch die beginnende Nachtzeit bedingt, sondern Ausdruck seiner Souveränität und Sicherheit“30. Seine Jünger hingegen agierten furchtsam und ängstlich. Sie sahen die Gefahr und den drohenden Untergang ihres Bootes und eben nicht mehr die Souveränität ihres Meisters. Hier lässt sich eine Parallele zu Matthäus 14, 22-33 feststellen.31
[...]
1 Sturmstillung: Mk. 4, 35-41; Heilung eines Besessenen: Mk. 5, 1-20; Heilung einer blutflüssigen Frau und Auferweckung der Tochter des Jaïrus: Mk. 5, 21-43.
2 Vgl. Schnelle: Einleitung in das Neue Testament, 2007, S. 248.
3 Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament (HThK). Das Markusevangelium Teil 1.
4 HThK S. 268, Z. 1-4.
5 Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament (EKK). Das Evangelium nach Markus.
6 EKK S. 193, Z. 22-23.
7 HThK S. 270, Z. 12-13.
8 EKK S. 193, Z. 14-15.
9 Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament (ÖTK). Das Evangelium nach Markus, Kapitel 1-9, I.
10 ÖTK S. 255, Z. 20.
11 ÖTK S. 255, Z. 22.
12 EKK S. 194, Z. 1.; HThK S. 276, Z. 28 – S. 277, Z. 5.; ÖTK S. 256, Z. 24-29.
13 Vgl. Markus 3, 1-5.
14 Vgl. zum Beispiel viele Propheten im AT; die Jünger Jesu im NT.
15 Das Buch Jona. Kapitel 1-4.
16 Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition.
17 Vgl. Passahfest / Exodus Erzählungen.
18 Vgl. Bibleserver.com, Luther 2017.
19 Vgl. Hebräer 11, 6: Aber ohne Glauben ist's unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben […].
20 Herders Neues Bibellexikon, S. 260.
21 Vgl. Hebräer 11, 8.
22 Herders Neues Bibellexikon, S. 261, Sp. 2.
23 Habakuk 2,4.
24 Vgl. Genesis 22: Das Opfer Abrahams.
25 Herders Neues Bibellexikon, S. 301.
26 Vgl. Gal. 2,16.
27 Vgl. Johannes 3,15b-16.
28 HThK, S. 276, Z. 14-15.
29 HThK, S. 273 – S. 274.
30 EKK, S. 195, S. 14-16.
31 Vgl. Jesus und der sinkende Petrus auf dem Meer: Petrus wendet den Blick von Jesus ab und beginnt sogleich zu sinken.